Neue Basteiaussicht eröffnet: Sachsen hat seinen Balkon zurück

Vorn an der Kante peitscht der Wind den Regen ins Gesicht, Schirme klappen um. Wer trocken bleiben will, hat keine Chance. Die ersten offiziellen Gäste der neuen Basteiaussicht, 200 Meter hoch oben über Elbe, stört das nicht. Alles drängt nach vorn, jeder will ein Foto vom berühmtesten Ausguck der Sächsischen Schweiz. Sachsen hat seinen Balkon zurück.
Als Finanzminister sei er widrige Umstände gewöhnt, sagt Hartmut Vorjohann (CDU), der die neu gebaute Aussichtsplattform am Freitagmittag als Bauherr und Vertreter des Freistaats gemeinsam mit dem stellvertretenden Nationalparkchef Christian Stark eröffnet.
Drei Millionen Euro hat der Bau gekostet. "Und die sind hier sehr, sehr gut angelegt", sagt Vorjohann. Der Tourismus sei für die Sächsische Schweiz von herausragender Bedeutung. Jetzt sollen die Gäste den einmaligen Ausblick von hier oben wieder uneingeschränkt genießen können. Die neue Plattform ist barrierefrei. Er könne den Besuch nur jedem empfehlen.
Spannbeton schwebt über dem Fels
Ein kühnes Werk der Ingenieurskunst ist es, dass Planer und Baufachleute hier auf die Felsspitze gegossen haben. 20 Meter lang ist die Plattform und 3,30 Meter breit. 40 Tonnen Beton wurden in die Schalung gepumpt. Das Besondere aber ist die freischwebende Spannbetonkonstruktion. Die Plattform liegt nur im hinteren Teil auf dem Sandstein auf, vorn schwebt sie frei über der Felsspitze. Wer an der Kante leicht mit den Füßen wippt, kann die Schwingung spüren.

Die Charakteristik des Sandsteins war der eigentliche Grund für den ganzen Aufwand. Der Fels zerbröselt innerlich. Am 12. Mai 2016 musste die vorderen zehn Meter der Aussichtsplattform für Besucher gesperrt werden. Geologen hatten dem Gestein eine mangelnde Standfestigkeit attestiert. Bei Probebohrungen an der Felswand waren sie auf zerfallendes Gestein gestoßen. Später stieß man noch in 16 Metern Tiefe unter der Aussicht auf puren Sand.
Basteiaussicht drohte dauerhafte Sperrung
Zwischenzeitlich sah es gar nicht gut aus für den jährlich von 1,5 Millionen Menschen besuchten Touristenmagneten. An dem sich auflösenden Sandstein sei nichts mehr zu retten, hieß es Anfang 2017, der vordere Teil der Plattform müsse für immer gesperrt bleiben. Ein Schock für die Region. Zehn Meter zurückgesetzt ist der Ausblick zwar kaum weniger spektakulär und ringsum das Bastei-Hotel existieren zahlreiche weitere Aussichtspunkte, doch der exponierte Standort vorderster Felsspitze ist eben doch einzigartig.
Im April 2019 präsentierte der Freistaat seine Lösung: die freischwebende Plattform und eine umfangreiche Felssicherung. Kurz darauf wurde die alte Plattform beseitigt und die Felsoberfläche wieder in einen naturnahen Zustand versetzt.
Bildergalerie: Der Umbau der Basteiaussicht
Sandstein mit Stahl und Beton gesichert
Tatsächlich war die Felssicherung der eigentliche Akt. Mit bis zu 300 Kleinbohrpfählen wurde die vordere Sandsteinnadel regelrecht zusammengetackert. Spezialisten hingen dafür hoch über der Elbe am Seil in der Wand: bohren, einpressen, betonieren - alles von Hand. Insgesamt 1.000 Meter dieser Pfähle stecken im Gestein.
Das hintere Felsmassiv haben die Arbeiter mit metertiefen Stahlpfosten und eingespritztem Beton stabilisiert. "Äußerlich sieht es noch aus wie Sandstein, im Inneren besteht der Großteil jetzt vermutlich aus Beton und Stahl", sagt Jaroslaw Golaszewski vom Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB), der das Projekt von Beginn an leitete. Die Felssicherung macht etwa Dreiviertel der Kosten aus.
Sächsische Schweiz: Bastei ältestes Naturschutzgebiet
Der Aufwand hat sich gelohnt, findet Jens Michel, Präsident des Sächsischen Rechnungshofs: "Ohne die neue Aussichtsplattform wäre die Sächsische Schweiz um eine Attraktion ärmer gewesen", sagt Michel, der sich als damaliger CDU-Landtagsabgeordneter für den Bau eingesetzt hatte. Heike Großmann (CDU), die Bürgermeisterin der Gemeinde Lohmen, auf deren Grund sich die Bastei befindet, freut sich, dass die Aussicht nun wieder komplett ist. Neben den Urlaubern hätten damit auch die Einheimischen einen Anreiz, der Bastei mal wieder einen Besuch abzustatten.
Auch die Nationalparkverwaltung begrüßt die Wiedereröffnung. "Die Bastei ist das älteste Naturschutzgebiet in der Sächsischen Schweiz und liegt seit Anbeginn im Nationalpark", sagt Christian Starke, der stellvertretende Leiter. Dank sorgfältiger Planung und einer vorbildlichen ökologischen Baubegleitung wären Auswirkungen der Bauarbeiten auf die Natur minimal ausgefallen.
Tourismus in der Sächsischen Schweiz atmet auf
Für Tino Richter, den Geschäftsführer des Tourismusverbands Sächsische Schweiz, hat die Wiedereröffnung gar Symbolcharakter. "Es ist die wichtigste Aussicht in der Region", sagt Richter. Dass es gelungen sei, sie zu erneuern, sei ein Zeichen für die Rückkehr zu Normalität. Nach schweren Jahren - erst die Coronapandemie, dann der Waldbrand - könne die Tourismusbranche nun optimistisch in die Zukunft blicken.
Ihren Segen bekommt die neue Aussichtsplattform auch vom Ehrenvorsitzenden des Sächsischen Bergsteigerbunds, Ulrich Voigt. Er sei hochzufrieden, dass man sich für die jetzige Bauform entschieden habe und nicht für einen gläsernen Skywalk wie mancherorts in den Alpen, der kurzzeitig im Gespräch war. "Solches Spektakel brauchen wir hier nicht", sagt der 1934 geborene Elbsandsteinkenner. "Die Bastei ist Spektakel genug."