So kann Sachsen den Lehrermangel beenden

Dieses Schuljahr wäre geschafft, jetzt beginnen die Sommerferien. Doch manche Schüler in Sachsen dürften in den letzten Monaten ohnehin schon mehr Freizeit genossen haben, als ihnen lieb ist. In Dresden und Löbau wurden an zwei Grundschulen sogar ganze Klassen nach Hause geschickt – weil Lehrer fehlen. Die Belastung fällt so wieder auf die Eltern zurück, so wie in zwei Pandemiewintern zuvor auch schon.
Es gibt in Sachsen zu wenige Lehrerinnen und Lehrer, um alle Fächer, die im Lehrplan stehen, auch zu unterrichten – weder an Grund-, Förder- oder Oberschulen noch an Gymnasien, und schon gar nicht an Berufsschulen. Auch für krankheitsbedingte Ausfälle, Mutterschutz, Weiterbildungen oder Förderstunden gibt es keine Reserven.
Stunden fallen aus, Klassen werden vergrößert, Stoff wird nicht vermittelt. Die Leidtragenden sind die Schülerinnen und Schüler. Und ihnen fehlt nicht nur Unterricht – die verbliebenen Lehrerinnen und Lehrer haben, weil sie den Mangel ausgleichen müssen, auch keine Zeit, sich um individuelle Förderung oder besondere Bedürfnisse zu kümmern.
Schon seit Langem kann Sachsen seinen Personalbedarf in den Schulen nicht decken. Die katastrophalen Zustände zwangen die Regierung schon vor Jahren, sich zu bewegen: 2019 wurde die Lehrerverbeamtung eingeführt, Grundschullehrer werden besser bezahlt, es gibt mehr Studienplätze, Ruheständler helfen als Honorarkräfte aus, Gymnasiallehrer werden über dem Bedarf eingestellt und angehende Lehrer bekommen Zuschläge, wenn sie auf dem Land unterrichten. Geholfen hat all das nur wenig.
Denn parallel dazu sind auch die Herausforderungen an den Schulen gewachsen: Inklusion, digitale Lehre, das Aufholen der Lerndefizite durch die Corona-Pandemie und jetzt noch die schulische Integration ukrainischer Kinder. Ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer hat sich in den vergangenen zwei Jahren auch überaus engagiert, um die Gruppen zusammen- und die Kinder am Ball zu halten. Doch die Belastungsgrenze des Schulsystems ist längst überschritten.
Neun von zehn Lehrern gehen früher in den Ruhestand
Das Ergebnis: Sachsen verbrennt seine Lehrkräfte. Sie müssen immer mehr Aufgaben übernehmen, werden aber für den Mehraufwand nur unzureichend entlastet, weil eben das Personal fehlt. Bundesweite Daten zeigen, dass ein erheblicher Teil der Lehrkräfte im Durchschnitt mehr als 48 Stunden pro Woche arbeitet – trotz Einberechnung der Ferienzeit. Überlastung ist ein Dauerzustand, Resignation und Ausweglosigkeit machen sich breit.
Viele Lehrkräfte wechseln in Teilzeit, um der Überlastung und den gravierenden Folgen für die Gesundheit zu entkommen. Manche sind schon langzeitkrank. Neun von zehn Lehrkräften gehen vorzeitig in den Ruhestand. Das führt dazu, dass noch mehr Personal fehlt. Ein Teufelskreis.
Sachsens Kultusministerium versucht, mit kurzfristigen Maßnahmen zu reagieren. Die Klassenobergrenze in den Vorbereitungsklassen wurde von 23 auf 28 Schüler erhöht, die Stundentafel massiv gekürzt. Besserung ist aber nicht in Sicht. In den kommenden zwei Jahren sind im Haushalt insgesamt 730 zusätzliche Lehrerstellen eingeplant. Der tatsächliche Bedarf ist viel höher: Sachsens Schulen brauchen 2.400 Stellen, damit vor jeder Klasse immer ein Lehrer steht. Die Absicherung für Krankheitsausfälle oder Weiterbildungen herausgerechnet, wären noch 1.850 Stellen nötig. Dazu kommt, dass nach einer aktuellen Prognose die Schülerzahlen stärker steigen und erst später wieder sinken als angenommen.
Auf dem Land ist Lehrermangel am gravierendsten
Besetzen kann der Freistaat wohl selbst die 730 Stellen nicht. Denn Bewerber für den Lehrerberuf sind rar. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hat versprochen, dass keine Einstellung einer Lehrerin oder eines Lehrers an einer fehlenden Stelle scheitern wird. Das ist auch nötig: Sachsen ist auf alle vollständig ausgebildeten Lehrer, die sich für den Schuldienst bewerben, angewiesen.
Doch leider bewerben sich einfach zu wenige. Um das Problem langfristig abzumildern, müsste viel mehr sächsischen Abiturienten der Zugang zum Studium erleichtert werden. Der erste Schritt wäre es daher, den Numerus clausus abzuschaffen, der für viele Lehramtsstudiengänge noch gilt. Ihn kann sich Deutschland nicht mehr leisten.
Auf dem Land ist der Lehrermangel am gravierendsten. Darum muss die Lehrerausbildung endlich in ganz Sachsen stattfinden und nicht nur in den Ballungszentren Dresden und Leipzig. Die Wiedereinführung des Grundschullehramts in Chemnitz hat dazu geführt, dass sich mehr Lehrerinnen und Lehrer an den dortigen Schulen bewarben, die in Chemnitz studiert hatten.
Junge, gut ausgebildete Menschen sind eine hart umkämpfte Ressource in Deutschland. Sie können sich aussuchen, wo und für wen sie arbeiten. Der Lehrer-Job muss attraktiver werden, und zwar nicht nur mit Blick auf die Arbeitsbelastung oder mit der Sicherheit der Verbeamtung. Gut ausgestattete, voll digitalisierte Schulen sind nicht nur für Schüler gut. Sie geben auch jungen Lehrern das Gefühl, dass sie einen Job an einem modernen Arbeitsplatz haben – einen Job, der wirklich etwas bewirken kann, jetzt und in Zukunft.