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Zig Verfahren dank geknackter Krypto-Handys

In Dresden hat der erste EncroChat-Prozess begonnen. Ermittler jubeln, doch Verteidiger kritisieren die Beweise.

Von Alexander Schneider
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David R. (l.) schweigt zum Prozessauftakt am Landgericht Dresden, sein Verteidiger Michael Sturm kritisiert den Ermittlungseifer.
David R. (l.) schweigt zum Prozessauftakt am Landgericht Dresden, sein Verteidiger Michael Sturm kritisiert den Ermittlungseifer. © Arvid Müller

Am Landgericht Dresden hat am Mittwoch der Prozess gegen einen 31-jährigen Fitnesstrainer begonnen. Er soll mit größeren Mengen Crystal und Kokain gehandelt haben. Es ist der erste Prozess in Dresden, bei dem der Angeklagte durch die Entschlüsselung des sogenannten Krypto-Messengerdienstes namens EncroChat ins Visier der Ermittler geraten war. In Leipzig begann bereits vergangene Woche das erste EncroChat-Verfahren, diese Woche folgen dort zwei weitere Prozesse.

Für die Ermittler war die Entschlüsselung durch die französischen Behörden im vergangenen Jahr ein Glücksfall. Bundesweit wurden inzwischen mehr als 2.250 Ermittlungsverfahren eingeleitet, teilte das Bundeskriminalamt am Dienstag mit – Rauschgift- und , Waffenhandel, Korruption, Geldwäsche, Gewalt. Der zuständige Ermittler sprach vom „größten und komplexesten“ Verfahren gegen die Rauschgiftkriminalität in Deutschland.

Die Beschuldigten sollen stets über die als sicher geltenden Krypto-Messenger EncroChat kommuniziert haben. Das Unternehmen – in Polizeikreisen als „WhatsApp der organisierten Kriminalität“ bezeichnet – hat auch besonders modifizierte Telefone vermietet. Nach Angaben sächsischer Ermittler hatten sich die Nutzer das 3.000 Euro im Jahr kosten lassen.

Kritik an Übernahme der Daten aus Frankreich

Alle Verfahren gehen auf Kommunikation zwischen April und Juni 2020 zurück. Das ist der Zeitraum, den französische IT-Spezialisten im Rahmen eines eigenen Ermittlungsverfahrens gegen EncroChat entschlüsseln konnten. Dabei sind laut Medienangaben Daten von mehr als 32.000 EncroChat-Kunden in 121 Ländern bekannt geworden. Tausende Straftaten kamen so ans Licht, oft im Bereich der organisierten Kriminalität. In den Niederlanden sollen mehrere Auftragsmorde dank der Entschlüsselung verhindert worden sein. Auch der Anschlag auf den Reporter Peter R. de Vries in Amsterdam am Dienstagabend könnte im Zusammenhang damit stehen.

In Dresden wurden in diesem Jahr zwölf Anklagen gegen mutmaßliche Drogendealer erhoben, darunter der Fall des 31-Jährigen, der einschlägig vorbestraft ist. Strafverteidiger kritisieren jedoch die pauschale Übernahme der Datensätze aus Frankreich. Einen ersten Erfolg hatte ein Beschuldigter vergangene Woche am Landgericht Berlin, das die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt hat. Nach Ansicht der Richter unterlägen die Daten einem generellen Beweiserhebungsverbot, die Verwendung der Chats des Beschuldigten sei daher nicht zulässig.

Die Staatsanwaltschaft Dresden nennt diese Entscheidung einen Einzelfall. Alle anderen bekannten Land- und Oberlandesgerichte hielten die Verwertung für zulässig, so Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt auf SZ-Anfrage. Erst vor wenigen Tagen seien in Magdeburg zwei Angeklagte in EncroChat-Verfahren verurteilt worden.

Verbindung zur "KNM-Gang"

Der 31-jährige Fitnesstrainer David R. machte keine Angaben zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger Michael Sturm kritisierte den Ermittlungseifer der Behörden. Sein Mandant sitzt seit dem 4. Februar in Untersuchungshaft. Es sei der Verteidigung nicht möglich, die Erhebung der Beweise in Frankreich zu überprüfen. Sturm widersprach der Verwertung der Daten und lobte die Berliner Entscheidung. Christian Linhardt, Vorsitzender der Dresdner Kammer, teile diese Sicht vorerst nicht, wie er in mehreren Beschlüssen verkündete.

Laut Anklage soll David R. mehrfach Mengen von 100 bis 750 Gramm Crystal für 30 Euro pro Gramm ge- und für 37 Euro pro Gramm verkauft haben. Er habe den Stoff über Verdächtige bezogen, die aus dem Umfeld der Rapper-Gruppe „KMN-Gang“ seit Jahren justizbekannt sind – und die ebenfalls in U-Haft sitzen.

Die Angaben aus den Chats seien oft ungewöhnlich detailliert, weil sich die Verdächtigen besonders sicher gefühlt haben müssen. Der 31-Jährige konnte sehr schnell identifiziert werden. Er hatte in den Chats seine Adresse genannt und Fotos aus seiner Wohnung verschickt, so Ermittler. Darüber hinaus sollen auch Mitbeschuldigte gegen ihn ausgesagt haben. R. soll Drogen, eine Pistole und Rauschgift-Utensilien bei seinen Abnehmern deponiert haben.

Das Gericht hat vier Sitzungstage bis zum 16. Juli terminiert. Linhardt schließt jedoch nicht aus, dass die Beweisaufnahme nun länger dauern könnte.