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Neubauer: Politik muss Bürgern dienen

Dirk Neubauer ist in zweiter Amtszeit Bürgermeister von Augustusburg. Jetzt fordert er, Amtszeiten in der Politik zu begrenzen. Und er hat weitere Vorschläge.

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Dirk Neubauer (SPD), Bürgermeister der Stadt, steht vor dem Schloss Augustsburg.
Dirk Neubauer (SPD), Bürgermeister der Stadt, steht vor dem Schloss Augustsburg. © Jan Woitas/dpa-Zentralbild

Augustusburg. Ein immer tieferer Graben zwischen Bürgern und Politik, eine aus den Fugen geratene Bürokratie und Bevormundung der Bürger. Dirk Neubauer zeichnet den aktuellen Zustand des Landes in düsteren Farben. "Die Demokratie stirbt", warnt der Bürgermeister von Augustusburg bei Chemnitz in seinem neuen Buch. Denn zu lange seien grundlegende Probleme im Land ignoriert worden, schreibt der Sozialdemokrat. Das habe die Corona-Pandemie und der Umgang mit ihr schonungslos offengelegt. Doch nicht AfD oder "Querdenker" seien es, die Land und Demokratie gefährdeten, betont der 50-Jährige: "Es ist das politische System selbst, das dies alles zu verantworten hat."

Neubauer, 1971 in Halle/Saale geboren, ist alarmiert und zieht Parallelen zum Ende der DDR. Denn vor allem im Osten rumort es. Hier ist die AfD seit Jahren besonders erfolgreich, hier treibt derzeit Woche für Woche zigfach in vielen Städten Wut und Frust Bürger zu Kundgebungen oder Autokorsos. Die Situation habe das Potenzial, das gesamte Land mitzureißen, mahnt Neubauer, der früher als Journalist gearbeitet hat, mit Blick auf 1989: "Denn hier haben die Menschen eine tiefgreifende, epochale Erfahrung gemacht: Kollektive Verweigerung kann Systeme stürzen."

Seine Zustandsbeschreibung ist jedoch kein Selbstzweck. Neubauer will aufrütteln, einen Weckruf starten, einer Debatte über Veränderungen anstoßen, "Rettet die Demokratie!" lautet daher der Titel seines zweiten Buches. "Es ist noch Zeit, etwas zu tun", betont er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Was aus seiner Sicht falsch läuft, schildert er im Buch anhand zahlreicher Beispiele aus seiner inzwischen mehr als siebenjährigen Erfahrung als Bürgermeister und seinem parteipolitischen Engagement. Dabei hält er sich nicht mit Kritik an der eigenen Partei und der Koalition in Dresden zurück.

Aus diesen Erfahrungen und Beobachtungen leitet Neubauer die Therapie ab, die dem "Patienten Demokratie" verabreicht werden soll. Vor allem geht es um eine Stärkung von Städten und Gemeinden, weil dort die Bürger ganz konkret an Entscheidungen teilhaben und demokratische Prozesse erleben könnten. Die Kommune sei "Herzkammer der Demokratie".

Forderungen auch an sich selbst gerichtet

So müssten mehr Entscheidungen autonom vor Ort getroffen werden können. Statt unzähliger aufwendiger Förderprogramme solle den Gemeinden pauschal mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, mit dem sie eigenständig ihre Projekte forcieren könnten. Und Politik soll Berufung statt Beruf sein - nicht nur Nebentätigkeiten müssten stark beschränkt, sondern auch Amtszeiten auf maximal zwei Wahlperioden begrenzt werden. Um die Beteiligung der Menschen an der Entscheidungsfindung zu stärken, spricht er sich für Bürgerräte aus, deren Besetzung zufällig ausgewählt wird. Sie sollen nicht nur auf kommunaler und regionaler Ebene tätig werden, sondern auch den Fraktionen im Landtag zur Seite gestellt werden. Denn zu oft würden bei Entscheidungen Verbände, nicht aber die Bürger selbst angehört.

Auch wenn einige Ideen nicht unbedingt neu sind, vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen als Beobachter, Praktiker in einer 4.500-Einwohner-Stadt und als Politiker mit Einblicken in Partei- und Gremienarbeit liefert Neubauer Denkanstöße. Und er zeigt nicht nur mit dem Finger auf die Politik, sondern fordert auch die Bürger zu mehr Eigenverantwortung auf - wie schon in seinem ersten Buch "Das Problem sind wir" (2019). Sich selbst nimmt er dabei von seinen Forderungen nicht aus und kündigt an, nach zwei Amtszeiten in sechs Jahren nicht wieder als Bürgermeister in Augustusburg zu kandidieren.

"Rettet die Demokratie!" ist - wie auf dem Titel prangt - eine Streitschrift, die zur Debatte, zum Widerspruch herausfordern will. Denn weitere Perspektiven sind nötig. Neubauers Analyse ist ein wichtiger Beitrag aus einer Sicht der Ost-Bundesländer, basiert auf den Erfahrungen der Menschen dort mit dem Ende der DDR und dem weit größeren Zuspruch für die AfD als bundesweit.

Beim Rumoren im Land fokussiert er sich vor allem auf diese Partei und dem Spektrum etwa der sogenannten Querdenker. Anders geartete Bewegungen aus jüngster Zeit wie Fridays for Future bleiben dagegen eher unbeachtet. Dabei sind auch sie Ausdruck eines Rumorens angesichts von Versagen des Staates und der Politik in der Klima-Krise. Und die damit verbundenen Herausforderungen scheinen in den kommenden Jahrzehnten global noch weitaus größer als die der Corona-Krise aktuell. (Andreas Hummel, dpa)