Warum der Protest in Ostdeutschland gut etabliert ist

Am Montag war es wieder so weit, das 242. Mal auf den Straßen und Plätzen von Dresden. Nach einem halben Jahr Pause trafen sich die selbst ernannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) zum "Abendspaziergang". Als 8. Jahrestag der Bewegung wurde die Kundgebung offiziell nicht gefeiert. Der als Hauptredner geplante Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hatte sowieso anderes zu tun und schickte einen Ersatzmann. Ohnehin hat sich viel verändert seit den Anfängen der Bewegung. Damals kamen bis zu 20.000 Menschen zu einer Demo. Inzwischen ist das Fanlager auf ein paar hundert Leute geschrumpft, Pegida wird vom Verfassungsschutz als "erwiesene extremistische Bestrebung" beobachtet.
In der aktuellen Protestwelle gegen Inflation, hohe Energiepreise und das Krisenmanagement der Politik ist Pegida zur Randnotiz geworden. Man habe den Protest der anderen nicht durch eigene Veranstaltungen "dezimieren" wollen, lautet die offizielle Version. Bis zuletzt war man offenbar uneins, ob es nun parallel zu anderen Kundgebungen eine eigene organisieren sollte. Pegida-Vize Siegfried Däbritz räumt ein, dass er dagegen war und von anderen im Vorstand überstimmt wurde.
Lutz Bachmann will den Vorwurf nicht gelten lassen, den neuen Protest zu spalten. "Ich würde auch lieber zu Hause auf der Couch sitzen", raunt der Pegida-Chef einen Mann an, der ihm das vorgehalten hatte.
"Zukunftsängste und Unzufriedenheit sind im Osten stärker"
Überall wird in Deutschland in diesen Tagen demonstriert. Und dennoch scheint der Protest im Osten anders. Politikwissenschaftler Hans Vorländer sieht eine ganze Reihe von Gründen, warum er hier stärker ausgeprägt ist als im Westen. "Zukunftsängste und Unzufriedenheit sind im Osten stärker, weil man hier schon viele Krisen und Umbrüche erlebt hat", sagt der 68 Jahre alte Politologe. Verschiedene Gruppierungen seien in einzelnen Regionen gut verankert, etwa die rechtsextremen "Freien Sachsen" und "Freien Thüringer". Sie schafften es genau wie die AfD, immer wieder Leute zu mobilisieren.
"Es gibt im Osten gewissermaßen ein politisches Unternehmertum. Der Protest ist hier gut etabliert. Die Strukturen sind da, die Personen sind da, das organisatorische Know-how ist da", meint Vorländer. Das alles führe zu einer hohen Mobilisierbarkeit. Sachsen falle bei den aktuellen Protesten dabei keine Sonderrolle zu. Vorländer spricht von einem Wahrnehmungsproblem: "Dass man besonders nach Sachsen schaut, liegt daran, dass der Freistaat in der Vergangenheit als Ursprungsland von Pegida und Protesten besonders auffällig war. Deshalb blickt man nun genauer nach Sachsen und findet dabei das alte Bild bestätigt, obwohl es diese Demonstrationen auch anderswo gibt."
Unzufriedenheit mit Politik ist bundesweit sehr groß
Vorländer zufolge ist die Unzufriedenheit mit der Politik und der Regierung bundesweit sehr groß. Im Osten liege der Zustimmungswert zur Politik schon seit Jahrzehnten niedriger. Deshalb sei hier auch das Vertrauen in das jetzige Krisenmanagement der Regierung geringer.
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Und noch einen anderen Unterschied beschreibt der Professor. Im Osten sei der Protest anders zusammengesetzt, der Großteil eher dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen. Teuerungen, Energiepreise, Ängste um den sozialen und wirtschaftlichen Status quo seien zwar originäre Themen der Linken. Ihre Chance, damit die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren, sei jedoch begrenzt: "Die große Einheitsfront sehen wir auch im Osten nicht, sie ist auch perspektivisch nicht anzunehmen."
In Sachsen gibt es eine "relativ unverblümte politische Kultur"
Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der Technischen Universität Dresden, hält die Neigung gerade der Sachsen, ihren Unmut sichtbar zu machen, grundsätzlich für etwas Positives. Anders als vielleicht in ihrem Herkunftsbundesland Rheinland-Pfalz existiere in Sachsen eine "relativ unverblümte politische Kultur": "Es gibt hier im Grunde eine ehrliche, offene Kommunikation. Es ist allerdings bedrückend zu sehen, dass dabei auch viel Menschenfeindlichkeit offen zutage tritt." Dingen, die offen formuliert werden, könne man dann allerdings auch gut widersprechen.
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Besand hält es für einen Fehler sächsischer Politik, in der Vergangenheit allen immerzu einen Dialog angeboten zu haben. Natürlich sei das Streben nach Zusammenhalt in einer Gesellschaft wichtig. Doch genauso wichtig sei es, sich in bestimmten Situationen abzugrenzen, eine klare Position zu beziehen und den Konflikt sichtbar zu machen. "Immer nur Gräben zuschütten und ständig ein Gemeinschaftsgefühl beschwören zu wollen, ist nach meiner Ansicht der falsche Ansatz."
Das wird auch bei der Pegida-Demo Nummer 242 deutlich. Aus mehreren Stadtteilen sind Gegendemonstranten auf den Neumarkt geströmt, um Pegida lautstark zu empfangen. Deren Lager hat dieses Mal kein Übergewicht. Das gab es in Dresden bisher eher selten. (dpa)