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Fall Lina E.: Opfer schildert vor Gericht Überfall

Am sechsten Verhandlungstag um eine mutmaßlich linksextremistische kriminelle Vereinigung berichtet ein früherer Kopf der Leipziger NPD von einem Überfall.

Von Sven Heitkamp
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Seit Anfang September wird gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. sowie drei weitere Mitangeklagte in Dresden verhandelt
Seit Anfang September wird gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. sowie drei weitere Mitangeklagte in Dresden verhandelt © dpa-Zentralbild

Dresden. Im Prozess gegen die mutmaßliche linksextremistische kriminelle Vereinigung vorm Oberlandesgericht Dresden hat eines der Opfer am Mittwoch die Angeklagte Lina E. indirekt entlastet. Der frühere Leipziger NPD-Stadtrat und Parteichef Enrico B. beschrieb am sechsten Verhandlungstag, er sei seiner Erinnerung nach am Morgen des 2. Oktober 2018 von Männern überfallen worden. „Es waren vier männliche Täter“, sagte B. vor Gericht.

Auf Nachfrage sprach der 38-Jährige dann nur noch von kräftigen, sportlichen Gestalten, die wie Kampfsportler agierten und „ein Stück“ größer gewesen seien als er. „Ich habe sie als männlich empfunden.“ Den schweren Angriff auf B. wirft die Bundesanwaltschaft allerdings bisher nur der Leipziger Studentin Lina E. vor.

Detailliert schilderte Enrico B., der im Verfassungsschutzbericht 2018 als Neonationalsozialist erwähnt wurde, den Morgen des Überfalls. Er habe gegen 7.15 Uhr sein Haus verlassen. Als er auf dem Bürgersteig zu seinem Auto gehen wollte, seien vier Maskierte mit Sturmhauben auf ihn zugelaufen. Während er zwischen parkenden Autos Schutz suchen wollte, sei er geschlagen, gegen die Knie getreten und mit Pfefferspray attackiert worden. Auch auf dem Boden liegend sei er „mit höchster Effizienz“ mehrfach gegen seinen Kopf und sein linkes Knie getreten worden, das Knie habe multiple Brüche erlitten. Einer der Männer habe gerufen, man solle gegen den Kopf treten. B., der auch Nebenkläger ist, hat indes selbst verschiedenen Vorstrafen.

DNA-Treffer nach dem Überfall

Die Ermittler haben lange im Dunklen getappt, wer hinter dem Angriff auf den NPD-Funktionär stecken könnte. Am Tatort hatten die Beamten eine Tüte sichergestellt, auf der sie zwei DNA-Spuren herausarbeiten konnten. Eine stammte vom Geschädigten, die zweite war zunächst unbekannt. Mitte November 2018 jedoch erhielten die Polizisten eine Treffermeldung nach dem automatisierten Abgleich in DNA-Analyse-Dateien. Die Spur stammte danach von einem 32-Jährigen in Thüringen.

Im Februar 2019 vollstreckten die Beamten einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Zimmer einer Wohngemeinschaft. Bei dem 32-Jährigen stellten die Ermittler neben Kleidung, Laptop und mehreren alten Handys ein ganzes Arsenal an Waffen sicher. Unter anderem zwei Schreckschusspistolen, drei Paar Handschuhe, auch ein verbotenes, das mit Quarzsand verstärkt ist, um die Wucht von Schlägen zu erhöhen. Hinzu kommen drei Sturmhauben und zwölf illegale Feuerwerkskörper vom Typ "Dum Bum", wie sie etwa auch von der rechtsterroristischen "Gruppe Freital" eingesetzt worden waren.

Ein Zufallsfund dürften Betäubungsmittel, Crystal und Haschisch, gewesen sein sowie eine Feinwaage und rund 1.000 Euro Bargeld gewesen sein. Der 32-Jährige, der aus Pirna stammt, soll zu den weiteren Verdächtigen um die Gruppe der Angeklagten zählen.

Abgehörtes Gespräch gibt neue Rätsel auf

Die Bundesanwaltschaft wirft Lina E. und drei Angeklagten teils lebensgefährliche Übergriffe auf Rechtsextremisten vor, die zwischen 2018 und 2020 in Leipzig, Wurzen und Eisenach verübt worden seien. Der Prozess gilt als eines der bedeutendsten Verfahren gegen linksautonome Gruppierungen.

Neue Rätsel gibt seit Dienstag ein von der Polizei abgehörtes Gespräch auf einer Autofahrt auf. Dabei unterhalten sich drei junge Männer über den Angriff auf einen Kanalarbeiter in Leipzig-Connewitz Anfang 2019, der der Gruppierung um Lina E. zugerechnet wird. „Das waren wir“, soll einer der jungen Männer gesagt haben. Der Verteidiger Erkan Zünbül erklärte, das mitgeschnittene Gespräch belege nur, dass die Beschuldigten vieles gar nicht voneinander wüssten – dies spreche gegen eine kriminelle Vereinigung. Zudem bleibe unklar, wer mit „wir“ gemeint gewesen sei. Der Mitschnitt sei unergiebig und uneindeutig. (mit SZ/lex)