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Kraftklub liefern den perfekten Soundtrack für Auf- und Widerstände

„Es fühlte sich an, wie nach Hause zu kommen“, sagt Kraftklub-Sänger Felix Kummer nach seiner Solo-Zeit. Das neue Album der Band wird mit Sicherheit ein Hit.

Von Andy Dallmann
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Felix Kummer (2.v.l.) und seine Kraftklub-Kollegen klingen auf ihrem neuen Album „Kargo“ etwas weniger unbekümmert und dafür sarkastischer als früher.
Felix Kummer (2.v.l.) und seine Kraftklub-Kollegen klingen auf ihrem neuen Album „Kargo“ etwas weniger unbekümmert und dafür sarkastischer als früher. © Philipp Gladsome

Würden die Herren der Chemnitzer Band Kraftklub jetzt Reggae spielen, simplen Deutschpop oder ihre Songs auf wummernden Elektrobeats aufbauen, wäre etwas Verwirrung, vielleicht sogar Gemaule berechtigt. Ihnen hingegen anzukreiden, dass sie auf ihrem vierten Album immer noch wie Kraftklub klingen, ist albern. Wie sonst sollte das Quintett klingen, wenn nicht nach sich selbst?

Haben sie doch vor zehn Jahren durch ihr Debüt „Mit K“ ein eigenes Indierock-Subgenre erschlossen und zugleich breitbeinig besetzt. Simple, aber enorm mitreißende Beats, straffe Gitarren und mittels Sprechgesang servierte Texte, die Selbstironie und Sprachwitz mit einem durchaus analytischen Blick auf den Alltag in diesem Land vereinen – das riss damals Publikum und Kritiker gleichermaßen vom Hocker. Daran hat sich nichts geändert.

Das Cover des neuen Kraftklub-Albums.
Das Cover des neuen Kraftklub-Albums. © Vertigo

Obgleich nun also beim Hören von „Kargo“ niemand überrascht die Augen aufreißen wird, sind dennoch erhebliche Unterschiede zu den Songs von 2012 auszumachen. Frontmann Felix Kummer ruft zwar gleich im Eröffnungsstück „Teil dieser Band“: „Ich kann nicht sing’n / ich spiel kein Instrument“ und thematisiert den aus seiner Sicht immer noch schier unfassbaren Aufstieg in die erste Liga deutschsprachiger Rockbands. Weiter heißt es da: „Viele sind besser und proben mehr / es ist nicht verdient und es ist nicht fair.“

Doch natürlich hat sich die Band handwerklich weiterentwickelt, ist gereift, weiß, was sie erreicht hat und wo ihre Grenzen liegen.Die Ernüchterung beim Blick auf Letzteres in einem Song aufzugreifen, ist ein sehr, sehr seltenes Phänomen. Womöglich eine Premiere. Kraftklub hatten in Chemnitz für den 3. September 2018 unter dem Motto „Wir sind mehr“ ein Konzert organisiert, mit dem man den Nazi- und AfD-Kundgebungen jener Zeit machtvoll entgegentreten wollte.

Rund 65.000 Menschen kamen – und gingen wieder. So das Fazit von Kraftklub heute; eine Aktion, die symbolisch wirkte, eine Ahnung von Gemeinschaft und Solidarität aufkommen ließ, aber weder die Gesellschaft noch die Institutionen nachhaltig in Bewegung brachten. „Und nichts hat sich verändert / am vierten September“, heißt es daher im Lied.

„Wir haben nie als Band öffentlich über das Thema geredet, aber die Zeit damals war sehr intensiv für uns“, sagt Felix Kummer. „Das ist der Versuch, in Songform ein paar Dinge einzuordnen.“ Vor allem die Gefahr zu benennen, es sich nach solchen Aktionen schnell wieder bequem zu machen. Und Bequemlichkeit ist nichts, was man mit dieser Truppe in Verbindung bringen kann.

So reiben sie sich in „Angst“ mit Ironie an allem, was an meist eingebildeten Katastrophen dieses Land bedroht. „Doch Gott sei Dank, Mike und Frank verteidigen das Abendland.“ Der Sound ist untypisch, arg gebremst, es hallt gespenstisch und ein E-Piano setzt dicke Klangkleckse mittenrein. Von wegen nur immer feste auf die Zwölf – die Band gönnt sich schon ein paar Abweichungen und klangliche Schnörkel.

Hatte Felix Kummer noch 2012 in „Karl-Marx-Stadt“ eher grinsend festgestellt: „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer, Baby, original Ostler“ und damit das bundesweit gültige Gefühl beschrieben, in einer etwas abgehängten mittelgroßen Stadt aufzuwachsen, ist der Spaß nun vorbei. In „Wittenberg ist nicht Paris“ klingt er sarkastisch und ziemlich desillusioniert, was das Ost-West-Verhältnis betrifft.

Grundsätzlich ist fast alles deutlich weniger unbekümmert, dafür sprachlich geschliffener und macht eigene Positionen noch klarer.In den fünf Jahren zwischen „Keine Nacht für Niemand“ und dem neuen Album hat vor allem der Frontmann einiges ausprobiert. Mit seinem Solo-Projekt Kummer war er als Rapper äußerst erfolgreich. Das Album „Kiox“ schaffte es auf Platz eins der Charts, sämtliche Konzerte waren ausverkauft. „Kummer war angelegt als größtmöglicher Kontrast zu Kraftklub und irgendwann haben mir einfach die anderen gefehlt“, erinnert er sich. „Es gab keine große Wiedersehensfeier, aber als wir wieder zusammen im Proberaum standen, war klar, dass wir jetzt wieder zusammen sind. Eigentlich fühlte es sich an, wie nach Hause zu kommen.“

Das war im Sommer 2020, damals ging es auch gleich los mit der Arbeit an neuem Material. Mit einem prinzipiellen Unterschied zu früher: „Die Art, wie ich für Kummer getextet habe, hat auf jeden Fall abgefärbt“, so der Sänger. „Da habe ich auch gemerkt, dass ich die Texte, von denen ich dachte, dass sie zu nah an mir dran sind, durchaus auf einer großen Bühne vortragen kann.“

Kraftklub eröffneten am 21. September das Reeperbahn-Festival gemeinsam mit Sänger Bill Kaulitz (2. v l) auf der für den Verkehr gesperrten Reeperbahn.
Kraftklub eröffneten am 21. September das Reeperbahn-Festival gemeinsam mit Sänger Bill Kaulitz (2. v l) auf der für den Verkehr gesperrten Reeperbahn. © dpa

Sehr nah wirkt etwa „Kein Gott, kein Staat, nur du“, das Kummer im Duett mit Mia Morgan singt, deren zarte Stimme einen putzigen Kontrapunkt zur sonstigen Rüpel-Attitüde setzt. Zudem macht die Truppe klar, dass ein Liebeslied tatsächlich auch mit scherbelnden Gitarren trefflich funktionieren kann. Für etwas Aufsehen hatte im Vorfeld eine weitere Kooperation gesorgt. Bei „Fahr mit mir (4x4)“, eine Art Kurzversion von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, mischt Tokio-Hotel-Frontmann Bill Kaulitz mit und verpasst der Nummer dank seiner hauchig kippenden Interpretation einen originellen Kick.

Apropos Kick. Mag das Album auch keine musikalische Revolution darstellen, hat es doch viele In-den-Hintern-tret-Momente, inspiriert zu ein paar Auf- und Widerständen oder liefert wenigstens den passenden Soundtrack. Nie rutscht es ab auf die wirtschaftlich verheißungsvolle Schnulli-Pop-Ebene; allein das ist ein Feuerwerk wert. Und ein solches gibt es demnächst mitten in Dresden. Hier macht die Band zwar auf ihrer Hallen-Tour nicht halt, lässt aber nach dem Geheimkonzert vor der Scheune im Sommer die bislang größte Show in Ostdeutschland folgen. Mehr als 20.000 Fans werden dazu am 2. September die Flutrinne fluten. Und die neuen Songs sind perfekter Zündstoff für ein grandioses Spektakel.

Das Album: Kraftklub, Kargo. Universal

Das Open-Air-Konzert: 2. September 2023, 18 Uhr, Flutrinne/Ostragehege, Dresden; Karten gibt es im Netz.