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Sachsen hofft auf Wasserstoff aus Schottland

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig sucht in Großbritannien Kooperationspartner für den Energiewandel. Dabei sind die Sachsen nicht allein.

Von Nora Miethke
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Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Dulig auf dem Calton Hill in Edinburgh: Die schottische Metropole markiert das Ende der Reise auf die Insel.
Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Dulig auf dem Calton Hill in Edinburgh: Die schottische Metropole markiert das Ende der Reise auf die Insel. © SMWA/Kristin Schmidt

Martin Dulig wollte eigentlich gleich nach dem Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union auf die Insel reisen, um für den Wirtschaftsstandort Sachsen zu werben. Denn 2018 glaubten viele, das es Unternehmen und Banken nun in Scharen auf das Festland in den Schoß der EU ziehen würde, um die Vorzüge des europäischen Binnenmarktes weiter genießen zu können. Doch dann kam die Covid-19-Pandemie und die Reise musste mehrfach verschoben werden.

Nun steht der sächsische Wirtschaftsminister in Birmingham in einer schicken Hotelbar im 25. Stock und fragt sich und die Gäste des Sachsen-Empfangs: "Ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu kommen? Die Pandemie ist noch nicht vorüber und nun tobt der schreckliche Krieg in der Ukraine?" "Ja" ist seine Antwort. Die Themen der Reise seien noch die gleichen wie vor zwei Jahren, aber die Sichtweise hätte sich geändert. Jetzt geht es den Sachsen nicht mehr vorrangig um Standortwerbung für den Freistaat, sondern darum, Kooperationspartner zu finden für die Herausforderungen der Zukunft.

Diese sind für den Wirtschaftsminister vor allem die Energiewende und der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft – ein Prozess, der durch den Ukrainekrieg noch einmal massiv beschleunigt wurde. Und die Digitalisierung, wo die Pandemie die Defizite in Deutschland aufgedeckt hat. "Wie gelingt es, die Energieversorgung zu transformieren, um die Klimaschutzziele einzuhalten, aber ohne die Energiesicherheit zu gefährden und das Energie für alle bezahlbar bleibt, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt?". Diese Frage stellt Dulig oft, bekommt sie aber auch von seinen Gesprächspartnern häufig zu hören.

Martin Dulig (r.) und Thomas Horn, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Sachsen, laufen durch London: Die Reise soll der Vertiefung der Beziehungen zwischen Sachsen und Großbritannien dienen.
Martin Dulig (r.) und Thomas Horn, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Sachsen, laufen durch London: Die Reise soll der Vertiefung der Beziehungen zwischen Sachsen und Großbritannien dienen. © SMWA/Kristin Schmidt

Bei der fünftägigen Delegationsreise liegt der Fokus klar auf Energie, speziell auf Wasserstofftechnologien. Sachsen hat sich in seiner Wasserstoffstrategie zum Ziel gesetzt, bis 2030 eine Wasserstoffwirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufzubauen. Und auch in Großbritannien kommt man an dem Thema nicht vorbei. "Jeden Tag, wenn man die Zeitung aufschlägt, liest man was von Unternehmen, die Wasserstoff erzeugen oder einsetzen wollen. Es ist ein wahnsinniger Hype", heißt es.

Denn Großbritannien hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Doch gegenwärtig kämpft das Land wie Deutschland mit galoppierenden Energiepreisen. Die Inflation liegt über sieben Prozent und wird laut Prognosen bis zum Jahresende auf über zehn Prozent steigen. Zum April wurden die Energiepreise um 50 Prozent erhöht, im Oktober soll eine weitere Erhöhung um 30 Prozent kommen. Viele Briten hätten das Heizen eingestellt. Ärmere Haushalte stünden vor der Frage, heizen oder essen? Beides könnten sie sich nicht leisten, berichten Gesprächspartner.

Deshalb entstehen auch auf der Insel derzeit viele Energieparks, in denen an Lösungen experimentiert wird. Beeindruckt zeigt sich Dulig von dem integrativen Ansatz in Birmingham. Die Industriestadt in den Midlands will die Energiehauptstadt Großbritanniens werden. Stadtverwaltung, Universität und zahlreiche Unternehmen sind angetreten, um zu zeigen, wie sich das Henne-Ei-Problem der Energiewende lösen löst. Muss erst das Angebot klimafreundlicher Heizungen und Antriebsarten geschaffen werden oder erst die Nachfrage der Verbraucher geweckt werden? "Beides muss gleichzeitig getan werden", sagt David Boardman von der Universität Birmingham und stellvertretender Direktor des Birmingham Energieinstituts.

Er vergleicht es mit den Olympischen Spielen in London 2012. "Alles musste gleichzeitig gebaut werden, zu einem Zeitpunkt fertig werden und wir hatten nicht die Fachkräfte und Finanzierung dafür. Jetzt ist es wieder so", so Boardman. Bis 2050 müssen 23 Millionen Haushalte im Vereinigten Königreich dekarbonisiert werden, das heißt mit klimaneutralen Heizungen ausgestattet und das Verbrennerfahrzeug vor der Haustür gegen ein Elektroauto oder ÖPNV-Jahresticket getauscht werden, damit das Land seine Klimaschutzziele erreicht.

Beim Besuch des Unternehmens Intelligent Energy in Loughborough informiert sich Dulig (l.) über Brennstoffzellenprodukte.
Beim Besuch des Unternehmens Intelligent Energy in Loughborough informiert sich Dulig (l.) über Brennstoffzellenprodukte. © SMWA/Kristin Schmidt

Auf dem Fabrikgelände von Webster & Horsefall, einem dreihundert Jahre alten Hersteller von Kabeln und Drahtseil, entsteht der Tyseley Energy Park, in dem kohlenstofffreie Lösungen in den Bereichen Strom, Verkehr, Wärme, Abfall und Recycling für Birmingham bereitgestellt werden sollen. In den alten Stallgebäuden, wo früher die Pferde untergebracht waren, die die Kohlewagen zogen, sitzen jetzt Start-ups in einem Inkubator, die grüne Technologien und neue Geschäftsmodelle entwickeln wollen. Im vergangenen Jahr wurde auf dem Gelände die erste frei zugängliche, kohlenstoffarme Multikraftstoff-Tankstelle Großbritanniens dort eröffnet.

Die Anlage, die ohne Personal funktioniert, bietet rund um die Uhr Wasserstoff, komprimiertes Erdgas, Biodiesel und Ladeoptionen für Elektrofahrzeuge an. Zehn Millionen britische Pfund hat die Anlage gekostet, die Regierung von Boris Johnson in London hat sie zum großen Teil gefördert. Seit April werden dort 20 Wasserstoff-Doppeldeckerbusse betankt, die die Stadtverwaltung angeschafft hat. 124 weitere sollen folgen. Dabei soll es nicht bleiben.

Auch ein Selfie muss sein: Dulig macht während seiner Fahrt nach Edinburgh einen Zwischenstopp auf Alnwick Castle, das in den Harry-Potter-Filmen als Kulisse für Hogwarts diente.
Auch ein Selfie muss sein: Dulig macht während seiner Fahrt nach Edinburgh einen Zwischenstopp auf Alnwick Castle, das in den Harry-Potter-Filmen als Kulisse für Hogwarts diente. © SMWA/Kristin Schmidt

David Boardman stellt die Pläne für eine Recyclinganlage für seltene Erden vor. Auch ein Projekt für vertikale Landwirtschaft ist geplant, um zu beweisen, dass man auch Bäume ohne Boden pflanzen kann. Die Vertreter der Leipziger Wirtschaftsförderung und Investitionsagentur hören interessiert zu. Die sächsische Partnerstadt von Birmingham hat mit ihrer "Energy-City" ähnliche Pläne.

Wasserstoff spielt auch eine wichtige Rolle für die Eisenbahn. Im Eisenbahn-Kompetenzzentrum "Birmingham Centre for Railway Research und Innovation" wurde die einzige Absichtserklärung dieser Reise über verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List" der TU Dresden und der Universität Birmingham unterzeichnet.

Vorgesehen sind gemeinsame Forschungsprojekte und der Austausch von Studenten und Forschern. Gemeinsam will man sich auch an europäischen Forschungsprogrammen beteiligen. "Wir müssen die Eisenbahn zukunftsfähig und modern machen. Da sind alle transnationalen Ideen gefragt und diese muss man auf ein Fundament stellen, in dem man sich zur Zusammenarbeit verpflichtet", begründet Professor Arndt Stephan von der TU Dresden die Absichtserklärung.

Letzte Station auf der Reise ist Edinburgh. Die Schotten wollen sogar noch fünf Jahre eher als die Briten insgesamt klimaneutral werden und zwar schon 2045. Im Unterschied zur Zentralregierung in Westminster setzt die schottische Regierung nicht auf Atomenergie, sondern will den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien fördern. Bis zum Jahr 2030 sollen 20 Gigawatt-Kapazitäten von grünem Wasserstoff errichtet werden, wobei der Ökostrom aus den Offshore-Windanlagen vor der Küste kommen soll.

In Edinburgh trifft sich Dulig zu Gesprächen mit Kate Forbes (l.), der Ministerin für Wirtschaft und Finanzen der schottischen Regierung.
In Edinburgh trifft sich Dulig zu Gesprächen mit Kate Forbes (l.), der Ministerin für Wirtschaft und Finanzen der schottischen Regierung. © SMWA/Kristin Schmidt

Schottland will zum Exporteur von grünem Wasserstoff und Windenergie werden. "Da gibt es unglaublich viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Konkret sollen diese im Anschluss der Reise ausgelotet werden", erklärt Martin Dulig nach einem Treffen mit Kate Forbes, Ministerin für Wirtschaft und Finanzen. In dem Gespräch hat die 36-Jährige aber auch klargemacht: "Wir sind sehr an technischer Zusammenarbeit und Expertise interessiert, haben aber auch eigene Forschungsergebnisse und Technologien anzubieten."

Erneuerbare Energien aus schottischen Quellen sind heiß begehrt. Vor den Sachsen waren Delegationen aus Niedersachsen und Thüringen da, nächsten Monat kommt eine Gruppe aus Hessen. "Deutsche Politiker wollen mit mir nur über Wasserstoff reden", sagt Angus Robertson, Minister für auswärtige Angelegenheiten. In dem Wettlauf haben die Sachsen vielleicht einen Trumpf, von dem sie bis zum letzten Abend gar nichts wussten. Der Politiker der Schottischen Nationalpartei verrät auf dem Sachsen-Empfang, warum er trotz Termindruck sofort zugesagt hat, zu der doch eher kleinen Veranstaltung zu kommen – weil seine Großmutter aus der Nähe von Zittau kommt. "Wir wissen, sie wollen Wasserstoff und wir helfen gern", sagt Robertson in perfektem Deutsch.