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Ein Sachse mit drei Sternen

Schon seine Mutter hat ihm die Kochkunst gezeigt. Heute ist Torsten Michel Chef eines legendären Restaurants im Schwarzwald und der einzige Sachse, der sich Drei-Sterne-Koch nennen darf. Ein Porträt in mehreren Gängen.

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Seit 2004 arbeitet Torsten Michel in der Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn.
Seit 2004 arbeitet Torsten Michel in der Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn. © Adina Rieckmann

Von Adina Rieckmann

Das Amuse Gueule verspricht schon viel: Zweierlei Lachstatar mit Imperialkaviar. Was für eine Gaumenfreude. Als Torsten Michel mit Anfang 20 von der Bundeswehr zurückkam, wusste er nicht einmal, was ein Amuse Guele ist.

Von diesen Häppchen zu Beginn eines Menüs hörte er zum ersten Mal in seiner Lehre. Das war 1997 im damaligen Westin Hotel Bellevue in Dresden. "Ich wollte gar nicht Koch werden, habe einfach nur eine Lehrstelle gesucht. Die Gastronomie brauchte schon damals dringend Personal. Also bin ich dort gelandet", sagt der gebürtige Dresdner. Und fügt hinzu: "Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich mal Chef in einem Drei-Sterne-Restaurant werden würde, hätte ich ihm wahrscheinlich einen Vogel gezeigt. Ich habe einfach viel Glück gehabt. Meine Ausbilder haben mir sehr viel beigebracht."

Das Amuse Gueule: Zweierlei Lachstatar mit Imperialkaviar.
Das Amuse Gueule: Zweierlei Lachstatar mit Imperialkaviar. © Adina Rieckmann

Er habe schon früh nicht nur das Handwerk gelernt, sondern auch all die Kniffe und Raffinessen, die Küchengeheimnisse eben. Zum Beispiel, wie ein Hauch Ingwer und etwas Zitronenrieb aus einfachem Möhrengemüse eine Delikatesse machen.

Der erste Gang ist definitiv eine Delikatesse. Salat von Milchferkelmaske, -zunge und -bäckchen mit knusprigen Ferkelohren, Rucolaspitzen und schwarzem Trüffel, Schalottenvinaigrette. In der Küche herrscht Hochspannung, jeder einzelne Teller, der den Raum verlässt, wird von Torsten Michel persönlich mit einem letzten Blick begutachtet. Dann gießt er, nein, träufelt er die Soße darauf.

Ralf Kutzner von der Bülow Residenz in Dresden sagte sofort Ja, als sich der junge Mann bei ihm um eine Stelle im Sterne-Restaurant Caroussel bewarb. "Ich wäre schlecht beraten gewesen, wenn ich ihn nicht genommen hätte", sagt Kutzner. Er hatte nicht nur ein ausgezeichnetes Zeugnis, er machte auch bei den zwei Probetagen einen hervorragenden Eindruck."

Drei Jahre später musste der Hotelier den Koch wieder ziehen lassen. "Er war einfach sehr, sehr gut. Zu gut für uns." Dass er das Caroussel eines Tages verlassen würde, sei nur eine Frage der Zeit gewesen. "Als ich dann hörte, wer sein neuer Arbeitgeber ist, habe ich mich riesig für ihn gefreut", sagt Kutzner. "In der Schwarzwaldstube arbeiten zu dürfen, bei Hans Wohlfahrt, mehr geht nicht."

Salat vom Milchferkel mit knusprigen Ferkelohren und Rucolaspitzen.
Salat vom Milchferkel mit knusprigen Ferkelohren und Rucolaspitzen. © Adina Rieckmann

Das sei ein logischer Schritt gewesen, meint auch Torsten Michel selbst dazu. Nach der Ausbildung müsse man sich seine Sporen verdienen und dann weitersehen. "Ich wollte einfach eine spannende Aufgabe für mich, und noch mehr lernen", sagt er. "Die Schwarzwaldstube gehört zu den besten Restaurants in Deutschland. Da wollte ich unbedingt hin."

Der zweite Gang: Krosse Zanderschnitte und gegrillter Bauch "BBQ", fermentiertes Weißkraut mit Weintrauben und Topaz-Apfel, Jus von Zander mit Baroloessig.

Der Zander so herrlich kross und gleichzeitig glasig, das Jus ein Gedicht. Man möchte um einen Klecks mehr Sauce bitten. Torsten Michel, Jahrgang 1977, ist der einzige Sachse, der sich Drei-Sterne-Koch nennen darf. Seit 2004 arbeitet er nun im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn - auch hier erst als Jungkoch, später als Chef de Partie, dann als Souschef, schließlich als Küchenchef.

Weltberühmt wurde die Schwarzwaldstube unter Michels Vorgänger, dem Spitzenkoch Harald Wohlfahrt. 25 Jahre lang immer drei Sterne – kein anderer deutscher Koch erhielt die Höchstauszeichnung des Guide Michelin über einen so langen Zeitraum. Den Jungköchen erklärte er, der Herd sei ein Instrument, darauf müsse man spielen. Torsten Michel hat diese Sätze verinnerlicht. "Die drei Sterne zu halten, das war natürlich eine Herausforderung für mich. Aber wir beide haben über viele Jahre sehr gut zusammengearbeitet. Er vertraute mir. Und dann muss man einfach seine Arbeit machen." Die macht Michel hier als Chef seit April 2017.

Fragt man ihn aber, wo er zuerst kochen gelernt habe, sagt er sofort: "Zu Hause. In Dresden. Bei meiner Mutter, wo sonst?" Sie sei eine gute Köchin, könne in der Küche improvisieren, wie kaum eine andere, erzählt er und erinnert sich an die DDR-Zeit: "Da gab es eben beim Fleischer nur 400 Gramm Gulasch. Und von diesen 400 Gramm hat meine Mutter für vier Personen ein leckeres Essen gezaubert. Wir sind alle satt geworden und es hat allen geschmeckt. So etwas prägt."

Hauptgang: Geschmortes Zicklein aus dem Burgund mit Wacholder, Zitrone und Gin glasiert, Variation von Karotten und Rotweinsauce mit Gremolata.

In der Küche herrscht höchste Konzentration, kaum einer der acht Köche und drei Patisseure spricht jetzt. Jeder weiß genau, was zu erledigen hat, alles scheint wie in einem Uhrwerk ineinander zu greifen.

Variationen von Karotten zum geschmorten Zicklein aus dem Burgund.
Variationen von Karotten zum geschmorten Zicklein aus dem Burgund. © Adina Rieckmann

1789, im Jahr der Französischen Revolution, eröffnete ein Tobias Finkbeiner im Baiersbronner Ortsteil Tonbach im Nordschwarzwald eine Bauernstube für hungrige Forstarbeiter. Dies traditionsreiche Haus wurde am 5. Januar 2020 durch einen Brand bis auf die Grundmauern zerstört. Nicht nur Torsten Michels Arbeitsplatz war zerstört, auch die Geschichte des legendären Restaurants schien zu Ende. "In solch einem Moment daran glauben, dass es eine Zukunft gibt, das geht einfach nicht", sagt Michel.. "Wer die Ruine alten Hauses gesehen hat, denkt an alles, aber nicht an raffinierte Rezepte, an einen nächsten schönen Abend in der Schwarzwaldstube."

Noch weniger dachte der Spitzenkoch in jener Nacht an seine große Kochbuch- und Rezeptsammlung. Auch wenn er nur von Jahr zu Jahr immer seltener hineingeschaut hat. Weg ist weg.

Dass sich in seiner Geburtsstadt eine der umfangreichsten und wertvollsten Sammlungen zur Geschichte der Kochkunst und Tafelkultur im deutschsprachigen Raum befindet, mag ihm ein kleiner Trost sein. "Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie schnell etwas weg sein kann. Ich bin wirklich froh, dass es in Dresden so eine Bibliothek gibt, die Kochbücher und Menü und -weinkarten sammelt, wo man immer wieder schauen und lesen kann, wenn man es will."

Die Slub, die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, hat schon immer kulinarische Literatur im Bestand. Die Bibliothek gibt es seit 1556, Kochkunst gehörte schon zur Kultur des sächsischen Hofes und somit auch Kochbücher. Torsten Michel hat die weltweit einzigartige Sammlung selbst noch nicht gesehen. Aber, sagt er: "Mir reicht das Wissen darum, dass all diese Kostbarkeiten sicher aufbewahrt sind. Das ist schließlich unser kulturelles Erbe."

Den nächsten Gang könnte man auch kulturelles Erbe nennen: Wildhase nach königlicher Art mit butterglasierten Möhren.

Torsten Michel ist Tage damit beschäftigt. Fleisch, Wildfond, Sauce, Farce – das alles dauert seine Zeit. "Wir lösen den .... aus, plattieren den Bauchlappen. Dann werden die fleischigen Teile dem Bedarf entsprechend grob gewolft oder feiner gewolft. Danach kommen die Innereien rein, marinierter Speck, ein bisschen Gänseleber, etwas Trüffel." Ob ein Wildhase heute wohl genauso schmeckt wie vor 300 Jahren am königlichen Hofe? "Ein Hase ist ein Hase, da sind 300 Jahre gar nichts in der Entwicklung, daher wird der so schmecken wie damals. Es wird das gleiche Geschmackserlebnis sein", sagt Michel.

Wildhase nach königlicher Art mit mariniertem Speck, Gänseleber, Trüffel.
Wildhase nach königlicher Art mit mariniertem Speck, Gänseleber, Trüffel. © Adina Rieckmann

Das sieht einer seiner Gäste an diesem Abend in der Schwarzwaldstube ganz anders. "Auf keinen Fall", sagt Josef Matzerath. Der Dresdner Professor ist Experte für sächsische Landesgeschichte und ein leidenschaftlicher Gourmet. Sein Forschungsgebiet ist die Kochkunst und Tafelkultur, er kennt sich in der Geschichte der Kulinarik in Deutschland bestens aus.

Das Fleisch habe damals nicht so im Vordergrund gestanden, sagt Matzerath. Die Köche am Hofe hätten an fast alles Zucker getan. Und alles, was man sich an exotischen Gewürzen vorstellen kann: Muskatnuss, Nelke, Pfeffer. "Das hat nach allem geschmeckt, nur nicht nach Wildhase." Bei Torsten Michel aber schmecke man das wunderbar aromatische Fleisch sehr deutlich. Der Koch und der Professor kommen schnell ins Fachsimpeln. Ganz offensichtlich haben sie Spaß miteinander.

Zu später Stunde noch mal die Wahl der Qual. Eine Auswahl von Käsen: Maître Affineur Antony, Rotschmier-, Blauschimmel- und Weißschimmelkäse aus Kuh-, Ziegen- und Schafmilch. Dazu selbstgebackenes Brot. Man möchte am liebsten alles kosten.

Da spielt es keine Rolle, dass man sich in einem provisorischen Bau über einer Parkgarage befindet. Wüsste man nicht von den Umständen, käme man nicht auf den Gedanken, in einer Interimslösung zu sitzen. Die Besitzer des Hotels zur Traube Tonbach, die Familie Finkenbeiner, entschlossen sich unmittelbar nach dem Brand, weiterzumachen, egal, wie, aber immer auf höchstem Niveau. "Wir hatten schließlich was vorzuweisen, das gibt man doch nicht einfach so auf", sagt Michel.

Gerade hat er sich mit dem Team wieder drei Michelin-Sterne erkocht – als einer von nur neun Köchen in ganz Deutschland. Bis heute liebt er seinen Beruf: "Ich habe großes Glück gehabt. Ich darf mich ausprobieren, darf mit Seeigeln oder Wildhasen arbeiten, mit den exotischsten Produkten. Und die Gäste vertrauen mir. Wenn ich an die Tische gehe und sie sich bei mir bedanken, ist das ein wunderbares Gefühl."

In der Tat.. Das Soufflé "Tarte Tatin" mit Apfelsorbet und leichtem Sauerrahmschaum, Apfelperlen in mildem Cidresud und Gavottes croustillant lässt nichts zu wünschen übrig.

Zum Dessert "Tarte Tatin" mit Apfelsorbet, Sauerrahmschaum, Cidresud.
Zum Dessert "Tarte Tatin" mit Apfelsorbet, Sauerrahmschaum, Cidresud. © Adina Rieckmann

In wenigen Tagen, am 8. April, ist die Interimslösung beendet. In nur 18 Monaten ist das neue Domizil der Finkenbeiners entstanden, auch für die Schwarzwaldstube. Darauf freut sich Torsten Michel schon lange. Endlich wieder richtig kochen können, endlich wieder die Gäste in einem richtigen Restaurant empfangen zu können, das habe ihm sehr gefehlt.

Zur Rechnung, pro Person inklusive Wein gut 300 Euro, gibt es köstliche Pralinen. Und der Gourmetkoch verrät noch sein Lieblingsgericht aus der Kindheit. Das werde in Dresden immer noch gekocht, wenn er nach Hause kommt: "Fleischküchle mit Kartoffelbrei. Mit Pilzen aus dem Wald, Kartoffeln vom Bauern. Das ist so ein tolles Essen, was will man mehr."

  • Um die Kulinariksammlung Dresden dreht sich der Film "Knacker trifft Wildhase", der am Montag, den 4. April, 19 Uhr in der Zentralbibliothek Dresden gezeigt wird. Vorher online anmelden. Am 12. April, 21 Uhr, zeigt der MDR den Film in seiner Reihe "Der Osten. Entdecke, wo Du lebst".