Von Jens Schmitz*, Tobias Wolf und Ulrich Wolf
Freiburg/Dresden. Schwere Vorwürfe gegen den Pallottiner-Orden: Im Rahmen einer Untersuchung wegen Missbrauchsvertuschung sah das Bistum Dresden-Meißen 2020 „ein hohes Gefährdungspotenzial für Personen“ im Umfeld des Pallottiner-Ordens. In einem Bericht, der kirchenintern kursiert, wurde empfohlen, eine Überprüfung durch den Vatikan zu beantragen.
Durch Recherchen von Badischer und Sächsischer Zeitung war bekannt geworden, dass zwei im Freiburger Erzbistum wohnende Pallottiner-Pater 1990 eine damals 22 Jahre junge Frau aus Sachsen im Notaufnahmeverfahren sexuell missbraucht beziehungsweise ihren Missbrauch gedeckt haben sollen.
Hohes Gefährdungspotenzial
Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers hat bereits wegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ für Missbrauch an einer Schutzbedürftigen Seelsorgeverbote gegen die beschuldigten Pallottiner verhängt. Anders als Dresden betrachtet die Diözese Freiburg die Vorwürfe als „nicht bewiesen oder plausibilisiert“. Eine dritte Untersuchung wegen Vertuschung gegen den Leiter der Pallottiner-Provinz, Helmut Scharler, wurde Dresden zufolge „nicht zu Ende geführt“.
Nun ist ein Dokument aufgetaucht mit dem Titel: „Zum Umgang mit Meldungen über Anhaltspunkte für sexuellen Missbrauch in der Herz-Jesu-Provinz der Pallottiner“. Darin wird nicht nur „eine sehr freizügige Einstellung von Verantwortlichen des Pallottinerordens gegenüber sexuellen Handlungen von Novizen“ festgestellt, sondern auch „ein hohes Gefährdungspotenzial für Personen im Umfeld der Pallottiner“. Der Bericht empfiehlt, „eine Überprüfung durch das Generalrektorat des Ordens oder durch die zuständigen Dikasterien zu beantragen“.
"Verweigerungshaltung" der Oberen
In dem Dokument wird dem Provinzial vorgeworfen, keine eigene Untersuchung begonnen zu haben. Er habe zwar ein Gespräch mit dem Hauptbeschuldigten geführt, darüber aber keine Aufzeichnungen erstellt und später auch aus dem Gedächtnis keine Angaben machen können. Spätestens seit Oktober 2019 habe er vom Vorwurf sexuellen Missbrauchs gewusst. Seitens der Staatsanwaltschaft habe er die Ermittlungsakte wegen Vergewaltigung gekannt und eine Mitteilung über den Vorwurf Geschlechtsverkehrs unter Gewaltanwendung erhalten. Dennoch habe er noch im August 2020 angegeben, ihm sei neu, dass es um den Geschlechtsakt gegangen sein solle.
Das Papier spricht von einer Verweigerungshaltung der zuständigen Oberen gegenüber der Betroffenen. Sexuelle Handlungen von Ordensangehörigen würden nicht als problematisch wahrgenommen, „solange die Person, die die Handlung vollzieht, die Weihe noch nicht empfangen hat und die Person, an der die Handlung vollzogen wird, das jeweilige Schutzalter bereits überschritten hat“.
Provinzial Scharler erklärte auf Nachfrage, es habe für eine Voruntersuchung gegen den Hauptbeschuldigten weder auf Grundlage der gesamtkirchlichen Normen noch aufgrund der Missbrauchsordnung einen Anlass gegeben.
*Südwest-Korrespondent der Badischen Zeitung.
Sind Sie betroffen von sexueller Gewalt, ob in der Kindheit oder als Erwachsene? Unter anderem folgende Institutionen bieten Betroffenen Beratung und Hilfe an.
- Beratungsstellen zu sexuellem Missbrauch in Sachsen
- Hilfeportal Sexueller Missbrauch der Bundesregierung, Hilfetelefon 0800-22 55 530
- Betroffeneninitiative Süddeutschland
- Initiative Eckiger Tisch zu sexuellem Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche
- Ansprechpartner des Bistums Dresden-Meißen für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch