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Nationalpark: Kretschmer verspricht Unterstützung

Die Sächsische Schweiz fürchtet um ihren Erfolg als Tourismusregion und ruft beim Ministerpräsidenten um Hilfe. Ein Ortstermin im Borkenkäferwald.

Von Dirk Schulze
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Ministerpräsident Michael Kretschmer (li.) mit Ulrich Voigt vom Sächsischen Bergsteigerbund: "Der Nationalpark muss von allen getragen werden".
Ministerpräsident Michael Kretschmer (li.) mit Ulrich Voigt vom Sächsischen Bergsteigerbund: "Der Nationalpark muss von allen getragen werden". © Steffen Unger

Allein das Personalaufgebot zeigt, worum es bei diesem Termin für die Sächsische Schweiz geht. Eine ganze Kolonne an Kleinbussen und SUVs quält sich am Donnerstag früh halb sieben den steilen Anstieg von Schmilka hinauf in den Heringsgrund. Darin: Der Ministerpräsident, der Nationalparkchef, der Landrat, der Kreisbrandmeister, ein halbes Dutzend Bürgermeister, Vertreter der Landesdirektion, des Tourismusverbands und des Sächsischen Bergsteigerbunds.

Nach einem folgenden Fußmarsch am Ziel angekommen, stimmt der 87-jährige Ehrenvorsitzende des Bergsteigerbunds, Ulrich Voigt, zunächst ein kurzes Lied an: "Wenn du wanderst und kletterst / dann brauchst nicht nur dein Füß und dein Händ / sondern auch dein Aug und dein Kopf / und vor allem dein Herz / dein fühlendes Herz."

Voigt will zeigen: Das hier ist nicht irgendein Wald und nicht irgendein Nationalpark. Die Menschen, die hier leben und die Menschen, die oft seit ihrer Kindheit regelmäßig hierher kommen, um zu wandern oder zu klettern, ganz gleich, ob aus Dresden oder von weiter her - diese Menschen verspüren eine besonders tiefe Verbundenheit zu diesem Gebiet, das sie nicht umsonst gern Felsenheimat nennen.

"Das ist mein Nationalpark. Das ist unser Nationalpark", sagt Ulrich Voigt, der seit 72 Jahren auf die Berge steigt. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), gekleidet in Wanderschuhe, Wanderhose und seine schon bekannte hellgrüne Freizeitjacke mit dem "So geht sächsisch"-Logo, nickt.

Konflikt zwischen Naturschutz und Tourismus

In der Begrifflichkeit "Nationalpark" liegt schon der ganze Konflikt versteckt. Menschen wie der in Dresden aufgewachsene Bergsteiger Ulrich Voigt, die schon ihr ganzes Leben hier unterwegs sind, fühlen sich vor allem der einmaligen Landschaft aus Sandsteinfelsen, Wäldern, Dörfern und Elbestrom verbunden. Auch dem Naturschutz, wie der promovierte Physiker ausdrücklich betont. Mit dem Status als Nationalpark und dem, was dieser an Einschränkungen und Vorschriften mit sich bringt, fremdeln jedoch vor allem vor Ort mehr und mehr Leute.

Großes Aufgebot im Heringsgrund bei Schmilka: Landrat Michael Geisler und Bürgermeister aus der Sächsischen Schweiz klagen bei Ministerpräsident Kretschmer über Stillstand bei Problemen.
Großes Aufgebot im Heringsgrund bei Schmilka: Landrat Michael Geisler und Bürgermeister aus der Sächsischen Schweiz klagen bei Ministerpräsident Kretschmer über Stillstand bei Problemen. © Steffen Unger

Ein Blick ringsum genügt, um zu verstehen, warum der Ministerpräsident hierher gebeten wurde: Die knapp 30-köpfige Gruppe steht unter nadellosen, grauen Fichtengerippen, deren Rinde sich schon vom Stamm löst. In einigen Wochen oder Monaten werden sie in sich zusammenfallen - und dann könnte auch der Weg durch den Heringsgrund zur Heiligen Stiege unpassierbar werden, so wie es aktuell schon etwa 20 Wanderwegen in der Hinteren Sächsischen Schweiz ergangen ist.

Schuld daran ist der Borkenkäfer, der in den alten Fichtenmonokulturen in historisch unbekanntem Maße gewütet hat. Manche sagen, der Nationalpark habe zu wenig und zu spät etwas dagegen unternommen, und nun sei er auch noch mit dem Freihalten der Wege zu zögerlich. Scharfe Kritiker unterstellen der Nationalparkverwaltung sogar Absicht, sie wolle Besucher aus Teilgebieten fernhalten und Totalreservate schaffen.

Der Bergsteigerbund hat einen Stufenplan erarbeitet, wie ein Teil der Wege vorsorglich freigeschnitten werden könnte, um sie vor dem Zubrechen zu bewahren. Denn sind die ersten Fichten erst gefallen, kann womöglich auf Jahre kein Waldarbeiter mehr hinein, weil er von den übrigen, noch stehenden, erschlagen werden könnte. Die Nationalparkverwaltung hielt bisher nur einen kleinen Teil des Plans für machbar.

Abgestorbene Borkenkäfer-Fichten: Erst fallen die Nadeln, dann die Rinde, dann der ganze Baum.
Abgestorbene Borkenkäfer-Fichten: Erst fallen die Nadeln, dann die Rinde, dann der ganze Baum. © Steffen Unger

Angst vor einem Waldbrand im Nationalpark

Es sind aber nicht nur die versperrten Wanderwege, die in der Sächsischen Schweiz mit Blick auf den Tourismus für Verdruss sorgen. Am Nationalpark und dem ihn umgebenden Landschaftsschutzgebiet hängt ein ganzer Themenkomplex, erklärt Landrat Michael Geisler (CDU) dem Ministerpräsidenten. Es geht um den Brandschutz, um Rettungswege, um das alljährliche Verkehrs- und Parkchaos im Sommer und um die seit Jahren geschlossenen Bergbauden am Amselfall und auf dem Großen Winterberg.

Es liegen grob geschätzt 200.000 Festmeter Totholz in den Wäldern. "Wenn es hier zu einem Waldbrand kommt und nachts zwei Boofer verbrennen oder ersticken, dann haben wir ein Problem", sagt Geisler. Wer trägt dann die Verantwortung? Auch bei der Verkehrsproblematik sehen sich die Kommunen immer wieder ausgebremst. Man komme einfach nicht weiter. Zwar gibt es inzwischen ein Konzept, doch bis das umgesetzt ist, vergehen noch Jahre, weil es so viele verschiedene Zuständigkeiten gibt. Deshalb haben Landrat und Bürgermeister an die oberste Stelle im Freistaat geschrieben und den Ministerpräsidenten eingeladen.

Freistaat will Ressourcen bereitstellen

Zurück aus dem Heringsgrund diskutiert die Runde gut anderthalb Stunden hinter verschlossenen Türen bei belegten Brötchen und Kaffee im Canaletto-Saal des Hotels Elbresidenz in Bad Schandau. Dann werden erste Ergebnisse verkündet.

Zum Thema Borkenkäfer und versperrte Wege erklärt Ministerpräsident Kretschmer: "Wir waren, das muss man sagen, nicht hundertprozentig auf die Situation vorbereitet." Am bestehenden Wegenetz im Nationalpark Sächsische Schweiz, das rund 400 Kilometer markierte Wanderwege, sowie weitere Bergpfade und Kletterzustiege umfasst, werde jedoch nicht gerüttelt. "Wir werden alles dafür tun, diese Wege wieder freizuschneiden", sagt der Ministerpräsident. Aus Arbeitsschutzgründen gehe das aber nicht überall sofort.

Und: "Ich verspreche, dass der Freistaat alle Ressourcen bereitstellen wird", sagt Kretschmer. Das könnte Personal und Technik sein - der Nationalpark hat kaum eigene Waldarbeiter - oder auch finanzielle Unterstützung. Auf Größenordnungen legte sich der Ministerpräsident nicht fest.

Mehr Wege werden vorsorglich freigesägt

An sieben Wanderwegen aus dem Stufenplan des Bergsteigerbunds soll nun vorsorglich gesägt werden. Bislang war nur von dreien die Rede. Das Ziel sei es, dass bis Mitte August alle erforderlichen Genehmigungen der Landesdirektion vorliegen. Bis dahin dauert ohnehin die Brutschutzzeit der Vögel, während der keine größeren Arbeiten möglich sind. Von Mitte August bis Mitte März 2022 soll dann kontinuierlich gearbeitet werden.

Bislang hatten Nationalpark und Landesdirektion argumentiert, dass sogenannte flächige Eingriffe, bei denen die toten Bäume auf eine Stammlänge links und rechts des Weges kahlgeschlagen werden, naturschutzrechtlich kaum genehmigungsfähig sind. Beim Bergsteigerbund engagierte Forstexperten schlagen jedoch eine andere Vorgehensweise vor. Es sollten nur einzelne Bäume und teils nur die Kronen abgeschnitten werden, sodass Hochstubben stehen bleiben. Dies wäre leichter mit dem Naturschutz in Einklang zu bringen, und man könne kostengünstiger mehr Fläche bearbeiten. Das muss die Landesdirektion nun prüfen.

"Der Nationalpark hat nur eine Chance, wenn er von den Menschen getragen wird, die hier leben", sagt Kretschmer zum Abschied in Bad Schandau. Im Herbst soll es das nächste Treffen geben, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Dann gern auch mit seinen Regierungskollegen Wolfram Günther (Grüne) und Martin Dulig (SPD).