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Menschen mit Behinderung können mehr

In den speziellen Werkstätten nicht nur in Dresden wächst die Zahl psychisch Kranker.

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Dirk Schäfer leitet die Dresdner Werkstätten seit anderthalb Jahren.
Foto: SZ/Veit Hengst
Dirk Schäfer leitet die Dresdner Werkstätten seit anderthalb Jahren. Foto: SZ/Veit Hengst © SZ/Veit Hengst

Etwa 17.000 Menschen mit Behinderung arbeiten in Sachsen in besonderen Werkstätten. Sechs betreibt der Verein Lebenshilfe in Dresden. Hinzu kommt die Betreuung von Mitarbeitern in Betrieben. Dirk Schäfer leitet den Arbeitsbereich mit insgesamt 570 Mitarbeitern, davon 40 in der Berufsausbildung. Der 50-Jährige ist Ingenieur für Mechatronik mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung.

Werkstätten sollen den Wechsel zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten. Dieser Sprung gelingt deutschlandweit höchstens einem Prozent der Mitarbeiter. Wie ist das bei Ihnen?

Rund zehn Prozent unserer Mitarbeitenden sind im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt, im Krankenhaus, in der Altenpflege und in Industrieunternehmen. Sie gehören weiterhin zur Belegschaft der Werkstatt und werden von uns betreut. Sie erfahren öffentliche Anerkennung, und das tut jedem gut. Aber nicht jeder kann aufgrund seiner Einschränkungen einen solchen Weg gehen. Ein gewisses Maß an Selbstständigkeit ist Voraussetzung. Außerdem brauchen wir die Aufnahmebereitschaft des Firmeninhabers – und des jeweiligen Teams.

Manche Firmen kaufen sich lieber frei und zahlen eine Ausgleichsabgabe. Was sind die Gründe?

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Schon in der vierten Klasse wird aussortiert, wer im Schneller-höher-Weiter versagt. Auf dem Arbeitsmarkt geht es um größtmögliche Effektivität. Die Anforderungen werden immer komplexer. Da können unsere Leute oft nicht mithalten. Man muss sich Zeit für sie nehmen. Zeit ist das, was Firmen am wenigsten haben. Manche haben aber auch Berührungsängste oder wissen nicht, welche Zuschüsse und Fördergelder sie für einen Behinderten-Arbeitsplatz bekommen. Die kommunalen Betriebe in Dresden gehen mit gutem Beispiel voran. Sechs Prozent der Arbeitsplätze sind mit Menschen mit Behinderung besetzt. Sie können oft mehr, als ihnen zugetraut wird.

Viele sitzen mit Hartz IV im Rollstuhl zu Hause. Warum bekommen sie keinen Platz in der Werkstatt?

Ein Schwerbehindertenausweis ist kein Kriterium. Es muss eine Erwerbsunfähigkeit oder Erwerbsminderung vorliegen. Das heißt, dass die Betroffenen weniger als drei Stunden täglich am allgemeinen Arbeitsmarkt teilnehmen können.

Verändert sich Ihre Klientel?

Durch Präventivmedizin werden weniger Menschen mit einer Behinderung geboren. Dagegen wächst die Zahl jener, die wegen psychischer Erkrankungen, Depressionen oder Burnout aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausscheiden. Die wenigsten wollen dahin zurück. Meist besitzen sie eine gute Ausbildung und Berufserfahrung. Wir brauchen für sie andere Arbeitsfelder. Zum Beispiel arbeiten sie in unserer Fahrradwerkstatt oder in der Stuhlflechterei.

Gibt es genügend Aufträge?

Dieses Jahr sind wir ganz zufrieden. Wir suchen aber immer Aufträge mit hohen Stückzahlen und einfachen, sich wiederholenden Handgriffen. Im Bereich Konfektionierung und Montage arbeitet etwa die Hälfte unserer Mitarbeiter. Sie verpacken Seife oder bestücken Farbkästen, packen die Starterbeutel für Marathonläufer oder übernehmen den Postversand für Firmen und Vereine. In der Auftragslage spiegelt sich die Gesellschaft. Seit Verbraucher mehr aufs Geld schauen, ist etwa das Abfüllen von Gin-Gewürzen ausgelaufen.

Die geringe Bezahlung in den Werkstätten wird viel kritisiert. Wie regeln Sie das?

Wir verwenden 30 Prozent der Einnahmen für die Refinanzierung von Maschinen und zahlen 70 Prozent an die Mitarbeiter aus. Dabei setzen wir auf Querfinanzierung innerhalb der Werkstätten. Beim Recycling von Elektroschrott zum Beispiel ist das Ergebnis höher als in der Montage. Dort wird kaum das Grundentgelt erwirtschaftet. Es steigt nächstes Jahr deutschlandweit von 109 auf 126 Euro im Monat. Dazu kommt das staatliche Arbeitsförderungsgeld von 52 Euro und Steigerungsbeträge je nach Tätigkeit. Für die Mitarbeiter ist das wie ein Taschengeld zusätzlich zu Grundsicherung und Wohngeld oder zur Erwerbsunfähigkeitsrente.

Was halten Sie von Mindestlohn oder Grundeinkommen in den Werkstätten?

Sehr viel – wenn der Staat dafür aufkommt. Wir selbst könnten das nicht erwirtschaften. Manchmal bringt ein Auftrag kaum mehr ein, als wir für den Transport von Material und Waren bezahlen. Es wäre auch schwierig, Arbeitsstunden zu berechnen, wenn in der Arbeitszeit berufsbegleitende Kurse laufen für Lesen, Rechtschreibung, Computer, Bewegungstherapie oder Schwimmen.

Das Gespräch führte Karin Großmann.

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