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Riesiges Finanzloch: Sachsen droht 2023 Wohngeld-Chaos

Auch die Landkreise in Sachsen schlagen Alarm: Dort rechnet man im nächsten Jahr mit Hunderten Millionen Euro Miesen in den Haushaltskassen.

Von Gunnar Saft
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Ab Januar haben mehr Sachsen Anspruch auf Wohngeld. Die Kommunen warnen vor langen Bearbeitungszeiten bei den notwendigen Anträgen und beklagen die hohe Kosten. Vom Freistaat fordern sie nun 300 Millionen Euro an Unterstützung.
Ab Januar haben mehr Sachsen Anspruch auf Wohngeld. Die Kommunen warnen vor langen Bearbeitungszeiten bei den notwendigen Anträgen und beklagen die hohe Kosten. Vom Freistaat fordern sie nun 300 Millionen Euro an Unterstützung. © Andrea Warnecke/dpa

Nie war Sachsens Landeskasse praller gefüllt als diesmal: Mehr als 49 Milliarden Euro kann der Freistaat in den kommenden beiden Haushaltsjahren 2023 und 2024 ausgeben – ein absoluter Rekord.

Dennoch wird ausgerechnet jetzt die für Anfang nächste Woche geplante Verabschiedung des neuen Landeshaushaltes von einer Hiobsbotschaft der sächsischen Kommunen und Landkreise überschattet: Sie warnen nämlich eindringlich davor, dass ihnen nach dem heutigen Stand trotzdem im gleichen Zeitraum fast eine halbe Milliarde Euro fehlen wird, um alle anfallenden Ausgaben in ihrem Verantwortungsbereich bezahlen zu können. Und das ist nur eine Minimalrechnung. Möglich ist, so beklagen sowohl Sachsens Städte und Gemeindetag als auch der Sächsische Landkreistag, dass dieses Defizit sogar auf bis zu 600 Millionen Euro anwächst.

Die ersten Auswirkungen des riesigen Finanzlochs könnten viele Bürger im Freistaat gleich zu Beginn des kommenden Jahres treffen. Dann treten Änderungen beim Wohngeld-Recht in Kraft, die auch in Sachsen die Zahl der bisherigen Bezugsberechtigten mindestens verdreifachen dürften. Laut Mischa Woitscheck, dem Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetages, sind die Kommunen aber bisher weder personell noch finanziell in der Lage, diesen Mehraufwand rechtzeitig aufzufangen. „Die Wohngeldstellen in den Städten und Landkreisen können bis dahin nicht genügend Personal einstellen und schulen, welches erforderlich wäre, um die Zahl der ab dann erwarteten Wohngeldanträge zügig zu bearbeiten.“

Die Folgen: Die ohnehin schon langen Bearbeitungszeiten drohen sich noch einmal zu verlängern. Dazu kommen akute Finanzprobleme. Obwohl die Kosten für das Wohngeld je zur Hälfte vom Bund und vom Freistaat übernommen werden, fehlt den sächsischen Kommunen mit dem Start der Wohngeldreform plötzlich viel Geld, weil damit auch eine wichtige und langjährige Vereinbarung mit dem Freistaat wegfällt. Die hatte es möglich gemacht, dass die Kommunen den Landesanteil auch für andere Zwecke einsetzen können. Mit dem Anstieg der Wohngeldkosten entfällt das nun, was vielerorts ab 2023 für enorme Lücken in den kommunalen Haushalten sorgt. Allein in Leipzig – Sachsens einwohnerstärksten Stadt – fehlen dadurch 30 Millionen Euro im Etat. Landesweit rechnet der Städte- und Gemeindetag für die kommenden beiden Haushaltsjahre mit einem Defizit von insgesamt 300 Millionen Euro und drängt nun auf eine entsprechende zusätzliche Unterstützung durch den Freistaat.

Die Resonanz auf den Hilferuf ist bisher aber gering. Man kenne das Problem und werde im Januar erneut mit den Kommunen sprechen, teilte das Ministerium von Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) auf Anfrage mit. Deshalb machen nun viele Kommunen Druck. Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche: „Bislang weigert sich der Freistaat, die Mehrbelastungen auszugleichen. Das kann nicht ernsthaft gewollt sein. Die Kommunen fühlen sich vom Freistaat alleine gelassen.“ Auch Henry Graichen, Landrat im Landkreis Leipzig, ist enttäuscht: „Nicht in Ordnung ist, wenn man die Kommunen diese Novelle fast alleine bezahlen lassen lässt. Wer bestellt, bezahlt auch. Wir erwarten, dass der Finanzminister sich diesem Problem stellt.“

Zumal gerade Sachsens Landkreisen im nächsten Jahr weitere enorme Finanzierungslücken drohen. Vor allem durch explodierende Kosten im Sozial- und Pflegebereich – zuletzt plus 180 Millionen Euro (!) – aber auch wegen Tarifsteigerungen, hohen Energiekosten und dem Unterhalt des öffentlichen Nahverkehrs. „Wir rechnen damit, dass es deshalb 2023 in jedem der zehn Landkreise im Freistaat zu einem Haushaltsminus von mindestens 20 Millionen, schlimmstenfalls sogar bis zu 40 Millionen Euro kommt“, warnt der Geschäftsführer des Landkreistages, André Jacob.