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Studie: Montagsprotestler sehen sich als "wahre Demokraten"

Warum nehmen Hunderte Menschen vor allem in Ostdeutschland an Montagsdemonstrationen teil? Und gegen was genau protestieren sie eigentlich? Erkenntnisse dazu will eine neue Studie liefern.

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Die am häufigsten genannten Gründe für die Teilnahme an den Montagsdemonstrationen sind Ukraine-Krieg und Corona-Politik.
Die am häufigsten genannten Gründe für die Teilnahme an den Montagsdemonstrationen sind Ukraine-Krieg und Corona-Politik. © Symbolfoto: dpa/Fabian Sommer

Chemnitz/Gera. Teilnehmer der aktuell vor allem in Ostdeutschland verbreiteten Montagsdemonstrationen haben laut einer neuen Studie ein "grundlegend anderes Verständnis von Demokratie und ein anderes Deutschlandbild als die Mehrheitsgesellschaft". Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Berliner Think Tanks Progressives Zentrum zusammen mit der Bertelsmann Stiftung und Wissenschaftlern der Technischen Universität Dresden.

An jeweils drei Montagen im November 2022 und im Januar 2023 wurden für die Studie in Chemnitz und Gera knapp 200 Interviews mit Demonstranten geführt. "Im Mittelpunkt der Analyse standen Motivationen und Perspektiven derjenigen Demonstrierenden, die nicht eindeutig der rechtsradikalen Szene zuzuordnen sind", hieß es.

Laut einer Sprecherin des Progressiven Zentrums suchten die Forscher Kontakt zu Personen, die nicht durch radikale Protestbanner oder Symbole auffielen.

Die Befragten sehen sich laut Studie als "wahre Demokraten", aus ihrer Sicht wird am "Volkswillen" vorbei regiert. Der Staat, so der Vorwurf der Teilnehmer, handele in erster Linie nicht nach den nationalen Interessen der Deutschen. "Jede öffentliche Abwägung, Erklärung für Zweifel oder Kompromisse von Seiten der Regierung werden als Zeichen der Schwäche oder als Beweis für eine mangelhafte Demokratie verstanden", erläutert eine Co-Autorin der Studie.

Der am häufigsten genannte Grund für die Teilnahme an den Montagsdemonstrationen sei Kritik am deutschen Umgang mit dem Ukraine-Krieg gewesen, gefolgt von Unzufriedenheit mit der Corona-Politik. "Obwohl auch der Unmut über die Energiepolitik viele Menschen auf die Straße bringt, spielen soziale Sorgen im Zuge von Preissteigerungen eine untergeordnete Rolle", hieß es. Die Forscher stellten unter den Befragten insgesamt ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Parteien und Verdruss gegenüber Politikern fest. Vor allem den Grünen sei die Kompetenz zum Regieren abgesprochen worden.

Nach Ansicht der Forscher ergaben die Interviews das Bild einer "gefestigten Gruppe von Protestierenden, die das Potenzial, noch breiter zu mobilisieren, bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat". Die Politik könne darauf reagieren, indem sie unter anderem die politische Bildung stärke. "Die liberale Demokratie muss aktiv erklärt und für Pluralismus muss geworben werden", forderte eine Autorin der Studie.

Ein anderer Autor rechnet mit Auswirkungen der Montagsdemonstrationen auf die politische Landschaft in Ostdeutschland. "So könnte es den Organisatoren gelingen, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Sommer und Herbst 2024 eigene Themen zu setzen und Diskurse antidemokratisch zu prägen", hieß es. (dpa)

  • Die Interviews fanden vom 7. November 2022 bis 23. Januar 2023 an insgesamt sechs Montagen in Chemnitz und Gera statt. Dabei waren an jedem Termin zwei bis drei Interviewende pro Stadt unterwegs.
  • Insgesamt führten die Interviewenden 195 Interviews mit 257 Personen (123 in Chemnitz und 72 in Gera) durch. Die geschätzte Interviewzeit lag dabei zwischen 3 und 25 Minuten.
  • Das Progressive Zentrum ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Berlin. Eigenen Angaben nach will der Verein mit Studien, Publikationen und Veranstaltungen Impulse für den Fortschritt zu einer klimafreundlichen Gesellschaft setzen. Zu dieser Aufgabe gehöre auch der Schutz und die Weiterentwicklung der liberalen Demokratie.