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Politik in Sachsen – Die Morgenlage

+++ Verfassungsschutz: Extreme Ränder erstarken +++ Landesregierung verurteilt antisemitischen Vorfall +++ Wirtschaft teilweise für Impf-Auskunftspflicht +++

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Sachsens Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian (r.), und Innenminister Roland Wöller haben am Dienstag den neuen Verfassungsschutzbericht vorgestellt.
Sachsens Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian (r.), und Innenminister Roland Wöller haben am Dienstag den neuen Verfassungsschutzbericht vorgestellt. © dpa-Zentralbild

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Guten Morgen,

manchmal treffen zwei Ereignisse wie zufällig aufeinander. Manchmal erzählen sie gemeinsam eine Geschichte. Und plötzlich spielt die eine die traurige "Hintergrund-Musik" für die andere traurige Geschichte. Gestern war so ein Tag.

Am Mittag stellte Innenminister Roland Wöller in der Kabinettspressekonferenz den Verfassungsschutzbericht 2020 vor. Kurzes Fazit: Vor allem die Gefahr von Rechts habe sich in Sachsen deutlich verschärft, die Zahl gewaltbereiter Extremisten sei deutlich gestiegen. Noch in der gleichen Pressekonferenz musste Wöller dann Stellung nehmen zu einem Vorfall, der sich kurz zuvor rasend schnell durch Twitter, Facebook und Instagram verbreitet hatte: Der Sänger Gil Ofarim erzählt in einem Video, wie er in einem Leipziger Hotel dazu gedrängt wird, seine Halskette mit dem Davidstern abzulegen – erst dann könne er einchecken.

Bei aller Fassungslosigkeit für das Vorgehen eines Rezeptionisten, bei aller Scham für den antisemitischen Vorfall in Sachsen – das Schweigen der amerikanischen Hotel-Kette ist dabei schwer zu ertragen. Man sei "besorgt" über den Bericht und nehme "diese Angelegenheit extrem ernst", hieß es von dort lediglich. Ziel sei es, alle Gäste und Mitarbeiter zu "integrieren, zu respektieren und zu unterstützen, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören." Mehr nicht, bis zum Abend. Erst dann hieß es, dass die "betreffenden Mitarbeiter" beurlaubt seien.

Das Bürger-Bündnis "Leipzig nimmt Platz" reagierte gestern bereits am Nachmittag, kündigte eine Demonstration vor dem Leipziger Hotel an. Danke.

Herzlichst,

Ihre Annette Binninger, Leiterin Politikredaktion sächsische.de


Die wichtigsten News am Morgen

+++ Verfassungsschutzbericht: Linke und rechte Ränder erstarken +++

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sieht die Gesellschaft durch Extremisten bedroht. "Unsere Demokratie war in jüngster Zeit noch nie so gefährdet wie aktuell", sagte er am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in Dresden. Sowohl die linken wie auch die rechten Ränder erstarkten. Rechtsextremisten und Reichsbürger hätten Maßnahmen des Staates in der Corona-Pandemie genau wie Teile der gesellschaftlichen Mitte in Frage gestellt, erläuterte Wöller. Rechte suchten den "Schulterschluss zur Mitte". Der Minister äußerte sich auch besorgt über eine zunehmende Radikalisierung Linksextremer. Leipzig sei neben Hamburg und Berlin zu einem bundesweiten Hotspot linksextremistischer Gewalt geworden.

Laut Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian wuchs die rechtsextreme Szene in Sachsen im Vorjahr auf 4.800 Personen an (2019: 3.400). Hintergrund sei die hohe Anzahl von Anhängern des AfD-"Flügels", der seit März 2020 Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern ist. Der linksextremen Szene werden in Sachsen 800 Personen zugerechnet (2019: 760). 465 seien gewaltorientiert. Die Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten sei 2020 in Sachsen im Vergleich zum Vorjahr zwar zurückgegangen, doch die Zahl der Gewaltdelikte habe sich nahezu verdoppelt. Dem islamistischen Extremismus rechnet der Verfassungsschutz in Sachsen 525 Personen zu. Hier habe es eine Steigerung von fünf Prozent gegeben.

In einer Reaktion verweist die Linkspartei darauf, dass die größte Gefahr von der extremen Rechten ausgehe. Aufhorchen lasse, dass der AfD-"Flügel" in Sachsen mit 1.400 Mitgliedern noch deutlich stärker sei als bislang angenommen. Die AfD hingegen teilte mit, dass Sachsen in erster Linie ein Problem mit dem Linksextremismus habe. Die Vorwürfe gegen einzelne AfD-Vertreter seien "an den Haaren herbeigezogen". Aus der CDU hieß es unter anderem: "Jede Form von Extremismus, ganz gleich ob religiös oder politisch motiviert, muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln auf das Schärfste bekämpft werden."

+++ Landesregierung verurteilt antisemitischen Vorfall +++

Der Musiker Gil Ofarim ist offenbar in Leipzig Opfer von antisemitischen Anfeindungen geworden. Am Montagabend, so postete er Dienstagfrüh auf Instagram, habe er große Probleme bekommen, in das Westin-Hotel einzuchecken. Zunächst habe es eine lange Schlange wegen eines Computerproblems gegeben, doch dann seien immer wieder andere Gäste vorgezogen worden. Als er endlich drankam, habe er gefragt, was los sei und warum andere vorgezogen würden. Daraufhin habe ein Mitarbeiter zunächst nur gesagt, dass man die Schlange entzerren wollte. Doch irgendjemand habe aus einer Ecke gerufen: "Pack deinen Stern ein!" Gemeint war offenbar der Davidstern, den Ofarim gut sichtbar als Kette trägt. Der Mitarbeiter habe hinzugefügt: Wenn er den Stern einpacke, dürfe er einchecken.

Ein Sprecher des Westin Leipzig sagte, dass man sehr besorgt über den Bericht sei und die Angelegenheit extrem ernst nehme. Das Unternehmen versuche, Ofarim zu kontaktieren, um herauszufinden, was passiert sei. Die Bild-Zeitung und die Leipziger Volkszeitung berichteten, dass das Hotelmanagement "die betreffenden Mitarbeiter" beurlaubt haben soll. Per Twitter äußerten sich unter anderem der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sowie Sachsens Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) und Justizministerin Katja Meier (Grüne) bestürzt über den Vorfall. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hofft darauf, dass der Musiker Anzeige erstattet, damit man den Vorgang polizeilich untersuchen könne. "Sachsen ist ein weltoffenes Land", betonte Wöller. Die Leipziger Staatsanwaltschaft prüft den Fall.

Ofarim selbst wollte sich zu dem Vorfall am Dienstag zunächst nicht äußern. Sein Management teilte mit, dass er die Vorkommnisse in Leipzig erst einmal verdauen müsse und sichtlich schockiert sei. Am Dienstagabend nahmen Hunderte Menschen an einer Solidaritätskundgebung mit Jüdinnen und Juden in Deutschland vor dem Hotel teil, zu der das Bündnis "Leipzig nimmt Platz" aufgerufen hatte.

+++ Impfauskunft: Wirtschaft unterstützt Kretschmer teilweise +++

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stößt mit seinem Plädoyer für eine erweiterte Impf-Auskunftspflicht für Beschäftigte auf ein geteiltes Echo. Während Wirtschaftsverbände hinter dem Ansinnen stehen, lehnen es die Gewerkschafter ab. "Wenn der Impfstatus das entscheidende Kriterium sein soll, muss er auch umfassend zur Anwendung kommen können – auch in den Betrieben und Einrichtungen“, heißt es von der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft (VSW). Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach hat hingegen "große Bedenken, einen solchen Vorschlag umzusetzen". "Mit der Impfauskunft wird eine rote Linie überschritten", warnt er. Ablehnung kommt laut Leipziger Volkszeitung auch von einzelnen Unternehmen, wie BMW, Konsum und Nomos. Die AfD-Fraktion im Landtag kritisierte, dass Kretschmer bestehende Gesetze missachte, wie es laut Mitteilung hieß.


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