Sachsen sind optimistisch, lieben ihre Natur und können anderen Menschen nur schwer vertrauen. Sie sind stolz auf das, was seit 1990 im Freistaat erreicht wurde, und der Meinung, dass es in Deutschland alles in allem eher ungerecht zugeht. Das, was man im Leben bekommt, hänge nicht von den eigenen Anstrengungen ab, sondern von der Wirtschaftslage, der Lage auf dem Arbeitsmarkt, den Tarifbeschlüssen und den Sozialleistungen des Staates. Außerdem: ein Großteil der Sachsen findet, die Bundesrepublik sei "durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet".
Diese Aussagen gehen aus dem Sachsen-Monitor 2023 hervor, einer repräsentativen Umfrage der sächsischen Staatskanzlei, und treffen auf die Mehrheit der knapp 2.000 Befragten zu. Natürlich kann man nicht alle Sachsen über einen Kamm scheren und doch enthüllt diese Umfrage einen Blick auf die sächsische Mentalität. Und die ist es, die die Menschen an ihrem Leben in Sachsen besonders schätzen.
Die Mentalität der Sachsen ist ein komplexes Gebilde, das von historischen Erfahrungen, sozialen Strukturen und aktuellen Herausforderungen geprägt ist. Aber was ist typisch sächsisch?
Sachsen-Experte: Psychologe Hendrik Berth ordnet ein
"Die sächsische Identität ist etwas Vielfältiges. Sie umfasst den Leipziger Messestädter, die Studentin in der Dresdner Barockstadt sowie den Handwerker im tiefsten Erzgebirge", sagt Hendrik Berth. Der Psychologe und Professor an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden ist einer der Leiter der Sächsischen Längsschnittstudie und kennt die Sachsen ziemlich gut. Bereits seit 1987 wird dieselbe Gruppe Ostdeutscher zu verschiedenen Schwerpunkten befragt.
Die Mentalität der Menschen im Freistaat beschreibt Berth anhand von drei Punkten: Fleiß und Arbeitsmoral, Abgrenzung und Skepsis gegenüber anderen - im Extremfall auch Ausländerfeindlichkeit - sowie dem Stolz, ein Sachse zu sein.
Menschen im Freistaat sind stolz auf ihre Geschichte
Der Sachse ist stolz auf das, was seit 1990 im Freistaat erreicht wurde. Das geht aus dem aktuellen Sachsen-Monitor hervor. Berth zufolge dauert der Stolz, ein Sachse zu sein, auch noch 34 Jahre später an und liegt vor allem der Selbstwahrnehmung der Menschen zugrunde. "Sachsen wird gerne als Arbeiterland gesehen, welches wirtschaftlich stark ist. Schon lange vor der DDR war Sachsen mit seinem Eisenbahnbau oder dem Chemnitzer Maschinenbau ein Vorreiter", so Berth.
Auch die DDR und die Wiedervereinigung schwingt noch bei vielen Sachsen mit - "vor allem bei Älteren, aber im positiven Sinne." Viele würden sich heute noch als ehemalige DDR-Bürger bezeichnen. Bei den Jüngeren sähe das jedoch anders aus. "Die DDR-Geschichte wird nur noch über Eltern und Großeltern herangetragen, aber viele junge Menschen identifizieren sich dennoch als Ostdeutsche."
Bräuche und Traditionen spielen eine wichtige Rolle
Die sächsische Mentalität ist jedoch keineswegs homogen. "Es gibt regionale Unterschiede und lokale Teilidentitäten", so Berth, "abhängig von der wirtschaftlichen Stärke der Region oder ihren Traditionen und Bräuchen." So ist das Erzgebirge stolz auf seine Holzkunst, Bautzen auf seinen Wenzelsmarkt - den ältesten Weihnachtsmarkt Deutschlands, Dresden auf seinen bekannten Christstollen und die Lausitz auf ihre sorbischen Ostertraditionen. Dazu gehören etwa das Osterreiten sowie das filigrane Bemalen von Ostereiern.
Doch auch Traditionen, die nicht an ein Fest gebunden sind, werden in den Tiefen Sachsens erhalten, so auch das Klöppeln, eine Handarbeitstechnik aus dem 16. Jahrhundert, oder die Tradition der Köhler im Erzgebirge.
Sprachen und Dialekte schaffen sächsische Identität
Regionale Unterschiede in der sächsischen Mentalität liegen auch den verschiedenen Sprachen und Dialekten zugrunde. "Ninglnäsorum", "Muschebubu" und "Reisdschzamm" sind nur ein paar der Begrifflichkeiten, die den sächsischen Sprachgebrauch über Jahrhunderte geprägt haben.
Eine neue Dialekt-Kampagne der Sächsischen Staatskanzlei soll die diversen Mundarten der Bevölkerung vorstellen und damit zugleich für das Bundesland werben. "Mit der neuen Aktion wollen wir unseren Dialekt feiern. Denn der ist ein Stück sächsischer Identität und bedeutet Heimat, Stolz, Vertrautheit und Vielfalt", sagt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
"Die Sprache spielt bei der Mentalität der Sachsen eine große Rolle. Sie schafft ein Gemeinschaftsgefühl", so Berth. "Auch wenn sie vielfältig ist, sprechen wir doch alle sächsisch." Damit spielt er vor allem auf die älteren Generationen an, denn die jüngeren scheinen Berth zufolge nur noch wenig sächsisch zu sprechen. "Die sächsische Sprache wird deswegen aber keinesfalls aussterben. Sie wird nur englischer oder gendergerechter, aber der Kern des Sächsischen wird erhalten bleiben."
Ausländerfeindlichkeit prägt Sachsen schon seit den 90ern
"Ausländerkritisch bis ausländerfeindlich waren Teile der Sachsen schon seit den 90ern. Mit der starken Zuwanderung 2015 und 2016 hat dieses Gefühl noch weiter zugenommen", so Berth. Dabei ist der Ausländeranteil in Sachsen mit nur 8,1 Prozent geringer als im bundesweiten Vergleich (15,2 Prozent).
Dennoch wurden im Jahr 2023 laut Opferberatungsstellen des RAA insgesamt 248 rechtsmotivierte, rassistische und antisemitische Angriffe mit mindestens 380 direkt Betroffenen registriert. Im Vergleich zu 2022 ist das ein Anstieg um 21 Prozent.
Hinzu kommt die Zunahme der AfD-Wähler, die die diesjährige Europawahl in Sachsen für sich entschieden haben, obwohl der sächsische Verfassungsschutz den Landesverband der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft hat. Berth betont jedoch, dass diese ausländerkritische- bis feindliche Haltung nicht als Kern der sächsischen Identität zu sehen ist.
Arbeiten im Freistaat zwischen Tradition und Innovation
Einen ebenfalls hohen Stellenwert für die Menschen im Freistaat hat die Arbeit. "Die Menschen in Sachsen arbeiten nicht nur, um Geld zu verdienen. Sie identifizieren sich auch über ihre Arbeit", so Berth. Als Grund dafür nennt er die Massenarbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung. "Damals haben die Menschen erlebt, dass Arbeit ein knappes Gut ist."
Auch der Innovationsgeist der Sachsen blühe seitdem wieder auf. "Die Veränderungen nach der Wiedervereinigung haben Ängste bei den Menschen ausgelöst. Seitdem wurde Innovation erstmal kritisch beäugt", so Berth. Inzwischen sei der Freistaat jedoch Vorreiter in der Mikrochip- und Automobilindustrie und sieht in Veränderungen eher eine Chance als ein Objekt der Angst.
Typisch sächsisch: Stolz und Stabilität
Die Mentalität der Sachsen ist das Ergebnis einer langen und komplexen Geschichte, geprägt von industriellem Fortschritt, politischen Umbrüchen und regionalen Besonderheiten. Sie zeichnet sich aus durch eine eigene Sprache, Bräuche und Traditionen, Fleiß und Arbeitsmoral, Abgrenzung und Skepsis gegenüber anderen, Stolz sowie Stabilität.
"Sich als Sachse fühlen, ist etwas Stabiles. Seit über 30 Jahren beobachten wir, dass sich 80 bis 90 Prozent der Befragten noch immer als Sachsen beschreiben würden", so Berth. Selbst 75 Prozent der Menschen, die nicht mehr in Sachsen leben, fühlen sich dem Freistaat noch zugehörig. Man könnte also sagen: Einmal ein Sachse, immer ein Sachse.