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Politik in Sachsen – Die Morgenlage

Piwarz contra Kretschmer bei Waffenlieferungen + Probleme bei Flüchtlingsaufnahme + Lebensmittelpreise: Minister kontert AfD-Kritik

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Ministerpräsident Michael Kretschmer und sein Kultusminister Christian Piwarz - hier bei dessen Ernennung zum Minister 2017 - sind sich in der Frage der Waffenlieferungen für die Ukraine uneins. Leidet darunter die Regierungsarbeit in Dresden?
Ministerpräsident Michael Kretschmer und sein Kultusminister Christian Piwarz - hier bei dessen Ernennung zum Minister 2017 - sind sich in der Frage der Waffenlieferungen für die Ukraine uneins. Leidet darunter die Regierungsarbeit in Dresden? © SAE Sächsische Zeitung

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Guten Morgen,

nicht nur die Rente soll in Deutschland sicher sein. Jedenfalls hat das "Nobbi" Blüm 1982 den (West-)Deutschen versprochen. Wenn man sich auf eins verlassen kann, dann ist es vor allem die deutsche Bürokratie. Vielfach geschmäht, immer wieder gern als "Jagdziel" im Wahlkampf erklärt – den Abbau von Bürokratie versprechen eben alle gern mal. Auch wenn so nett klingende Versuche wie der "Paragrafenpranger" in Sachsen vor Jahren auch nur Nerven getötet, aber kaum einen Paragrafen unbürokratisch das Leben gekostet hat.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass leider auch im Fall der ukrainischen Flüchtlinge inzwischen eine ganze Menge bürokratischer Hindernisse zu einer mancherorts schier unüberwindlichen Mauer angewachsen sind. Man erinnere sich nur an die "Bettensteuer" für Flüchtlinge in Dresdner Privatquartieren. An den täglichen Stau vor dem Sozialamt der Landeshauptstadt. Auch die Registrierung ist noch immer vielerorts ein Nadelöhr. Dabei fragt man sich: Hätte die Digitalisierung nicht schon durch die Erfahrung im Flüchtlingsjahr 2015 eigentlich einen deutlichen Schub bekommen müssen? Und dass man mancherorts erstmal pro Person 15 Euro für die Anfertigung eines biometrischen Fotos abverlangt, bevor die Registrierung überhaupt läuft – spätestens dann können wir getrost sagen: Ja, wir sind in Deutschland. Wo alles geregelt zugeht. So, wie es ja auch sein soll. Aber bitte: in Maßen.

Denn das Bürokraten-Wirrwarr sorgt zunehmend für Verärgerung und Enttäuschung – nicht nur bei den Flüchtlingen. Auch bei den Sachsen, die vor Wochen spontan und mit viel Mitgefühl – im wahrsten Sinne des Wortes – zuhause zusammengerückt sind und völlig Fremde bei sich aufgenommen haben. Diese Menschen sind in Vorleistung gegangen, manche weit hinaus über eigene finanzielle Möglichkeiten. Jetzt werden sie zu oft alleingelassen. Sie dauerhaft zu enttäuschen, sollte niemand riskieren. Schließlich weiß man nicht, wann man so engagierte Bürgerinnen und Bürger mal wieder dringend braucht.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende,

herzlichst,

Ihre Annette Binninger, Leiterin Politikredaktion sächsische.de

Die wichtigsten News am Morgen

+++ Waffenlieferung: Piwarz widerspricht Kretschmer +++

Die unterschiedliche Sicht auf den Umgang mit Russland wird auch in Sachsens Landeskabinett immer deutlicher. Nicht nur SPD und Grüne ticken dabei anders als Regierungschef Michael Kretschmer. Auch CDU-Kultusminister Christian Piwarz unterscheidet sich in der Frage der Waffenlieferungen von seinem Chef. Piwarz, der in der Sachsen-Union bereits mehrfach für andere, noch zentralere Ämter gehandelt wurde, unterzeichnete eine Petition, die sich "ein anderer offener Brief an Olaf Scholz" nennt. Darin wird die rasche Ausstattung der Ukraine mit Waffen gefordert. Zudem machen sich die Unterzeichner für ein Energieembargo gegenüber Russland stark. Doch ist damit das politische Geschäft gefährdet? Nein, analysiert Saechsische.de-Reporter Thilo Alexe. Denn Außenpolitik wird in Berlin gemacht. Daher sind die unterschiedlichen Sichtweisen auch innerhalb des sächsischen Kabinetts nicht unbedingt ein Hemmschuh für die alltägliche Arbeit. Zumal Kretschmers Position keine isolierte ist.

+++ Viele Behörden mit Registrierung überfordert +++

Nachdem die Stadt Dresden angekündigt hat, keine Ukraine-Flüchtlinge mehr direkt aufzunehmen (alle wichtigen Fragen zum Aufnahmestopp beantwortet sächsische.de hier), planen andere Städte und Kreise zunächst keine ähnlichen Schritte, berichten zum Teil aber von großen Problemen bei der Registrierung der Menschen. So melden Landkreise wie Görlitz und Bautzen massive Schwierigkeiten, in Leipzig wird darüber hinaus der verfügbare Wohnraum knapp, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet. Für die betroffenen Kriegsflüchtlinge bedeutet das eine zusätzliche Verzögerung, da sie nur über eine Registrierung in einer Kommune Zugang zu einer eigenen Wohnung erhalten oder der Schulbesuch organisiert werden kann.

Es gibt aber auch positive Beispiele, wie die Geschichte von Oksana Polikovska zeigt. Die Ukrainerin war eine der ersten Flüchtlinge in Görlitz. Nun arbeitet sie in der Ausländerbehörde, wo sich die Flüchtlinge registrieren.

In den Erstaufnahmeeinrichtungen sind nach Zahlen der Landesdirektion 2.679 Ukraine-Flüchtlinge untergebracht. Dazu kommen 2.643 Asylbewerber. Insgesamt verfügen alle Erstaufnahmeeinrichtungen zusammen über 8.903 Plätze. "Wir arbeiten daran, so viele Flüchtlinge wie möglich, so bald wie möglich von dort auf die Kommunen zu verteilen", erklärt der Sprecher der Landesdirektion, Holm Felber. Seinen Angaben nach wurden bisher 43.709 Ukraine-Flüchtlinge im Freistaat registriert. Dazu kommt eine nicht bekannte Zahl von unregistrierten Geflüchteten im Land. Die Zahl der ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainer in Sachsen nimmt aber weiter ab. Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg gibt es in unserem Newsblog.

+++ Flüchtlinge: Ausländerbeauftragter fürchtet Chaos +++

Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth (CDU) beklagt Mängel bei der Integration von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine in Sachsen. "Es rumpelt", schreibt er in einer Stellungnahme. "Lange Wartezeiten, überbordende Bürokratie und umständliche Prozeduren bei der Registrierung, komplizierter Zugang zu medizinischen Leistungen, fehlende und undurchsichtige Informations- und Hilfsangebote für Gastgeber wie Gäste", listete Mackenroth Probleme auf. Nach wie vor fehle eine dringend nötige zentrale Hotline. Umzüge würden teils ohne sensible Einzelfallprüfung angeordnet. "Es fehlt an ausreichend Sprachkursen und damit der zentralen Voraussetzung für die spätere Arbeitsaufnahme." Mackenroth befürchtet zudem Chaos, wenn die Flüchtlinge ab September in das reguläre Sozialleistungssystem rutschen.

+++ Lebensmittelpreise: Minister kontert AfD-Kritik +++

Die AfD im Landtag sieht eine Nahrungsmittelkrise und macht dafür die Politik auch in Sachsen verantwortlich. "Auf vielen Flächen werden Mais und Raps angebaut, die nicht auf dem Teller landen, sondern in der Stromerzeugung oder im Benzintank. Die neueste Vernichtung von Ackerfläche geschieht durch riesige Solaranlagen", erklärte der Abgeordnete Jörg Dornau am Donnerstag bei einer von der AfD beantragten Debatte im Landtag. Für die Energiewende dürften nicht noch mehr landwirtschaftliche Flächen zweckentfremdet werden.

Agrarminister Wolfram Günther (Grüne) warf der AfD Panikmache vor. "Die Versorgung in diesem Land ist gesichert." Alles andere sei Schwachsinn. Es gebe in Deutschland einen sehr hohen Selbstversorgungsgrad gerade bei Grundnahrungsmitteln. "Deswegen müssen wir hier keinen Hunger leiden. Wir sind, was das anbelangt, autark." Die Ursache der momentanen Preissteigerungen bei Lebensmitteln sei ein verbrecherischer Angriffskrieg des von der AfD "hochgeschätzten Diktators Putin" gegen die Ukraine. Doch darüber verliere die AfD kein Wort.


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