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Mit 17 im Militär-Camp: Ein Bund fürs Leben?

Wer zur Bundeswehr geht, wählt einen gefährlichen Beruf. Wie gewinnt man die Jugendlichen der Generation Z dafür? Vielleicht mit einem Ferienlager? Besuch in einer Kaserne im sächsischen Delitzsch.

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Greta wird von einem anderen Teilnehmer geschminkt. „Dafür, dass ihr noch keine richtigen Soldaten seid, macht ihr das gut“, sagt der Ausbilder.
Greta wird von einem anderen Teilnehmer geschminkt. „Dafür, dass ihr noch keine richtigen Soldaten seid, macht ihr das gut“, sagt der Ausbilder. © Nora Ederer

Von Nora Ederer

Es ist frühmorgens an einem Mittwoch Anfang Juli, als 54 Jungen und Mädchen in Tarnanzügen mit Deutschlandflaggen auf den Ärmeln aufmarschieren. Die Jugendlichen, zwischen 15 und 18 Jahren alt, haben sich beim Feldwebel-Boldt-Camp angemeldet, einer Art Ferienlager, organisiert von der Bundeswehr. Fünf Tage verbringen sie in der Kaserne in Delitzsch, ein paar S-Bahn-Stationen vom Leipziger Hauptbahnhof entfernt. Sonst werden hier Unteroffiziere ausgebildet.

Das Ziel des Camps, das die Bundeswehr nennt: Soldatenleben schnuppern, mit Lagerfeuer, Volleyballturnier und einer Nacht im Zelt. Das Ziel, das die Bundeswehr nicht nennt: sich zur Armee melden. Im Ernstfall seine Gesundheit aufs Spiel setzen, das womöglich mit dem Leben bezahlen.

Es ist ein Spagat: genug Einblick gewähren, um Anreize zu schaffen, aber nicht so viel, dass die Teenager verschreckt werden. Krieg, Tod, Anschläge, Amputationen sind Worte, die das tun. Werden sie vorkommen? Oder anders gefragt: Wie gewinnt man die Generation Z für einen der gefährlichsten Berufe der Welt?

Körperliche Fitness kann man trainieren, sagt der Leiter der Unteroffiziersschule. „Ich habe mehr Probleme mit demjenigen, der mit den mentalen Dingen nicht klarkommt.“
Körperliche Fitness kann man trainieren, sagt der Leiter der Unteroffiziersschule. „Ich habe mehr Probleme mit demjenigen, der mit den mentalen Dingen nicht klarkommt.“ © Nora Ederer

Es ist der dritte Tag im Ferienlager. Heute dürfen Journalisten dabei sein, genauer gesagt: Sie dürfen eine Gruppe ausgewählter Teilnehmer an mehrere Stationen begleiten. Die Bundeswehr möchte nicht den Eindruck erwecken, das Anwerben finde hinter verschlossenen Türen statt.

8.30 Uhr auf einer Wiese. Dreizehn Jugendliche stehen in einer Reihe, neun Jungs, vier Mädchen. Am ersten Tag wurden alle in vier Gruppen eingeteilt, jede wird von einem Ausbilder geleitet. Greta steht am Ende der Reihe. Das Presseteam der Bundeswehr hat sie als Protagonistin organisiert. Sie ist 17 Jahre alt und aus Sachsen-Anhalt. Und ziemlich sicher, dass sie bei der Bundeswehr anfangen will. Anders als andere Campteilnehmer.

„Bevor wir starten“, sagt der Gruppenführer, „müssen wir uns der Umgebung anpassen.“ Er holt Plastikdosen mit Tarnschminke aus dem Rucksack, dunkles Grün und Schwarz. Die Jugendlichen sollen sich gegenseitig bemalen, in der „Buddy-Position“, wie er es nennt. Greta schmiert dem Jungen neben sich Farbe ins Gesicht. „Wir sollen nicht zu viel Schwarz nehmen, weil das sonst auffällt, wenn man sich hinter einem Baum versteckt“, sagt sie. So habe es der Gruppenführer vorhin erklärt. „Bei manchen sieht’s schon aus wie bei Picasso“, kommentiert der nun. „Dafür, dass ihr noch keine richtigen Soldaten seid, macht ihr das gut.“

Bundeswehr will attraktiver Arbeitgeber sein

Wenn es nach der Bundeswehr geht, sollen die Jugendlichen genau das werden: richtige Soldaten. Seit gut zwei Jahren herrscht Krieg in Europa. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „Zeitenwende“, im Juni kündigte sein Parteigenosse und Verteidigungsminister Boris Pistorius einen „Neuen Wehrdienst“ an. Pro Jahr sollen rund 5.000 Menschen mehr ausgebildet werden als bisher. Dafür braucht es geeignetes Personal, und weil Pistorius niemanden zum Wehrdienst zwingen will, muss sich die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber präsentieren.

8.40 Uhr, auf der Wiese sehen inzwischen alle gleich aus: Jungen, Mädchen, Bäume, Büsche. Die nächste Station ist eine Hindernisbahn. Greta liegt auf einem Balken, gut zwei Meter über dem Boden. Sie hat sich auf den Bauch gelegt, ihre Beine baumeln über dem Abgrund. „Schön konzentrieren“, ruft der Gruppenleiter, „vorsichtig“. Sie umklammert den Balken, sinkt langsam nach unten, wie nach einem Klimmzug, lässt sich auf die Füße fallen. Es knirscht.

© Nora Ederer

„Go!“ Greta dreht sich um und sprintet los, die Zöpfe schlagen ihr gegen den Rücken. Nach 5 Minuten und 37 Sekunden haben alle im Team die Bahn geschafft. Wer später die militärische Grundausbildung macht, muss den Parcours in unter zwei Minuten bewältigen. Greta findet es „sehr cool“, dass sie bei der Bundeswehr während der Arbeitszeit Sport machen kann. Man würde sie gerne fragen, warum sie eine Hindernisbahn einer Turnhalle vorzieht, doch das ist gar nicht so leicht. Drei Mitarbeiter des Bundeswehr-Presseteams begleiten die Journalisten auf Schritt und Tritt.

Kommt man mit Campteilnehmern ins Gespräch, steht sofort ein Sprecher daneben. Teilweise greifen sie ein, unterbinden Fragen zur Wehrpflicht oder korrigieren die Wortwahl. Man fragt sich, welches Szenario die Bundeswehr versucht zu verhindern.

9.40 Uhr, eine Wiese am Waldrand. Die Jugendlichen sollen mehrere Hundert Meter weit Kisten tragen – als Team. „Wenn einer nicht mehr kann, wird was gemacht?“, fragt der Ausbilder an der Station. Jemand murmelt etwas, sonst sind alle still. „Helfen, unterstützen“, sagt er. „So, Material aufnehmen und bis zu dem zweiten Schild transportieren. Aber ruhig und langsam. Ich möchte nicht, dass jemand umknickt.“

Sicherheit gehe hier vor Schnelligkeit, erklärt er den Journalisten. „Wenn jemand beim Notarzt landet, sagen die Eltern: Nee, zur Bundeswehr geht das Kind nicht.“

10.20 Uhr, Hauptmann H. steht auf einer Lichtung zwischen Birken und Brombeersträuchern. Er ist Karriereberater bei der Bundeswehr. So hat er Greta kennengelernt, bei einem Vortrag an ihrem Gymnasium. Eigentlich wollte sie Hebamme werden. Doch sie schaute für ein Beratungsgespräch in seinem Büro in Halle vorbei – und bekam eine Einladung zum Ferienlager.

„Das ist kein Abenteuerurlaub hier“

Spielt Krieg im Camp eine Rolle, möchte man vom Hauptmann wissen. „Nur, wenn mich die Teilnehmer fragen, ob ich mal im Auslandseinsatz war.“ Und, war er? „Zwei Mal in Afghanistan.“ Wie war das? Der Hauptmann atmet lange aus. „Ich bin gut durchgekommen, aber man lernt das, was wir hier haben, zu schätzen.“

Verharmlost das Ferienlager das Soldatenleben nicht? „Das ist kein Abenteuerurlaub hier“, sagt er. Zudem müssten alle, die beim Camp mitmachen, ein Beratungsgespräch absolvieren. Fester Bestandteil sei es, über die Risiken des Soldatenberufs aufzuklären. Auch Auslandseinsätze würden thematisiert. „Es muss sich jeder damit auseinandersetzen, dass nicht nur harmlose Action stattfindet.“

10.35 Uhr, Greta steht abseits der Gruppe mit einem Kamerateam von Sky News. „Was hat dein Interesse am Militär geweckt?“, fragt die Reporterin. „Mein Vater war vor vielen Jahren beim Militär“, antwortet Greta. Er sei als Gebirgsjäger in Bad Reichenhall stationiert gewesen und schwärme bis heute von dieser Zeit.

„Wenn du mit deinen Freunden über das Militär sprichst, wie beliebt ist es als Arbeitgeber? Gibt es viele, die da hinwollen?“

„Nein. Ich glaube, einer meiner Klassenkameraden denkt darüber nach. Aber sonst niemand.“

„Warum, denkst du, schließen sich im Moment nicht mehr an?“

„Sie wissen nicht, welche Möglichkeiten sie haben. Wahrscheinlich denken sie, sie kommen her und müssen in den Krieg ziehen. Das klingt natürlich nicht so toll.“

Am Ende fragt die Reporterin: „Bist du bereit, für dein Land zu kämpfen?“ Und Greta antwortet: „Ich würde es tun, ja.“

Wie man Karten liest, wird im Ausbildungscamp vor Journalisten gezeigt. Wer etwas über die Wehrpflicht sagen darf und wer nicht, entscheidet aber die Pressestelle.
Wie man Karten liest, wird im Ausbildungscamp vor Journalisten gezeigt. Wer etwas über die Wehrpflicht sagen darf und wer nicht, entscheidet aber die Pressestelle. © Nora Ederer

Am Nachmittag sagt Greta, dass es „natürlich eine beängstigende Situation“ wäre, wenn sie für Deutschland in den Krieg ziehen müsste. „Aber so blöd das klingt: Dann wär’s halt so. Man weiß vorher, auf was man sich einlässt.“ Wenn sie einen Vertrag bei der Bundeswehr unterschreiben sollte, umfasse das sowohl die Bereitschaft zum Wehrdienst als auch zu Auslandseinsätzen. Voraussetzung: Greta ist volljährig. Die Allgemeine Grundausbildung dauert drei Monate, am Ende leistet man einen Eid. Es folgen drei Monate Spezialgrundausbildung beim Heer, der Marine oder Luftwaffe, womöglich weitere Lehrgänge oder ein Studium – je nach Berufsziel.

Greta interessiert sich für eine Offizierslaufbahn. Dafür würde sie neben der militärischen Ausbildung mindestens vier Jahre an einer Bundeswehr-Uni studieren.

Niemand werde direkt nach der Allgemeinen Grundausbildung ins Ausland geschickt, heißt es von der Bundeswehr. Aber nach ihrer militärischen Ausbildung könnte sich Greta einem Auslandseinsatz kaum entziehen. Würde Deutschland angegriffen und müsste sich verteidigen: Dann könnte Greta schon ab ihrem ersten Tag bei der Bundeswehr an der Front eingesetzt werden. Zur Not ohne militärische Grundausbildung.

11 Uhr, ein Feldweg im Wald. Till, der Assistenten des Gruppenführers, ist 20 Jahre alt und leistet freiwillig Wehrdienst. Ursprünglich sei es sein Vater gewesen, der ihn motiviert habe, zum Militär zu gehen, sagt er. Überzeugt habe ihn am Ende das Feldwebel-Boldt-Camp vor zwei Jahren. In den Sommerferien habe er nichts vorgehabt, er wollte sich ein Bild machen, und dann fand er die Uniform nicht schlecht. „Für mich sah das richtig cool aus, und ich dachte, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, etwas für Deutschland zu tun.“