Prozess um Lina E.: Die Motive des Kronzeugen

Dresden. Im Prozess gegen die mutmaßliche links-militante Gruppe um Lina E. ist die Vernehmung des Kronzeugen Johannes D. am Donnerstag fortgesetzt worden. Der 30-jährige Erzieher, ein früherer Mittäter der Gruppe, sagte vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden, Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz hätten noch in Polen zu ihm Kontakt aufgenommen.
Er sei im März dieses Jahres vor der Warschauer Kita, in der gearbeitet hatte, angesprochen worden. Die Beamten hätten ihn mit seiner Vergangenheit und seinen Strafverfahren konfrontiert und ihm zwei Tage Bedenkzeit eingeräumt, ob er sich ihnen und den Ermittlungsbehörden anvertrauen wolle. Ihm sei zu dem Zeitpunkt noch kein Kontakt zum Zeugenschutzprogramm oder gar eine neue Identität angeboten worden.
Es sei damals „Schlag auf Schlag“ gegangen, denn nur wenige Tage später im April sei er überraschend entlassen worden. Grund waren die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn sowie seine Vergangenheit in der linksextremen Szene. Für ihn habe im Mittelpunkt gestanden, auch künftig ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, so D. Schon zu Beginn seiner Vernehmung Ende Juli hatte er berichtet, wie er im Herbst 2021 in seiner Szene unter Druck geraten war, weil er Jahre zuvor angeblich seine Partnerin vergewaltigt haben soll. Das seien haltlose Vorwürfe, so der Zeuge. Am 4. März 2022 hat die Staatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
Angriff von polnischen Rechtsextremisten
Dennoch sei er von der Szene in Berlin, Nürnberg und Leipzig zur unerwünschten Person erklärt worden, habe „Stadtverbot“ bekommen. Hinzu kam ein sogenanntes Outing im Internet, wo die Vorwürfe gegen ihn ausgebreitet wurden und er identifizierbar war. Wegen dieser Sache sei er etwa Ende 2021 am Rande einer Demo in Warschau angeblich von polnischen Rechtsextremisten angegriffen und verfolgt worden. Sie sollen ihn angeblich aufgrund des Outings erkannt haben.
Offenbar hatte es nach dem Erstkontakt mit dem deutschen Verfassungsschutz mehrere Gespräche in Polen gegeben, ehe er Ende April nach dem Verlust seiner Stelle seine Zelte abbrach. Anfang Mai habe er sich an die Ermittlungsbehörden gewandt. D. bestätigte, dass er im Zeugenschutzprogramm sei.
Ihm seien für seine Aussage keine finanziellen Anreize gemacht worden, sagte er. Man habe ihm auch keine Strafmilderung für seine eigenen Verfahren angeboten. Andererseits sagte er, er lebe derzeit von 1.500 Euro monatlich, was seinem Nettogehalt in der Warschauer Kita entspreche.
Kronzeuge belastet Angeklagte
Woher das Geld stammt, ließ er offen. Die Fragen nach Anreizen - dazu könnten neben der Zahlung von Geld auch die angebotene Unterstützung bei der Wohnungs- und Jobsuche zählen - runter etwa sind für das Gericht wichtig, um die Glaubwürdigkeit des 30-Jährigen beurteilen zu können. D. bestätigte, dass der "bunte Blumenstrauß" an Möglichkeiten, die die Vorsitzende aufgezählt hatte, "ein Teil" der Anreize gewesen sei, die ihm angeboten worden seien. Mehr sagte er dazu jedoch nicht.
Der Kronzeuge hat bereit über mehrere Sitzungstage hinweg mit seiner Aussage die Angeklagten schwer belastet. Bei dem Überfall auf einen Eisenacher Gastwirt im Dezember 2019 etwa sei er als Beobachter mit von der Partie gewesen. Johann G., der Partner von Lina E., der seit Mitte 2020 auf der Flucht ist, habe ihn für diese Tat angeheuert, so D.
Die Leipziger Studentin Lina E. und drei Männer müssen sich seit einem Jahr wegen gefährlicher Körperverletzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Die Generalbundesanwaltschaft wirft ihnen ein halbes Dutzend gewalttätiger Überfälle auf tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten in Leipzig, Wurzen und Eisenach vor. Die Opfer waren zum Teil schwer verletzt worden. Am kommenden Donnerstag wird die Vernehmung des Kronzeugen durch die Verteidiger fortgesetzt. Auch sie dürften sich brennend für die Anreize der Behörden interessieren.