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Spielsucht steigt trotz Corona-Lockdowns

Spielsüchtigen ist in der Corona-Krise der Weg zum Geldspielautomaten verwehrt. Vom Glücksspiel kommen viele trotzdem nicht los. Im Gegenteil.

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Trotz geschlossener Spielhallen nimmt die Spielsucht nicht ab.
Trotz geschlossener Spielhallen nimmt die Spielsucht nicht ab. © Sebastian Gollnow/dpa (Symbolbild)

Dresden. Spielhallen und Kasinos sind wegen der Corona-Pandemie seit Wochen dicht: Die Spielsucht nimmt in Sachsen aber weiter zu. Die Zahl der Süchtigen sei zwar noch relativ niedrig. "Aber es zeichnet sich ein steigender Trend ab", sagte der Leiter der Sächsischen Landesstelle gegen die Suchtgefahren (SLS), Olaf Rilke, in Dresden. Nach seinen Angaben wird von landesweit etwa 5.000 bis 15.000 Menschen ausgegangen, die von den Spielautomaten nicht lassen können. Etwa drei Prozent jener, die bei Suchtberatungsstellen Hilfe suchten, leiden demnach an Spielsucht.

Nach Angaben der AOK Plus stieg in Sachsen und Thüringen die Zahl pathologisch Spielsüchtiger je 100.000 Versicherter, die sich in stationäre oder ambulante Behandlung begeben haben, von 2016 bis 2019 von 34,2 auf 39,5. Glücksspielsucht ist seit 2004 eine anerkannte Krankheit. Das habe sich noch nicht genug herumgesprochen, so Rilke. "Deshalb werden Therapien oft zu spät in Anspruch genommen."

Als pathologisch spielsüchtig gilt, wer die Kontrolle über sein Spielverhalten verloren hat und trotz hoher Verluste und sozialer Probleme damit nicht aufhören kann. "Das Glücksspielen wird Lebensmittelpunkt. Familien, Beruf, andere Interessen werden vernachlässigt", sagte Rilke. In der Regel sei die ganze Familie finanziell betroffen. Etwa jeder vierte Süchtige habe Spielschulden von mehr als 25.000 Euro. Vor allem Geldspielautomaten wird ein hohes Suchtpotenzial nachgesagt. Süchtig machen können aber auch Lotto, Sportwetten, Roulette, Kartenspiele und illegale Glücksspiele.

Keine Alternativen zur Spiel-Fixierung

Zwar gebe es noch keine konkreten Hinweise zum Einfluss der Corona-Pandemie auf das Suchtverhalten. Dennoch würden Kontakteinschränkungen und Zukunftsängste den Suchtmittelmissbrauch begünstigen, sagte Rilke. Denkbar sei, dass Spielhallenbesucher während des Lockdowns teilweise auf das Online-Glücksspiel im Internet umstiegen. Aber nicht alle. "Viele von ihnen sind auf das Automatenspiel fixiert, schätzen die Spielhallen-Atmosphäre, die Begegnung mit Mitspielern. Sie fühlen sich dort wie zu Hause."

Die geschlossenen Spielhallen und Kasinos seien für die Glücksspielsüchtigen Segen und Fluch zugleich, sagte Martina Allstedt vom Leipziger Suchtzentrum "Impuls". Zwar würden sie jetzt von den Spielautomaten ferngehalten. Doch könnten sie während des Lockdowns auch nur schwer ihren Lebensstil ändern, um die Sucht dauerhaft in den Griff zu bekommen. "Sie müssen in der Freizeit neue Dinge für sich entdecken wie Grillabende, Kino- oder Theaterbesuche, Sport treiben, neue Menschen kennenlernen."

Glücksspielsucht kennt laut Allstedt keine sozialen Schichten. Von Erwerbslosen bis zu gut gestellten Beamten seien alle Gruppen vertreten und die Sucht sei vor allem männlich. "Es geht um Erfolg und Macht." Viele kämen aus nackter Angst zur Beratung, etwa weil Gerichtsverfahren drohen, ihnen die Schulden über den Kopf wüchsen oder ihre Beziehungen zerbrechen. Die Behandlung könne Jahre dauern, die Betroffenen würden oft von Suizidgedanken gequält.

Suchtberatung versucht, ihre Arbeit fortzusetzen

Auch Allstedt glaubt, das wegen der Schließung der Kasinos und Spielhallen zumindest ein Teil der Süchtigen zum Online-Spiel wechseln werde. Die Süchtigen würden immer jünger. "Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden wir zeitversetzt in den nächsten Jahren in der Suchthilfe sehen."

Es sei wichtig, dass die Angebote der Suchtberatung trotz der Pandemie-Beschränkungen so weit wie möglich erhalten blieben, sagte die Sprecherin des Diakonischen Werkes in Sachsen, Sigrid Winkler-Schwarz. Menschen mit Abhängigkeiten kämen aktuell die Alternativstrategien wie Treffen mit Freunden, Besuch eines Fitnessstudios oder Kinos abhanden.

Die Suchtberatungsstelle des Advent-Wohlfahrtswerkes (AWW) in Chemnitz ist auf die Beratung von spiel- und medienabhängigen Klienten spezialisiert. Im vergangenen Jahr habe sich der Leidensdruck auf Betroffene offensichtlich so verstärkt, dass sich die Anträge für eine stationäre Therapie auf zwölf mehr als verdoppelt haben, hieß es. Es werde beobachtet, dass Spielsüchtige auf Online-Spiele auswichen. Durch den Lockdown habe sich auch die Online-Gaming-Nutzungszeiten vor allem Jüngerer deutlich erhöht. (dpa)