Tausend Träume und ein Sieg

Von Silvia Stengel
Gewonnen haben: Tausend Träume. Lena Hauptmann kann es nicht fassen. Ihr Jazz-Pop-Song landet auf dem ersten Platz beim Deutschen Rock- und Pop-Preis in der Kategorie „Singer-Songwriter“. Die 25-Jährige aus Cottbus hat ihn auf Sorbisch gesungen, da heißt er „Tysac Cowanjow“. Ob sie mit diesem Sieg gerechnet hat? „Natürlich nicht“, antwortet die Sängerin. 1.300 CDs sind dafür eingesandt worden. Ihre Stimme und die Eigenkomposition haben die Jury überzeugt, dazu gehörte die Sängerin, Songschreiberin und Musikproduzentin Julia Neigel.

Freilich, den Text wird wohl kaum einer verstanden haben. „Beim Musikmachen geht es ja nicht immer nur vorrangig um den Text, sondern auch darum, eine spezielle Stimmung einzufangen und musikalische Klänge auf sich wirken zu lassen“, sagt Lena Hauptmann. Nun steht sie in einer Reihe mit Künstlern wie Pur, Juli, Yvonne Catterfeld und Luxuslärm, die sich in den vergangenen Jahren erfolgreich an diesem Wettbewerb beteiligt haben.
Ein bisschen traurig war es nur, dass alles online lief im Dezember 2020. Eigentlich sollten die Preise in der Siegerlandhalle der nordrhein-westfälischen Stadt Siegen verliehen werden, verbunden mit einem Auftritt. Ein riesengroßes Publikum, die tollen Bedingungen, so ein Musikwettbewerb lebt ja auch vom künstlerischen Austausch zwischen den Teilnehmern und davon, dass man mit der Jury und dem Publikum persönlich ins Gespräch kommt, sagt Lena Hauptmann. Deswegen konnte sie sich gar nicht so richtig freuen, erst recht nicht feiern. „Das fühlt sich irgendwie sehr seltsam an: den Moment auf der Bühne mit der Preisverleihung und der Live-Performance des eigenen Songs gar nicht in ,echt’ erlebt zu haben.“
Den Titel spielte sie mit dem Gitarristen Dan Baron ein. Gemeinsam waren sie als Jazzduo „LeDazzo“ in ganz Deutschland unterwegs, bis Corona kam. Bühnenerfahrung hat Lena Hauptmann reichlich. Sie singt auch mit der Dresdener Big Band und Michael Winkler, ist bei den Dresdner Jazztagen aufgetreten, gibt Konzerte mit Show-Bands und begeistert im Leipziger Gesangstrio „Die Lenas“ mit Swing-Klassikern wie „Bei mir bist du schön“ und eigenen Pop-Soul-Kompositionen.
„Ich denke, dass es wichtig ist, als Musikerin flexibel und vielseitig aufgestellt zu sein“, sagt sie. „Das ist es auch, was mich an diesem Beruf so fasziniert: die Abwechslung und die stetig neuen Herausforderungen, denen man sich täglich stellen muss.“ Und: „Ich möchte mich stilistisch nicht eingrenzen. Gute Musik ist für mich definitiv genre-unabhängig und überall zu finden, ob im Jazz, Pop, Latin, Funk oder Chanson.“ Seit 2020 singt sie im brasilianischen Programm „Brazilian Lovers“, das auf Initiative der brasilianischen Violinistin Priscila Baggio Simeoni vom Staatstheater in Cottbus entstand.
Lena Hauptmann hat eine Affinität zu Bossa Nova und Samba: „Ich liebe diese wunderschönen, melancholischen Melodien von Antonio Carlos Jobim und Baden Powell de Aquino.“ Brasilianische Musik inspirierte sie auch zu dem sorbischen Siegersong. Diese liebliche Melancholie, die Beschreibung von Naturschönheit und Sehnsucht, wie sie häufig in lateinamerikanischer Musikliteratur zu finden sind, bilden wesentliche Elemente, natürlich verbunden mit einer eigenen Aussage.
Sie singt „Pak něnt ja njespušćam tebje“, was auf Deutsch so viel heißt wie: „Aber Dich werde ich nicht gehen lassen“. Das kann ein persönlicher Traum, ein Wunsch oder eine Zukunftsvision sein, an der wir stets festhalten sollten, erklärt die Sängerin. Ihr Titel gewann bereits 2019 beim internationalen Chansonwettbewerb „Köln-Breslau-Paris“ in Köln den zweiten Platz und den Publikumspreis.
Rein ins brasilianische Radio
Seit einigen Wochen werden ihre Songs auch vom brasilianischen Radio-Sender „MR Easy“ in São Paulo in Brasilien gespielt. Vom Sorbischen Rundfunk des RBB kam 2017 der Auftrag, eigene Songs für das Radio zu komponieren und diese auf Sorbisch zu singen. Die Sprache hatte sie auf dem Sorbischen Gymnasium in Cottbus gelernt. Bald merkte sie, dass sich sorbische Texte mit ihren musikalischen Einflüssen aus Jazz, Latin, Pop und Chanson sehr gut kombinieren lassen und eine ganz eigene, besondere Klangfarbe erzeugen.

Da hatte sie längst das Rüstzeug dafür. Bereits mit zehn Jahren stand sie regelmäßig auf Bühnen und spielte Hauptrollen in verschiedenen Kindermusicals. Am Konservatorium in Cottbus lernte sie Gitarre und Klavier, bekam Gesangsunterricht und war 2013 Bundespreisträgerin für Popgesang beim Nachwuchswettbewerb „Jugend musiziert“. Mit 14 Jahren gründete sie mit ihrem Bruder ihre erste Band, schrieb eigene Funk- und Rocksongs und gewann regionale Wettbewerbe.
Kostbare Momente mit Publikum
Nun ist sie die Erste in der Familie, die den musikalischen Weg hauptberuflich einschlägt. Sie studiert Jazz- und Popgesang an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig bei der großartigen Jazzmusikerin, Sängerin und Schauspielerin Pascal von Wroblewsky und der TV-Moderatorin und Gesangsprofessorin Evelyn Fischer. Und sie arbeitet an ihrem ersten Jazz-Pop-Album.
Noch 2019 hatte Lena Hauptmann drei bis vier Auftritte pro Woche und „das Gefühl, jetzt läuft es mit den eigenen Projekten so richtig an“. Mit Musikern zusammen zu arbeiten ist für sie ein wichtiger Teil der Inspiration, genauso die Bühne, das Publikum und das direkte Feedback. „Es gibt mir so unendlich viel, auf der Bühne meinem Publikum in die Augen zu sehen, in ihren Gesichtern zu lesen und so unmittelbares Feedback und Emotionen direkt zurückzubekommen“, sagt sie. „Das sind für mich diese sagenhaft kostbaren Momente, die ich nun schmerzlichst vermisse“.
Es ist wirklich schwierig, in dieser Zeit nicht zu verzweifeln, so die Sängerin. „Wir Künstler werden von der Politik übersehen und nicht gehört“, meint sie. Viele Kollegen hätten ihr ganzes Leben nach der Musik ausgerichtet, jahrelange akademische Ausbildungen in ihrem Fach absolviert und seit ihrer Kindheit hart an ihrer Karriere gearbeitet. „Unserem Beruf nicht nachgehen zu können, bedeutet für uns Künstler eben nicht nur eine finanzielle Existenzkrise, sondern auch den Verlust unserer persönlichen Identität“, sagt sie. Und: „Ich denke, dass es sehr lange dauern wird und wir hart darum kämpfen müssen, bis es wieder ansatzweise so wird wie vorher.“