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Der Optimist vom Balkon der Sächsischen Schweiz

Michael Dora ist Wirt der Brand-Baude bei Hohnstein. Corona, Inflation und Waldbrand - er hätte genug Grund zu jammern. Doch stattdessen investiert er.

Von Jörg Stock
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Wenn man nur an die Probleme denkt, dreht man durch, sagt Michael Dora. Als Chef des Bergrestaurants Brand-Baude bei Hohnstein hat er auf jeden Fall immer eine gute Aussicht - vom "Balkon der Sächsischen Schweiz".
Wenn man nur an die Probleme denkt, dreht man durch, sagt Michael Dora. Als Chef des Bergrestaurants Brand-Baude bei Hohnstein hat er auf jeden Fall immer eine gute Aussicht - vom "Balkon der Sächsischen Schweiz". © Steffen Unger

Das ist irgendwie verrückt hier, sagt Reuben, irgendwie "crazy": Du wanderst gemütlich durch die rollenden Hügel, dann biegst du mal kurz zur Seite ab und stehst nach zwanzig Metern plötzlich - Zack! - vor einem gigantischen Canyon voller bizarrer Felsen. "Wirklich beeindruckend."

Die Sächsische Schweiz weiß, wie sie ihre Gäste überrascht. Reuben, ein Brite aus Wales und zurzeit Student der Globalen Geschichte in Berlin, ist für zwei Tage zum Wandern hierhergekommen, mit Paula, seiner Freundin. Bei Hohnstein, auf dem Campingplatz, haben sie am Morgen die Rucksäcke geschultert. Jetzt ist Kaffeezeit, und es sieht so aus, als habe der Marsch direkt nach Amerika geführt. Der Horizont steht voller Tafelberge. Ein bisschen wie in Colorado, findet Reuben. "Als ich das sah, dachte ich an Monument Valley."

Das sächsische Monument Valley ist ein Publikumsmagnet. Neulich erst, bei einer Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus unter gut 15.000 Deutschlandreisenden, belegte die Sächsische Schweiz landesweit Platz 3 in der Klasse der Nationalparks und Platz 1 unter den sieben Nationalparks des Ostens. Bis Corona kam, zählte der Tourismusverband immer mehr Besucher im Elbsandsteingebirge. Das Rekordjahr 2019 brachte den größeren Häusern fast 1,8 Millionen Übernachtungen. Kleinere Herbergen hinzugerechnet, ging man zuletzt von insgesamt etwa 2,4 Millionen jährlichen Übernachtungen aus.

Aufschwung vom Qualm des Waldbrands erstickt

Nach zwei Jahren dünner Luft unter Schutzmasken und Lockdowns sollte 2022 das Jahr des Aufatmens für die Gastgeber werden. Das sagt Tino Richter, der Geschäftsführer des Tourismusverbands Sächsische Schweiz. Bis zum Sommer seien die Erwartungen auch ziemlich genau eingetroffen. Doch dann erstickten die Rauchschwaden des großen Waldbrands den Aufschwung. Die Wälder waren wochenlang gesperrt, Gäste reisten wieder ab oder kamen gar nicht erst. Richter schätzt die Umsatzausfälle auf eine zweistellige Millionensumme.

Dass der Brand ausgerechnet den Juli und den August traf, die Zeit, wo die Wirte am besten verdienen, ist an sich schon tragisch. Tino Richter befürchtet aber auch Folgeschäden. Im Sommer dächten die Leute bereits über den Herbst-Urlaub nach. Die Schlagzeilen vom Großbrand hätten am Image der Region gekratzt. Und da Reise-Entscheidungen eher spontan fielen, habe sich mancher womöglich gegen die Sächsische Schweiz entschieden. Die verhaltenen Buchungen für den Herbst könnten ein Hinweis darauf sein. "Es läuft schwerer wieder an."

"Wir kommen sicher wieder." Reuben Pierrepoint und Paula Höpfner, Studenten aus Berlin, rasten bei ihrem Kurztrip in die Sächsische Schweiz auf der Brand-Baude.
"Wir kommen sicher wieder." Reuben Pierrepoint und Paula Höpfner, Studenten aus Berlin, rasten bei ihrem Kurztrip in die Sächsische Schweiz auf der Brand-Baude. © Steffen Unger

Den Fakten nach gibt es keinen Grund mehr, die Sächsische Schweiz zu meiden. Die letzten Glutnester sind gelöscht, der Katastrophenalarm ist beendet, das Waldverbot aufgehoben. Nur gut anderthalb Prozent des Nationalparkwaldes haben die Flammen zu fassen gekriegt, und das in eher entlegenen Gebieten. So wird Tourismuschef Richter nicht müde, Einladungen in die Mikrofone und Notizblöcke der Presse zu sprechen: "Man kann hier wunderbar Urlaub machen", sagt er, "und damit der Region etwas Gutes tun."

Das gilt auch für jenen Ort, an dem Reuben und Paula das sächsische Monument Valley entdeckt haben: den Hohnsteiner Brand. Das Felsplateau thront hundertachtzig Meter über dem Polenztal. Die Aussicht ist eine der schönsten im Elbsandsteingebirge. Sie enthält alle Berühmtheiten, von den Schrammsteinen bis zur Bastei, inklusive Fräulein Barbarine. "Balkon der Sächsischen Schweiz" wird sie genannt, und wahrlich nicht umsonst.

Bierhumpen mit Schwarztee und Zitrone

Auf diesem Balkon sitzt nun auch Michael Dora, 55, kahles Haupt, runde Brille, wacher Blick. Er ist der Wirt der Brand-Baude, jenes Lokals, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts um diesen Fleck herum gewachsen ist. Er wird hier nicht jene zwanzig Minuten sitzen, die er eingeplant hat, um über die Lage des Gastgewerbes in der Sächsischen Schweiz zu reden. Er wird an die zwei Stunden sitzen. Nicht nur ihm geht das so. Viele bleiben länger als sie wollten. Der Ort hat eine spezielle Atmosphäre, sagt Dora, schwer zu fassen, aber leicht zu fühlen. "Sie lässt die Leute verweilen."

Wirt - das Wort trifft auf ihn eigentlich gar nicht zu, findet Michael Dora. Er sieht sich nicht als typischen Kneiper. Die goldgelbe Flüssigkeit in seinem Bierhumpen ist kein Bier, sondern schwarzer Tee. Eine Zitronenscheibe schwimmt darin. Das hat er sich bei seinen tschechischen Angestellten abgeschaut, von denen er vier im Dienst hat. Insgesamt beschäftigt Dora gut zwanzig Leute. Er ist überbesetzt, was paradox klingt angesichts des Fachkräftemangels, und auch wieder nicht: "Ich muss das Personal einstellen, wenn ich es kriege, nicht wenn ich es brauche."

Bisher hat Dora mit dem Kriegen keine Not gehabt. Neue Mitarbeiter kamen meist auf Empfehlung derer, die schon da waren. Das nimmt er als Beweis für ein gutes Betriebsklima. Menschen arbeiten am liebsten da, wo sie sich wohlfühlen. Er selbst hält sich im Gastraum für verzichtbar. "Ich darf mich der Büroarbeit widmen", sagt er, und lacht etwas gequält. "Wer schreibt, der bleibt."

Feuer aus! Dieses Infoblatt im Gästebuch der Brand-Baude teilt mit, dass die Wälder des Nationalparks wieder betreten werden dürfen.
Feuer aus! Dieses Infoblatt im Gästebuch der Brand-Baude teilt mit, dass die Wälder des Nationalparks wieder betreten werden dürfen. © Steffen Unger

Dass Doras Weg einmal in den Tourismus führen würde, war keineswegs vorgezeichnet. Gelernt hat er einmal Nachrichtentechniker. Dann studierte er auf Lehramt, Deutsch und Kunst. 2006 wurde er auf die Brand-Baude aufmerksam. Eine Bank bot das Haus insolvenzbedingt neuen Nutzern an, fand aber keine. Vielleicht, so sagt Dora, weil große Umsätze mit Bustouristen hier nicht zu machen sind. Im Nationalpark gelegen, kommt man nur ohne Auto zur Baude. Den untypischen Wirt Dora reizte gerade diese Konstellation. Die Gaststube sollte weniger wichtig sein, die Beherbergung das Zugpferd werden.

Den Gastraum hat Dora trotzdem als erstes erneuert. Baulich nicht zu halten, musste 2007 ein Ersatzneubau her. Nach Jahren des Ringens um frisches Geld, ging die Bauerei 2019 noch einmal los. Das historische Logiergebäude von 1907, das Steinhaus, wurde saniert. Pünktlich zur Corona-Krise waren acht Ferienwohnungen mit bis zu zwanzig Betten fertiggestellt, für fast eine ganze Million Euro.

Eine Pferdegarage wird zu Ferienhaus

Nun rumoren die Bauleute erneut, diesmal in der "Villa Rosl", der einstigen Remise. Hier hatten früher zwanzig Pferde Platz. Aus dem Stallgebäude wird ein Ferienhaus gemacht. Sechs Schlafzimmer, drei Bäder, große Küche. Familien sollen hier entspannen, sagt Dora, Kinderlärm kein Problem. "Das Ungezwungene ist sehr wichtig." Auch neu: eine barrierefreie Einliegerwohnung, geeignet für Elbsandsteinreisende im Rollstuhl. Noch diesen September soll alles bezugsbereit sein.

Wenn die "Villa Rosl" öffnet, wird Michael Dora auf dem Brand locker über zwei Millionen Euro investiert haben. Freilich, ein guter Teil ist Fördergeld. Dennoch muss er den Kopf schüttelt, wenn er über die Summen nachdenkt. "Es ist absurd." Erst recht in diesen Zeiten. Die Lohnkosten explodieren, die Energiekosten auch. Das Land zittert vor der Inflation. Viele Menschen werden ihr Geld vorsichtiger ausgeben, manche tatsächlich arm werden. "Es gibt Verunsicherung in allen Bereichen." Dora wäre nicht überrascht, wenn einige Wirte hinschmissen. "Weil sie keine Lust mehr haben."

"Es sah aus wie eine Atomexplosion"

Und er? Hat er Angst vor der eigenen Courage? Er sagt es so: "Viele Dinge machst du nur deswegen, weil du nicht weißt, was dich erwartet." Aber ja, als Optimisten würde er sich schon bezeichnen. Sonst hätte er das alles hier nicht angefangen, schon gar nicht ohne Ahnung von Betriebswirtschaft. Als Autodidakt habe er viel Lehrgeld zahlen müssen, habe Unsummen eingebüßt. Derart unbeleckt ins Geschäft einzusteigen, würde er heute niemandem mehr empfehlen.

"Eine Oase der Ruhe." Blick vom Balkon des frisch renovierten Steinhauses der Brand-Baude in Richtung Schrammsteinmassiv und Böhmen.
"Eine Oase der Ruhe." Blick vom Balkon des frisch renovierten Steinhauses der Brand-Baude in Richtung Schrammsteinmassiv und Böhmen. © Steffen Unger

Michael Dora ist einer, der zu seinen Defiziten steht. Die Auslastung der Baude liegt jetzt bei etwa 45 Prozent. Da ist Luft nach oben, und das weiß er. "Es könnte besser laufen." Er müsste sich mehr aufs Management seiner Betten konzentrieren. Aber solange er baut, fehlt ihm die Kraft dazu. Den Bauleiter muss er zusätzlich zum laufenden Betrieb spielen. "Das ist ja alles noch on top!"

Und nun ist "on top" auch noch das verheerende Feuer gekommen, das noch schlimmer in Böhmen hauste, aber auch 150 Hektar auf deutscher Seite betraf. Es gilt als größter Waldbrand in der Sächsischen Schweiz seit 180 Jahren. Auch vom Brandplateau aus war es zu betrachten. Hinter den Schrammsteinen, da, wo von Bäumen verdeckt der Winterberg liegt, quoll die Rauchsäule auf breiter Front zum Himmel. Michael Dora hat das schaurige Bild noch vor Augen. "Es sah aus wie eine Atomexplosion."

Hoffen auf die Waldbrand-Hilfen

Am 26. Juli begann das Waldbetretungsverbot, nicht nur am Brandort, der etwa zehn Kilometer Luftlinie von der Baude entfernt lag, sondern im gesamten Landkreis. Man wollte die Leute raus haben aus den knacktrockenen Forsten, um nicht noch weitere Entzündungen zu riskieren. Michael Dora musste alle Gäste heimschicken und dicht machen. Seine Verluste schätzt er auf 25.000 bis 30.000 Euro.

Die Staatsregierung hat den Wirten zwei Millionen Euro Soforthilfe versprochen. Für seine Baude darf Dora mit wenigstens 5.000 Euro rechnen. Er hofft, dass sie schnell ankommen, schneller als manche Überbrückungshilfe bei Corona, die er Monate später erhielt. "Wir können das nicht schon wieder stemmen." Zur Eile mahnt auch Tino Richter beim Tourismusverband. "Unternehmen, die ordentlich gearbeitet haben, müssen in der Lage sein, über den Winter zu kommen."