Wir müssen die Gesetze befolgen

"Das wünsche ich nicht einmal meinem ärgsten Feind: Aus dem Tiefschlaf in die Abschiebung, ein unsicheres neues Leben. Eltern und viele kleine Kinder – schrecklich. Die Familie sei, so heißt es, gut integriert. Nachbarn und Unterstützer kennen ihre schönen Seiten, allerdings nicht die Vorgeschichte, die Akten, das Vorleben, mögliche Versäumnisse und Fehler.
Leid tun mir auch die sächsischen Vollzugsbeamten, die Entscheidungen durchsetzen mussten, die nicht sie, sondern der Bundesgesetzgeber zu verantworten und ein Bundesamt getroffen hat. Gerichte haben diese Entscheidungen durch alle Instanzen bestätigt. Die Familie stammt aus Georgien, 99,7 Prozent aller Asylanträge von Georgiern werden abgelehnt. Alles rechtens also.
Alles rechtens? Der Zielkonflikt liegt auf der Hand: Gesetzesvollzug versus individuelles Schicksal. Sollten wir als Konsequenz nicht besser generell auf Abschiebungen verzichten, jedenfalls wenn die Menschen gut integriert, Kinder betroffen sind? Nein, der Rechtsstaat gäbe sich damit auf: Wenn wir das Recht nicht durchsetzen, können wir es gleich abschaffen.
Ich frage mich zudem: Wer hätte die Definitionshoheit, wer soll entscheiden, wer bleiben darf oder gehen muss, der Arbeitskollege, die Nachbarin, der Pastor, die Parteipolitikerin, die engagierte Journalistin, der Stammtisch? Jedes Individuum entscheidet anders, hat unterschiedlichste Maßstäbe. Wollen wir wieder das unselige und ungerechte Eingabewesen von vorgestern, je wichtiger der Fürsprecher, desto erfolgversprechender die Eingabe? Nein, das wäre Willkür, wir vertrauen zu Recht auf unsere Rechtsordnung, auf die Gesetze als in verbindliche Form gebrachter Volkswille und auf unabhängige Gerichte. So ist es hier gelaufen. Verfahren beendet. Wenn wir Lücken im Gesetz finden, dann müssen wir die Gesetze ändern und uns dafür die erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten suchen. Bis dahin müssen wir unsere Gesetze befolgen.

Hinzu kommt: Die Erkenntnis, dass Recht nicht alles ist, hat im Freistaat als zusätzliches Korrektiv die Plausibilitätsprüfung durch die sächsische Härtefallkommission geschaffen. Genau das ist eines Rechtsstaates würdig, und jedenfalls den die Familie gut und ausdauernd vertretenden Anwälten war diese Möglichkeit bekannt. Dass sie keinen Antrag initiiert haben, macht mich nachdenklich. Der eigentliche Antrag an die Härtefallkommission kam dann zu spät, eine inhaltliche Prüfung gab es nicht. Ich weiß daher nicht, ob dieser Antrag im Ergebnis tatsächlich Erfolg gehabt hätte.
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Es bleiben trotzdem Fragen: War die Nacht-und-Nebel-Aktion wirklich unvermeidbar? Das nötige Fingerspitzengefühl bei der Durchführung scheint mir nicht durchweg vorhanden gewesen zu sein. Und haben die Behörden vorher mögliche Ermessensspielräume sach- und fachgerecht geprüft und ausgenutzt, gab es Pannen in der Kommunikation zwischen Ausländerbehörde und Landesdirektion? Warum wurden Angebote zur freiwilligen Ausreise nicht genutzt, haben die Betroffenen frühzeitig zur Identitätsklärung beigetragen, warum ersparen Eltern sich und ihren Kindern nicht die jetzt zwangsläufige dreijährige Wiedereinreisesperre?
Hoffen wir auf Antworten, die eine abschließende Bewertung der Vorgänge ermöglichen und dann gegebenenfalls auch Impulse in Richtung Bundesgesetzgeber erlauben. Unter dem Strich bleibt: Ich habe dennoch Mitleid. Wie mit so vielen."