Eine Familie unter Generalverdacht

Von Christine von Brühl
Nach Heinrichs Tod 1763 ließ Kurfürst Friedrich Christian alle Papiere versiegeln, konfiszierte dessen Güter und verhaftete sämtliche Mitarbeiter. In einem Gerichtsverfahren suchte er Heinrich für Sachsens Niedergang zur Verantwortung zu ziehen, doch das war unmöglich. Alle seine Einkünfte aus der Staatskasse waren vom König bestätigt worden. „Man begnügte sich also damit, das Brühl gehörende Barvermögen einzubehalten, die Palais zugunsten des Staates einzuziehen“, schreibt der Historiker Jacek Staszewski. Im Mai 1765 nahm Kurprinz Franz Xaver den Prozess gegen Heinrichs Nachfahren wieder auf und suchte ihre Position weiter zu schwächen. Die beiden Dresdner Palais musste der älteste Sohn Alois Friedrich dem kurfürstlichen Haus gegen eine vergleichbar geringe Summe abtreten. Heinrichs Gemäldesammlung und seine umfangreiche Bibliothek gingen in die Bestände Sachsens über.
Der Schreck saß tief. Aufgewachsen mit einem Vater, der über Jahrzehnte eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in Sachsen und Polen gewesen war, den sie als überaus arbeitsam und gleichzeitig als zugewandten, warmherzigen Menschen wahrgenommen hatten, sahen sich seine Kinder nun plötzlich mit einer Anklage konfrontiert, die ihn und damit die Familie unter Generalverdacht stellte. Von einem Tag auf den anderen war sie mittellos, hatte keine Wertgegenstände mehr, kein gesichertes Zuhause.
Ein tiefer Fall
Hinzu kamen die Schuldgefühle: Die Familie habe sich persönlich bereichert, hieß es in der Anzeige, habe Sachsen immense Verluste zugefügt. Nicht mehr der beste Staatsdiener sollte Heinrich gewesen sein, sondern ein Verräter und Betrüger. Gerade die Regierung, der er ein Leben lang gedient hatte, habe durch seinen Einfluss dauerhaften Schaden genommen. Der Fall war tief, die Wirkung niederschmetternd. Nie wieder hat sich die Familie von diesem Sturz erholt. Bis heute muss sie sich mit einer solchen Darstellung auseinandersetzen. Bekannt ist sie nicht für die diplomatischen Leistungen ihres Vorfahren, seine Loyalität, die sinnstiftende Wirkung auf dem Gebiet der Künste, die Aufträge an die Porzellanmanufaktur oder die aufwendigen baulichen Erneuerungen, die er vornahm, sondern für seine angebliche Verschwendungssucht und den Vorwurf, er habe dem Land und dem König vorsätzlich geschadet.
Der Preußenkönig Friedrich II. hatte ganze Arbeit geleistet. Er überlebte Heinrich um 23 Jahre und revidierte sein Urteil nie. Jahrhunderte blieb es unwidersprochen. Obwohl der Premierminister in dem Verfahren freigesprochen worden war, wurde er nicht rehabilitiert. Nie wieder wurde einem Mitglied seiner Familie eine staatstragende Aufgabe in Sachsen übertragen. Keiner bekam je wieder Gelegenheit, sich für dieses Land politisch zu engagieren. Nicht nur die Geschichtsschreibung folgte der preußischen Sicht auf das augusteische Zeitalter, auch der polnische Autor Ignacy Kraszewski beschrieb den sächsischen Hof in seiner Sachsentrilogie als Hort der Intrige und des Verrats. Vieles in seinen Büchern ist frei erfunden, aber sie lesen sich leicht und fanden rasch Verbreitung. Damit erreichte die einseitige Sichtweise ein breites Publikum und verankerte sich nachdrücklich in der allgemeinen Wahrnehmung.
Nach der Wende ein differenzierteres Bild
Als ein Jahrhundert später das DDR-Fernsehen das Thema aufgriff und eine sechsteilige Serie auf der Basis der Romane Kraszewskis produzierte, fühlte sich die Mehrheit in ihrer Ansicht bestätigt. Brühl, von Ezard Haußmann dargestellt als intriganter und aalglatter Vertreter seines Standes, spielte eine eindrucksvolle Rolle in dem Film „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“. Die sorgenvolle Frage des Kurfürsten an seinen Untergebenen: „Brühl, habe ich noch Geld?“, die in dem Film mehrfach wiederholt wird, dazu die herausragende Figur des Schauspielers Rolf Hoppe, der den sächsischen Herrscher als nachgiebigen, sentimentalen König mimte, prägte sich den Zuschauern unauslöschlich ein. 1983/84 mit landesweit bekannten Darstellern in prächtigen Kostümen gedreht, mit Pferden, Kutschen und Reitern, an unterschiedlichsten Schauplätzen, auch außerhalb der DDR, wurde der Mehrteiler 1985 und 1987 erstmals ausgestrahlt und dann unzählige Male wiederholt. Auch an finanziellen Ausgaben wurde nicht gespart: Die Serie kostete laut der MDR-Sendung „Umschau“ 21 Millionen DDR-Mark.
Erst im 21. Jahrhundert wendete sich das Blatt allmählich. In der Wissenschaft war man seit den Wendejahren bemüht, ein differenzierteres Bild von Brühl und dem augusteischen Zeitalter zu zeichnen. Durch eine Veränderung der Perspektive von Krieg auf Frieden, von Machtentfaltung auf Kulturförderung, von Systemkritik auf vorurteilslose Betrachtung der handelnden Personen hatte sich alles verändert. Bahnbrechend war eine internationale Tagung 2014 in Dresden. Die Vorträge hoben die kulturelle und politische Bedeutung Sachsens im 18. Jahrhundert hervor und beschrieben Brühl als Mäzen seines Landes und Förderer seiner Vorgesetzten inmitten eines penibel entwickelten Netzwerkes von Kunstkennern und -händlern, das sich über ganz Europa erstreckte.
Der Text ist ein Auszug aus „Schwänein Weiß und Gold“ von Christine von Brühl, Aufbau Verlag, 24 Euro. Es ist erhältlich auf www.ddv-lokal.de oder telefonisch unter 0351 4864 1827.
Bisher in dieser Serie erschienen:
- Die Familie von Brühl hatte mit Dresden nichts am Hut
Christine von Brühl, Nachfahrin des berühmten sächsischen Ministers, spricht über Loyalität, Heimatverlust und eine preußische Hasskampagne. - Des Königs Schnitzel
Eine Nachfahrin des Ministers Heinrich von Brühl gibt Einblicke in die Geschichte ihrer Familie. Lesen Sie ab heute Auszüge aus ihrem neuen Buch. - Ein Reichsgraf als gefühlvoller Mann
Diensteifrig, verschwiegen und schnell denkend: Heinrich von Brühl machte sich nicht nur Freunde am sächsischen Hof. - Brühls Feind im eigenen Lager
Bei der legendären Zeithainer Truppenschau machte sich Heinrich von Brühl 1730 einen mächtigen Feind – mit Folgen bis heute. Die Rache des Preußenkönigs
Friedrich II. ließ im Siebenjährigen Krieg die Anwesen von Heinrich von Brühl gezielt zerstören. Besonders die faszinierenden Bauten in Dresden.