Der Lichtfänger vom Papststein

Man nennt sie die "Goldene Stunde", jene Stunde, in der die Sonne den Horizont küsst, das letzte Licht milde über die Landschaft fließt. Es ist die Stunde, in der die Stimmung wie im Zeitraffer wechselt, in der man zweihundert Bilder schießt, oder mehr. Aber heute ist dem Himmel das Gold ausgegangen. Dichtes Grau liegt über dem Papststein. Philipp Zieger steigt unbeirrt bergan. Er hat gelernt zu hoffen, auf die Lücke, auf das Licht. Das macht die Sache erst spannend, sagt er. "Das Licht ist unberechenbar."
Die Sächsische Schweiz ist ein Fotoparadies. Für den Malerweg gilt das ganz besonders. Ob Schluchten, Berge, Bäche, ob Panorama oder Krüppelkiefer - auf 116 Kilometern lässt der Rundkurs kaum eine lohnende Ansicht aus. Die Maler der Romantik schufen daraus schon vor 200 Jahren ihr "Instagram". Das Bilder machen hält bis heute an.
Halb eins aufstehen für den mystischen Mond
"Fotografie ist malen mit Licht", sagt Philipp Zieger. Licht ist für den Elbsandsteinfotografen das, was für den Maler die Farben und die Fantasie waren. Wobei es auch Zieger nicht allein der Natur und seiner Kamera überlässt, wie das Foto aussieht. Bei der Nacharbeit am Rechner versetzt er sich zurück, versucht, die Akzente so zu wählen, wie er sie erlebt hat. Das schafft persönliche Nähe zum Bild, sagt er, "das ist meine Handschrift".

Mit dem Rückversetzen hat Philipp Zieger kein Problem. Die Natur der Sächsischen Schweiz wirkt nachhaltig. "Viele Momente habe ich noch lebhaft in Erinnerung." Um tagelang Glücksgefühle zu empfinden, muss man nicht nach Island fahren, oder, wie er es auch mal getan hat, die Alpen überschreiten. Der Mond über den Schrammsteinen nachts um halb vier ist mindestens genauso schön. "Man kann hier viele sagenhafte Sachen erleben."
Aber raus gehen muss man. Und wenn es sein muss, die Komfortzone verlassen. Für das Mondscheinbild ist Zieger halb eins aufgestanden. Für einen Sonnenaufgang klingelt der Wecker halb drei. Heute pfeift der Wind kalt durch die Klamotten. Wer jetzt noch wandert, wandert heimwärts. Wir aber halten Kurs auf den Papststeingipfel.

Während seiner Jugend im nahen Neustadt hat Philipp Zieger weder zum Elbsandstein noch zur Fotografie eine besondere Zuneigung empfunden. Beides entwickelte sich erst in der Ferne, im Harzvorland, wo Zieger als Horterzieher beschäftigt war. Mit den Kindern ging er viel raus, dokumentierte seine Arbeit mit der "Knipse". Nach und nach bekam er ein Auge für besondere Situationen.
Der höchste unter den Tafelbergen
Ein Auge bekam er aber auch für das, was andere in seiner alten Heimat, der Sächsischen Schweiz, mit dem Fotoapparat anstellten. Zurück in Neustadt begann er ab 2015, sich die Landschaft zu erschließen. Er machte Ausflüge, ging Wandern, lief den Malerweg. Er fand heraus, dass eine der reizvollsten Landschaften Deutschlands genau vor seiner Haustür lag. Fortan wollte er die eigene Begeisterung auf andere übertragen - durch die Kameralinse.

Der Papststein ist einer von fünf Tafelbergen, die der Malerweg überwindet. Mit gut 450 Metern ist er auch der höchste. Ihn zu erklimmen, dauert trotzdem nur zehn Minuten. Die "vortreffliche Aussicht" lobte schon vor 200 Jahren der "Entdecker" des Elbsandsteingebirges Wilhelm Leberecht Götzinger in seinem Reisebericht "Beschreibung der sogenannten Sächsischen Schweiz".
Philipp Zieger geht nicht ganz nach oben. Bevor die Bergwirtschaft auftaucht, setzt er den Rucksack bei einem Felssporn ab, der Richtung Westen zeigt, zum Gohrisch hin. Die sinkende Sonne soll den Fels in Brand setzen. Doch nur fahler Schein sickert durch die Wolken. So sieht also klarer Himmel aus, frotzelt Philipp gegen die Wettervorhersager. "Nix mit klar".

Die Ausrüstung macht er trotzdem bereit, entfaltet das Stativ, checkt die Kamera, ein Vollformat von Sony, Kostenpunkt zweieinhalbtausend, gebraucht, pustet mit dem Blasebalg Stäubchen von der Linse. Auch wenn es jetzt kaum Hoffnung gib, Philipp wartet: Nichts wäre ärgerlicher, als die Himmelsglut auf dem Abstieg zu erleben.
Während er wartet und hofft, steckt er die Hände nicht in die Taschen. Mit der Kamera erkundet er den Umkreis, sucht lohnende Motive, Blickbeziehungen, Details. Bereit sein ist alles. Er klettert auf eine Felsnase und versucht, einen Baum in Szene zu setzen, der unterhalb, zwischen rostroten Buchen und goldgelben Birken, hingestreckt liegt.

Das ist das Gute am Herbst: Die bunte Landschaft leuchtet wie von selbst. Doch mit Sonne wäre alles noch viel schöner. So wie in den Urlaubsbroschüren, so wie in dem Bildband, den Philipp Zieger kürzlich selbst veröffentlicht hat. Wer diese Fotos sieht, denkt, er hätte das perfekte Licht gepachtet. "Tatsächlich sind es unzählige Versuche, die wir für ein bestimmtes Motiv brauchen."
Das perfekte Bild mit der standhaften Kiefer
Aber es gibt Momente, wo alles passt. Einen hat Philipp Zieger hier, auf dem Papststein, erlebt, an einem Abend im Mai. Es war bewölkt, so wie heute, aber dann brach das Licht im letzten Moment doch noch hervor und Philipp, der hinter einer Riffkiefer hockte, drückte den Auslöser, die Blende weit geschlossen, sodass ein Sonnenstern an dem knorrigen Gewächs erstrahlte.

Es war eins dieser Bilder, sagt Philipp Zieger, wo man nicht mehr weiß, was man besser machen könnte. Und das war auch gut so. Denn die kleine Kiefer gibt es nicht mehr. Ein Jahr darauf verdorrte sie. Viele Stellen im Gebirge wandeln sich. Das ist der Lauf der Dinge, sagt Zieger. "Ich bin einer, der das für die Nachwelt festhält."
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Auch heute kriegt er was zum Festhalten. Plötzlich, die Sonne ist eigentlich schon untergegangen, zieht das Wolkentheater den Vorhang zurück. Wie flüssiges Feuer steht ein Lichtstreif über dem Gohrisch, und die Sphäre darüber leuchtet auf, in Rosa und Orange.
"Mannomann, seht euch das an!" Philipp Zieger ist in voller Fahrt. Er fotografiert, wechselt die Stellung, fotografiert, wieder und wieder. Eigentlich ist der Anblick schon fast zu kitschig. Aber nur fast, sagt er. Denn wir sind ja hier. "Wir wissen, dass es wirklich so war."