Warum uns das Feuer in der Sächsischen Schweiz so schmerzt

An diesem 31. August weht von Süden ein heftiger Wind. Mittags trägt er die Flammen vom Prebischtor her. Eine Feuerwalze rollt über Bäume und Felswände. In der Nacht treibt das Feuer sein unheimliches Wesen in den Schluchten. Der Himmel darüber ist rot. Rauchwolken steigen auf. Harzige Kiefern flammen immer wieder wie Fackeln auf. Am nächsten Tag entzündet sich plötzlich ein Fichtenhang. – So beschreibt der Publizist Werner Liersch den Brand von 1842 in der Sächsischen Schweiz. Einen schlimmeren gab es bis vor wenigen Tagen nicht. Die Erinnerung wurde im oberen Teil der Weberschlüchte auf der linken Seite des Weges mit krakeliger Schrift in den Stein gemeißelt: „Andenken an den Brant 1842“. Wanderer mussten damals zum Prebischtor über eine Fläche gehen, die von Felsbrocken übersät war. Die Gegend sehe einem Kirchhof mit Grabsteinen ähnlich, hieß es noch Jahrzehnte später in einem Reiseführer.
Es ist ungefähr die Gegend, in der es jetzt wieder brennt. Wir erleben, wie Hubschrauber Löschwasser aus der Elbe ziehen und erschöpfte Feuerwehrleute zu Glutnestern steigen, diskutieren über Schuld und Klimawandel und die pflichtbewusste Anwesenheit von Politikern. Der Fels im Brand ist eine bedrohliche und furchtbare Realität.
Sächsische Schweiz: Ein Stück Kulturerbe in Flammen
Woher kommt die übergroße Anteilnahme an dieser Katastrophe in der Sächsischen Schweiz? Sicher liegt es daran, dass viele die Region vom Urlaub oder vom Wochenendausflug kennen, vom Wandern und Klettern. Das hört nicht auf seit den ersten professionellen Wadenstrümpflern und Rucksäcklern. Generationen reisen regelmäßig zum Treppensteigen. Wissend erklären sie Lamm, Lokomotive und Lilienstein. Der Ausblick ist mindestens atemberaubend. Vorausgesetzt, dass er nicht zuwächst. Den Sand im Schuh kann man lange haben. Nähe ist sowieso die erste Voraussetzung für Aufmerksamkeit. Wird das Liebste und Vertrauteste verletzt, rührt uns das mehr als ein Unglück am Ende der Welt. Doch neben diesem ganz privaten Bezug scheint es noch etwas anderes zu geben. Von mehr als 400 Moosarten abgesehen.

In der Sächsischen Schweiz geht auch ein Stück Kulturerbe in Flammen auf. Ein Identitätsgefühl. Seit die Landschaft elbaufwärts von Dresden vor gut zweihundert Jahren von Pastoren, Poeten und Malern bekannt gemacht wurde, gehört sie zu den mythischen Orten: größte Vielfalt auf kleinstem Raum. Wild und malerisch, schroff und still, tiefschwarz und himmelhoch. Romantik pur. Konserviert bis heute. „Rohschön“ nannte es der Pfarrer Wilhelm Lebrecht Götzinger aus Struppen, der die bizarren Felsgebilde und wilden Wasser als einer der Ersten von allen Seiten beschrieb. „Nirgends in unserem Vaterlande haben die innern Kräfte der Natur in der Urzeit schrecklichere Bewegungen und Veränderungen hervorgebracht.“ Die Beine seien zwar mit den holprigen Wegen nicht zufrieden, umso mehr seien es Auge und Gefühl. Die sentimentale Hinwendung zu Wald und Feld ist ohnehin Mode zu seiner Zeit. Reisende laufen bis Syrakus. Adlige lustwandeln in Parks und Gärten. Nur der Drang aufs Dorf mit Ponyhof und Kräuterbeet lässt noch auf sich warten.
Diese Vergangenheit denkt man mit, wenn jetzt die Rauchschwaden über dem Elbsandstein hängen. Was für ein geschichtsträchtiger Grund. Hier schwärmte der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen, die ganze Natur sei ihm „eine große lyrische Dichtung in jedem möglichen Versmaß“. Hier erlebte der malende Arzt Carl Gustav Carus den herrlichsten Mondscheinabend und wagte im Basteigebiet voll Grausen den Blick in „die furchtbar gähnendschwarzen Tiefen“. Hier meinte die englische Frankenstein-Erfinderin Mary Shelley in die geheimen Gemächer der Natur vorzustoßen, „ausgeschmückt in der wildesten Launenhaftigkeit“. Gibt es eine andere sächsische Region, die so gefühlvoll und leidenschaftlich beschrieben wurde? Gibt es eine andere, die von Wagner und Weber so wunderbar auf die Opernbühne gebracht wurde? Gibt es eine andere, die so oft gemalt und gezeichnet wurde? Der Bildhauer Wieland Förster erzählte, dass er gar keine Lust spürte, hier zu arbeiten, weil ihm jeder Felsblock längst porträtiert erschien – und wie er dann doch im Labyrinth die Welt entdeckte in ihrer Ausweglosigkeit und Vergänglichkeit.
Wie das Nebelmeer bei Caspar David Friedrich
Lange vor ihm waren zwei junge Männer auf „malerischer Wanderung“ unterwegs, Carl August Engelhardt und Johann Philipp Veith. Um 1794 lieferten sie die erste bebilderte Reisebeschreibung durch die Sächsische Schweiz. Einige Exemplare lagen bei Dresdner Hoteliers aus. „Der Weg ist steil und mit glatten Tannennadeln besäet, ich glitsche und falle – aber, der müsste eine kleine Portion Neugierde besitzen, der nicht demungeachtet fortklettern wollte“, so Engelhardt. Der Hofmaler Johann Alexander Thiele wanderte weit hinein bis ins Böhmische. Berühmter wurden zwei Schweizer, der Kupferstecher Adrian Zingg und der Maler Anton Graff. Sie brauchten einen amtlichen Pass für die Exkursion mit Stift und Papier. Sonst drohte Arrest. Legendenhaft wurde ihnen später der Name des neuen Touristen-Hotspots Sächsische Schweiz zugeschrieben. Legenden brauchen keinen Beweis. Die Einwohner sprachen von der Heide auf Hohnstein und von böhmischen Wäldern.
Aus diesen Wäldern schlägt nun Feuer. Man könnte den Rauch für Nebel halten, wüsste man es nicht besser. Doch auch vom Nebelmeer im Bild des berühmtesten Künstlers der Sächsischen Schweiz geht etwas Unheimliches aus. Caspar David Friedrich war manchmal tagelang allein unterwegs, um zu zeichnen: „Ich muss mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin.“ Sein Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ entstand um 1818 und wurde zu einer Ikone wie Raffaels Madonna, interpretiert als Allegorie auf Leben und Todessehnsucht, Nähe und Ferne, Gott und Welt und wer weiß was noch. Das Bild hängt in der Hamburger Kunsthalle. Es ist nicht gefährdet. Und doch: welche Verluste.