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Wohin steuert Sachsens Arbeitsmarkt?

Corona ist für Sachsens Wirtschaft weitgehend Geschichte, doch für den Arbeitsmarkt war 2022 trotzdem kein Jubeljahr. Die Zahl der Arbeitslosen wird wohl weiter steigen.

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Ein Mitarbeiter eines Chemnitzer Maschinenbauers nimmt eine neue Großrundstrickmaschine in Betrieb: Trotz des Corona-Abschwächens ist 2022 kein besonders gutes Jahr für Sachsens Arbeitsmarkt gewesen.
Ein Mitarbeiter eines Chemnitzer Maschinenbauers nimmt eine neue Großrundstrickmaschine in Betrieb: Trotz des Corona-Abschwächens ist 2022 kein besonders gutes Jahr für Sachsens Arbeitsmarkt gewesen. © dpa/Jan Woitas

Chemnitz. Nach der Corona-Krise ist Sachsens Arbeitsmarkt dieses Jahr nicht zur Ruhe gekommen. Der Krieg in der Ukraine, rasant steigende Energiepreise und eine Jahrzehnte nicht gekannte Inflation machen Bürgern und Unternehmen das Leben schwer. Zugleich gilt es, Tausende Kriegsflüchtlinge fit für einen Job hierzulande zu machen, etwa mit Sprachkursen.

Andererseits profitieren viele Menschen von der Anhebung des Mindestlohns und steht zum 1. Januar die Einführung des höheren Bürgergelds an. Wie hat sich Sachsens Arbeitsmarkt entwickelt und wohin steuert er im kommenden Jahr?

Die Corona-Nachwirkungen

Kulturstätten, Gastronomie, Freizeiteinrichtungen - zu Jahresbeginn waren sie zur Corona-Zwangspause verdammt. So befanden sich im Januar noch fast 77.000 Menschen in mehr als 11.000 Betrieben in Kurzarbeit. "Aktuell sind weniger als ein Prozent der Betriebe von Kurzarbeit betroffen - zu Corona-Spitzenzeiten waren es 30 Prozent", erklärt der Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, Klaus-Peter Hansen. "Da ist der Corona-Effekt inzwischen rausgeschwitzt."

Die Corona-Nachwehen zeigen sich an anderer Stelle: der Zahl der Langzeitarbeitslosen. Ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit liegt höher als vor der Pandemie. Zuletzt waren in Sachsen mehr als 44.100 Menschen länger als ein Jahr ohne Job. Als Hauptgrund nennt Hansen, dass Bildungs- und Beschäftigungsträger in der Corona-Pandemie von Einschränkungen und Lockdowns betroffen waren. So hätten Langzeitarbeitslose nicht die benötigte Hilfe bekommen.

Klaus-Peter Hansen, Chef der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit in Chemnitz.
Klaus-Peter Hansen, Chef der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit in Chemnitz. © Archivfoto: Matthias Rietschel

Der Ukraine-Krieg und seine Folgen

Nach den Corona-Lockerungen lief Sachsens Arbeitsmarkt rasch wieder zur Hochform auf. Im Februar war die Arbeitslosigkeit bereits auf Vor-Corona-Niveau. Fortan sank sie weiter bis auf 5,2 Prozent im Mai. Danach schlugen die Folgen des Ukraine-Krieges durch. Die Folge: Die Arbeitslosenzahl stieg mehrere Monate in Folge. Auch der im Herbst übliche Aufschwung fiel nur verhalten aus. "Das war der schwächste Herbst, den wir je hatten", konstatiert Hansen. "Der Arbeitsmarkt hat nicht die Dynamik, wie wir sie sonst kennen."

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben Zehntausende Kriegsflüchtlinge in Sachsen Zuflucht gesucht, vor allem Frauen und Kinder. Seit Juni sind die Jobcenter für deren Leistungen zuständig. Im November waren laut Arbeitsmarktstatistik 24.410 erwerbsfähige Ukrainer in Sachsen registriert, fast 19.500 davon arbeitssuchend.

Zunächst stand im Vordergrund, alles Lebensnotwendige zu organisieren, ebenso Schul- oder Kita-Plätze für die Kleinen. Derzeit seien rund 6000 Ukrainer in Deutsch- und Integrationskursen. Ziel sei, das Potenzial, das diese Menschen mitbringen, nutzbar zu machen, betont Hansen. Gute Jobperspektiven sehe er für sie etwa im Baugewerbe, der Hotel- und Gaststättenbranche und dem Tourismus.

Höherer Mindestlohn für viele Beschäftigte

Viele Sachsen mit niedrigem Einkommen haben dieses Jahr vom höheren Mindestlohn profitiert. Der stieg auf 9,82 Euro zu Jahresbeginn, am 1. Juli auf 10,45 Euro und Anfang Oktober auf 12,00 Euro pro Stunde. "Insbesondere in ländlichen Regionen Ostdeutschlands gab es vor der Erhöhung einen relativ hohen Anteil an Beschäftigten mit Stundenlöhnen unterhalb dieser Schwelle", analysiert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zur jüngsten Anhebung im Oktober.

Die Experten rechnen vor: Ein Alleinstehender mit Vollzeitjob kommt im Monat bei Bezahlung nach Mindestlohn auf etwa 2088 Euro brutto und 1500 Euro netto. Ihren Angaben nach gibt es kaum Belege für negative Folgen des Mindestlohns auf die Beschäftigung. Das Forschungsinstitut WSI beziffert den Anteil der Beschäftigten mit Mindestlohnanspruch in Sachsen auf 28,4 Prozent.

Ab 1. Januar kommt das Bürgergeld

Zum 1. Januar wird das Arbeitlosengeld II, umgangssprachlich Hartz IV genannt, vom Bürgergeld abgelöst. Das betrifft 141.500 Familien und Alleinstehende in Sachsen. Für Alleinerziehende etwa steigt der Regelsatz um 53 auf 502 Euro. Zudem gelten Karenzzeiten für Wohnungen und Vermögen bis zu einer bestimmten Höhe. Künftig sollen Betroffene zudem stärker bei Ausbildung und Umschulung unterstützt werden. Dazu gibt es ab Juli einen Bürgergeldbonus von 75 Euro oder - wenn die Weiterbildung zu einem Berufsabschluss führt - einen monatlichen Zuschuss von 150 Euro.

Ausblick auf kommende Jahre

2023 rechnet der Chef der Regionaldirektion mit einem moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Quote werde im Jahresschnitt aber nicht mehr als 6,5 Prozent betragen. Längerfristig geht Hansen von einem Abschmelzen der Arbeitslosenzahl aus.

Unternehmen täten alles, um Fachkräfte zu halten. Denn in den nächsten Jahren werden Tausende Beschäftigte altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden. Zugleich seien neue Großinvestitionen geplant, etwa in der Halbleiterbranche in Dresden und im Zuge des Strukturwandels in den Braunkohleregionen.

"Der Mensch wird zum raren Gut", konstatiert Hansen. "Meine Prognose ist: 2025 haben wir eine Situation wie auf dem Ausbildungsmarkt." Das hieße, dass rein rechnerisch jedem Arbeitslosen eine offene Stelle in Sachsen gegenübersteht. (dpa)