Käferkampf in der Kirnitzschklamm

Das Wasser spritzt in einer meterhohen Fontäne empor als die Kettensäge startet. Auf einem Kahn kniend, die Arme über die Reling gestreckt, hält Michael Erbert das kiloschwere Gerät vor sich und führt das Sägeblatt an einer schwimmenden Fichte entlang. Die Äste müssen ab.
Was schon am Waldboden Aufmerksamkeit und Kraft erfordert, ist zu Wasser doppelt schwierig. Zwei Kollegen halten den Stamm mit Flößerhaken an der Bordwand des schwankenden Kahns in Position. Mit jedem Aufheulen der Säge wirbelt die Kette die Gischt in die Luft und auf das Schutzvisier.
"Gemüse machen" nennen die Männer auf der Oberen Schleuse diesen Arbeitsschritt, wenn sie die Fichten vom Reisig befreien. Mit dem Rechen werden die nassen Zweige dann auf den Kahn verladen. Der Säger muss auch die unter Wasser getauchten Äste an der Unterseite des Stammes erwischen. "Die wirken sonst wie Anker", erklärt einer der Kahnfahrer, während er einen schon kahlen Stamm an der Reling vertäut.
Der Borkenkäfer fraß sich immer näher heran
Die Kahnfahrt auf der Oberen Schleuse bei Hinterhermsdorf bleibt vom Borkenkäferdrama in der Sächsischen Schweiz nicht verschont. Das Ausflugsziel liegt im äußersten Winkel des sächsischen Elbsandsteingebirges, die Kirnitzsch markiert hier die Grenze zu Böhmen. Seit 1879 lassen sich Sommerfrischler über den angestauten Gebirgsfluss gondeln, schon 300 Jahre davor wurde die Anlage zum Flößen von Holz genutzt.

Heute finden Besucher wohl wenige Orte im stark frequentierten Nationalpark Sächsische Schweiz, an denen man derart prompt vom Alltag entschleunigt wird wie beim sanften Dahingleiten durch die von Felsen, Farnen und Fichten gesäumte Klamm.
"Wir konnten zugucken, wie der Borkenkäfer in den letzten zwei Jahren immer näher kam", erzählt Renee Thomas, ein altgedienter Kahnfahrer. Stück für Stück fraß sich der Käfer das Kirnitzschtal hinauf immer näher an die Obere Schleuse heran. Selbst in der tief eingeschnittenen Klamm mit ihrem immer kühlen und feuchten Kellerklima konnten die Fichten dem Insekt nichts mehr entgegensetzen. Die ältesten Bäume waren gut 200 Jahre alt.
Abgestorbene Bäume bedrohen die Kahnfahrt
Im Herbst 2020, noch während der Tourismussaison, gab es einen ersten Sägeeinsatz. Der Nationalpark Sächsische Schweiz ließ abgestorbene Fichten auf der deutschen Seite des Tals fällen, damit Gäste der Kahnfahrt und Wanderer entlang oberhalb verlaufenden Pfads nicht von herabstürzenden Baumkronen erschlagen werden. Es ist selbst für Spezialisten eine diffizile Angelegenheit. Das Totholz steht auf kleine Felsvorsprüngen im steilen Gelände. Beim Fällen sollen die Bäume möglichst nicht in Klamm hinabstürzen, sondern am Hang liegen bleiben.

Doch auch auf der tschechischen Seite hatte Experten 30 gefährliche Bäume ausgemacht, die die Kahnfahrt bedrohten. Die Landesgrenze verläuft genau in der Flussmitte. Anfang Mai starteten drüben die Arbeiten, initiiert vom Nationalpark Böhmische Schweiz. Gleich die ersten abgesägten Bäume kippten in die Klamm. "Da wurde uns Angst", erzählt Kahnfahrer Renee Thomas.
Am Ende waren es 37 Fichten die kreuz der Quere halb in, halb über der angestauten Kirnitzsch hingen. "Es war ein einziger Reisig- und Holzhaufen", sagt Thomas, was keineswegs als Kritik an den tschechischen Kollegen missverstanden werden sollte. Der Felshang ist auf böhmischer Seite noch steiler und unwegsamer, die Stämme fanden dort schlicht keinen Halt.
Kahnfahrer sägen die Klamm frei
Seit vier Wochen sind die Kahnfahrer nun dabei, die Obere Schleuse wieder freizuschneiden. Ein ausgemusterter alter Kahn wurde eigens dafür als Baustellenboot reaktiviert. Verstärkt durch Mitarbeiter des Sebnitzer Bauhofs geht es jeden Morgen mit den Motorsägen aufs Wasser.
Es ist ein Knochenjob, der mit jedem Tag anstrengender wird. Je weiter der Sägetrupp in Richtung Staumauer vorrückt, desto länger wird die Strecke, die der Kahn dann voll beladen zurück überwinden muss. Die entasteten Stämme werden an Gurten hängend bis zur Kahnstation am Zulauf des schmalen Stausees gezogen.

Maximal fünf Stück schaffen sie pro Fuhre, erklärt Renee Thomas, während der Kahn geräuschlos durch die idyllische Felslandschaft gleitet. Und auch das nur zu zweit: Ein Mann vorne mit der Stakstange, an der das sechs Grad kalte Wasser die Hände taub werden lässt, einer hinten mit dem Paddel. Für ein Boot voll besetzt mit Touristen genüge dagegen ein Kahnfahrer mit Paddel, die Stämme bremsen die Fahrt.
Im Prinzip machen die Kahnfahrer das, was Waldarbeiter auf der Kirnitzsch hunderte Jahre lang gemacht haben: Sie flößen das Holz. Nur statt hinunter ins Elbtal, schleppen sie die gefällten Fichten ein paar hundert Meter flussaufwärts zum einzigen Fahrweg hinaus aus der Klamm. Sie sind schon froh, dass die Strömung nachgelassen hat, seit es nicht mehr täglich regnet.
Nationalpark plant Hubschraubereinsatz
An der Kahnstation angekommen wartet ein Minibagger auf die Fuhre. Er hebt die vier bis fünf Meter langem Stämme an Land. Dort werden sie in Stücke zersägt, noch immer gut 30 Kilo schwer, und per Hand auf einen Multicar verladen.

Voraussichtlich ab Mitte Juni kann die Kahnfahrt auf der Oberen Schleuse wieder für Besucher öffnen, bis dahin wird noch aufgeräumt. "Wir sind froh, dass die Arbeiten ohne Verletzungen abgeschlossen werden konnten und die Kahnfahrt bald starten kann. Sie ist auch für tschechische Besucher ein attraktives Naturerlebnis", sagt Pavel Benda, der Leiter des Nationalparks Böhmische Schweiz. Für die beauftragten Spezialfirmen sei es eine große Herausforderung gewesen. Die Stadt Sebnitz als Betreiber der Kahnfahrt lobt ausdrücklich die unbürokratische und zügige Zusammenarbeit.
Ausgestanden ist das Thema Borkenkäferbäume in der Kirnitzschklamm damit noch nicht. Entlang der Oberen Schleuse stehen noch weitere befallene und bereits abgestorbene Fichten, die in den kommenden Monaten instabil und gefährlich werden. Für sie hat der Leiter des Nationalparks Sächsische Schweiz, Ulf Zimmermann, bereits einen spektakulären Einsatz angekündigt. Die Bäume sollen im August per Hubschrauber ausgeflogen werden.