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Tag des offenen Regierungsviertels: Hunderte wollen Kretschmer sehen

In Dresden öffneten am Sonntag die Ministerien für Besucher ihre Türen. Für Sachsens Ministerpräsidenten ging es dabei ungewohnt harmonisch zu.

Von Leon Heyde
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Im Eingangsbereich der Dresdner Staatskanzlei versuchten viele Besucher, mit Michael Kretschmer ins Gespräch zu kommen.
Im Eingangsbereich der Dresdner Staatskanzlei versuchten viele Besucher, mit Michael Kretschmer ins Gespräch zu kommen. © Matthias Rietschel

Im blauen Anzug steht Michael Kretschmer an den Treppen zum Eingang der Dresdner Staatskanzlei. Vor ihm hat sich unter der spätsommerlichen Vormittagssonne eine Menschenschlange gebildet. Einige zücken ihre Smartphones, machen ein Selfie mit dem sächsischen Ministerpräsidenten. Die meisten wollen Kretschmer die Hand schütteln, ein paar Worte loswerden.

Für beide Seiten ist der Tag des offenen Regierungsviertels eine Win-Win-Situation. Kretschmer, der in Talkshows und auf Pressekonferenzen zuletzt wenige Gesten der Zuneigung entgegennahm, die über einen Händedruck hinaus gingen, genießt bei seinem Heimspiel einen Sympathievorteil. Seine Gäste bekommen im Gegenzug das Gefühl, der Chef würde ihnen die Tür zu seinem Büro selbst aufhalten.

"Lassen Sie sich nicht unterkriegen!"

Zum 18. Mal öffnete das Regierungsviertel am Sonntag für Besucher seine Pforten, aufgrund der Pandemie zuletzt 2019. Teilweise mit vollem Körpereinsatz hießen die Minister ihre Besucher willkommen. Sozialministerin Petra Köpping (SPD) spendete Blut beim Team des Roten Kreuzes. Im Finanzministerium öffnete Hartmut Vorjohann (CDU) sein Portemonnaie. Er hatte im aktuellen Doppelhaushalt noch ein paar Mittel gefunden, um eine Kaffeerunde zu schmeißen. Klare Betonung: Bürgernähe zeigen.

Es ist aber auch ein Tag, der in die sächsische Seele blicken lässt. Kretschmer, der wohl nur im Freistaat so viel Zuspruch zu seinen Aussagen zum Angriffskrieg Russlands oder seiner Haltung in der Energiepolitik erhält, muss für seine Ansichten hier nicht mal werben.

Der 11-jährige Travis nahm auf dem Chefsessel Platz: Ambitionen dort später einmal beruflich zu sitzen, zeigte der Schüler noch nicht.
Der 11-jährige Travis nahm auf dem Chefsessel Platz: Ambitionen dort später einmal beruflich zu sitzen, zeigte der Schüler noch nicht. © Matthias Rietschel

„Sie sind einer der ganz Wenigen, der sich für Diplomatie einsetzt. Lassen Sie sich nicht unterkriegen!“, sagt eine ältere Frau zu Kretschmer, die ihm dabei fast auf die Füße tritt. Mit Entsetzen habe sie die Diskussion in der Talkshow von Markus Lanz verfolgt, in der Kretschmer zuletzt erneut ein Einfrieren des Krieges in der Ukraine forderte und damit harsche Reaktionen hervorrief. Ein Mann, der ebenfalls einige Jahre älter als Kretschmer ist, klopft dem Ministerpräsidenten auf die Schulter: „Bloß nicht die sächsischen Interessen zurückdrängen lassen!“ Kretschmer nimmt das Lob ohne große Gefühlsregungen entgegen. Dabei ist er durch die Pandemie an weniger harmonische Bürgerbegegnungen gewöhnt.

Als Kretschmer gegen den Unwillen vieler Hygieneregeln durchdrücken musste, wurde er dafür auch auf Sachsens Straßen angeschrien. An diese Zeiten erinnert eine Fotoserie in seinem Büro. Auf einem dunklen Bücherregal, in dem Angela Merkel und Papst Franziskus von Buchcovern entgegenlächeln, steht eine Bildersammlung auf Acrylglas. Darauf abgebildet sind prägende Momente der Coronapandemie: Kretschmer schüttelt Felice Perani, dem ersten von Bergamo nach Sachsen eingeflogenen Covid-Patienten, nach dessen Genesung die Hand. Auf einer Intensivstation hängt ein Patient an unzähligen Kabeln und Schläuchen. Anhänger von Erzgebirge Aue halten ein Banner nach oben: „Kretschmer du willst Sachse sein? Verhältst dich wie ein Wessischwein!“

Rollentausch: Schüler übernimmt Kretschmers Platz

Langsam sei es an der Zeit, die Bilder auszutauschen, erzählt Kretschmer der zehnköpfigen Gruppe in seinem Büro. Die Bilder hätten in den vergangenen Monaten als Mahnung gedient, aktuell bereitet Corona Sachsens CDU-Regierungschef allerdings kaum noch Kopfzerbrechen: „Damit werden die Bürger im Winter größtenteils in Eigenverantwortung umgehen.“ Beruhigt blickt Kretschmer dennoch nicht auf die kommenden Monate. Die Sorgen, mit denen sich die Gäste an den Ministerpräsidenten wenden, sind immer wieder die Gleichen: Ukraine-Krieg, Gasrechnung, Strompreise.

Fröhlich oder gar ausgelassen wirkt Kretschmer vielleicht auch deshalb an diesem Tag nicht. Dass ihn die Besuchergruppe in seinem Büro auch nach Nachhaken nicht mit Fragen löchert, quittiert er mit einem Kopfnicken: „Na gut, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“

Ein Lachen huscht Kretschmer nur selten übers Gesicht. Immer dann, wenn er sich mit seinen jüngsten Gästen umgibt, lockert sich seine Miene kurz auf. Travis, ein Schüler aus Dresden, macht es sich auf Kretschmers Bürostuhl bequem. Ambitionen, dort später einmal beruflich zu sitzen, zeigt der Elfjährige noch nicht. Eine Einladung, mit seiner Schulklasse die Staatskanzlei zu besuchen, kann er dann aber doch nicht ausschlagen.