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Sachsen-Kompass: Dramatischer Mangel an Haut- und Augenärzten im Freistaat

In Sachsen fehlen Mediziner - in manchen Fachbereichen besonders heftig. Woran liegt das, und was wird dagegen getan? Ein Überblick.

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Auf einen Besuch bei der Augenärztin müssen Patienten in Sachsen oft lange warten. Termine sind Mangelware, weil es zu wenige Fachärzte für die Grundversorgung gibt.
Auf einen Besuch bei der Augenärztin müssen Patienten in Sachsen oft lange warten. Termine sind Mangelware, weil es zu wenige Fachärzte für die Grundversorgung gibt. © IMAGO/imageBROKER/Unai Huizi imago

Von Björn Meine

Dresden. Hausärzte sind besonders knapp in Sachsen – in fast allen Regionen gibt es freie Stellen, die sofort besetzt werden könnten; vor allem ländliche Regionen sind betroffen. Mit zwei Programmen wird dagegen vorgegangen (siehe Kasten). Der Hausarztmangel ist aber nicht das einzige Problem in der medizinischen Versorgung. Das zeigt die Auswertung des „Sachsen-Kompass“ – einer Online-Befragung von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung.

Gut 23.000 Menschen haben sich daran beteiligt. Eine Frage: Welche Fachärzte fehlen Ihnen besonders? Am häufigsten genannt wurden Hautärzte (57,2 Prozent) sowie Augenärzte (53,9 Prozent).

Grundsätzlich haben immer weniger ausgebildete Mediziner Lust auf eine Niederlassung, denn die bedeutet eine Menge Arbeit, Bürokratie und unternehmerische Verantwortung. Viele ziehen die Anstellung in einem Medizinischen Versorgungszentrum vor – die geht aber oft mit einer reduzierten Stundenzahl einher.

Wieso ist das Problem bei Haut- und Augenärzten so groß?

In speziellen Fachgebieten, in denen die Versorgung an einigen wenigen Medizinern hängt, wird es schnell zu einem größeren Problem, wenn auch nur einer fehlt. Aus Sicht von Dr. Dietrich Barth ist neben der Tendenz zu mehr Teilzeitstellen außerdem die quantitativ unzureichende Weiterbildung ein Grund für den Hautarzt-Mangel. „Es wird zu wenig ausgebildet“, so der Vize-Vorsitzende im Sächsischen Dermatologen-Verband. Dazu kommt: „Viele sind schneller beim Hautarzt, als es medizinisch nötig wäre“, sagt Barth, der eine Praxis in Leipzig-Connewitz betreibt. Das Fachgebiet sei extrem vielschichtig, die Patientenfrequenz hoch.

Mit Blick auf die augenärztliche Versorgung benennt Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, ein anderes Problem: „Die Mangelsituation liegt hier auch in der Vergütung begründet: Es gibt zwar genügend Fachärzte, die den Grauen Star operieren, weil das Geld bringt – aber zu wenige, die in der Grundversorgung tätig sind, weil man damit deutlich weniger verdient.“

Zeigt sich die Situation auch in den offiziellen Zahlen?

Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) erhebt regelmäßig Zahlen zur medizinischen Versorgung. Diese Statistik ist mit Problemen behaftet. Sie zeigt für viele Fachgebiete und für die meisten Regionen Sachsens eine Überversorgung an, während Patientinnen und Patienten keinen Termin bekommen. Woran liegt das? Zum Beispiel an regionalen Besonderheiten: In einer Stadt am einen Ende der Planungsregion reicht die Versorgung aus, im Dorf am anderen Ende der Region fehlt der Arzt.

Das Problem: Bei statistischer Überversorgung sind ohne Weiteres keine weiteren Niederlassungen möglich. Freie Stellen für Augenärzte gibt es deshalb aktuell nur in den Planungsbereichen Südwestsachsen, Mittweida und Bautzen (jeweils eine halbe Stelle) sowie in Stollberg (2). Hautärzte können sich derzeit in Bautzen (1,5), Löbau-Zittau (4), Aue-Schwarzenberg (1,5) und Annaberg (1) niederlassen.

Was wird unternommen?

Das statistische Problem ist der KVS durchaus bewusst, sagt Dr. Stefan Windau, Vorsitzender der KVS-Vertreterversammlung. Trotz Überversorgung können KVS und Krankenkassen einen „zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf“ feststellen und dort die Ansiedlung für bestimmte Fachbereiche unterstützen. Eine solche Förderung gibt es für die dermatologische Versorgung in Glauchau sowie für die augenärztliche Versorgung in Oschatz und in weiten Teilen Südwestsachsens.

KVS und Krankenkassen fördern außerdem aus eigenen Mitteln unter anderem die Facharztweiterbildung in Augenheilkunde (2023: 1,8 Millionen Euro für 36,3 Stellen; 2024: 2 Millionen Euro für 38 Stellen) sowie die Weiterbildung von Dermatologen (2023: 1,7 Millionen Euro für 28,1 Stellen; 2024: 2,4 Millionen Euro für 37,1 Stellen). Das Geld wird an die Praxen gezahlt, die es an die weiterzubildenden Ärzte ausreichen.

Zur Verbesserung der dermatologischen Situation in der Region Löbau-Zittau beteiligen sich dort 32 Hausärzte am KVS-Projekt E-Derma: Sie untersuchen Patienten mit Hautproblemen und geben Daten, Bilder und Ergebnisse bei Bedarf an Hautärzte weiter, die mit einer Therapieempfehlung antworten oder zur Überweisung raten. In den ersten beiden Quartalen dieses Jahres konnten so laut KVS 98 Prozent der Patienten final bei ihrem Hausarzt behandelt werden.

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Mit einem weiteren Projekt unterstützt die KVS die Weiterbildung von Augenärzten an vier Kliniken in Südwestsachsen sowie in Görlitz. Das Modell soll nun in Kooperation mit dem Helios-Klinikum Aue sowie mit der Uniklinik Dresden für den Standort Ebersbach erweitert werden. Ab Dezember soll außerdem eine Art mobile Augen-Praxis mehrere Städte in Südwestsachsen anfahren: Medizinische Fachangestellte und Orthoptisten übernehmen verschiedene Untersuchungen. Ärzte werden digital zugeschaltet, Patienten bei Bedarf an eine Praxis weitergeleitet.

Welche Ideen gibt es noch?

„Für einen Hautcheck muss man nicht zum Dermatologen, das machen auch viele Hausärzte“, wirbt Landesärztechef Bodendieck für eine verstärkte Lotsenfunktion von Allgemeinmedizinern – was natürlich nur geht, wenn man einen Hausarzt hat.„Der Engpass für die Ausbildung von Haut- und Augenärztinnen und -ärzten ist die Zahl der Weiterbildungsstellen bei den Maximalversorgern“, sagt Professor Ingo Bechmann. Die Spezialabteilungen gebe es im Wesentlichen dort – also an den Unikliniken Leipzig und Dresden sowie am Klinikum Chemnitz, so der Dekan an der Medizinischen Fakultät in Leipzig. „Natürlich kann eine Uniklinik da mehr Stellen schaffen, dann muss sie dafür aber bezahlt werden“, erklärt Bechmann. „Denkbar sind auch Modelle mit Landkreisen, die eine Augenärztin brauchen und so eine Stelle finanzieren. Das ist aber Thema der Vorstände und Klinikdirektoren.“

Aus Sicht des Dekans sind darüber hinaus Landarztquoten auch für andere Facharztbereiche denkbar. Rheinland-Pfalz zum Beispiel will eine Kinderarzt-Quote einführen. „Ich könnte mir so ein Modell für Haut- und Augenärzte in Sachsen vorstellen“, sagt Bechmann, „hierzu sind wir mit Staatsminister Gemkow in engem Austausch.“

Wie Sachsen gegen den Hausärztemangel kämpft

Der Freistaat geht mit verschiedenen Modellen gegen den Hausärztemangel vor. So können sich Interessenten für einen Studienplatz über die Sächsische Landarztquote bewerben. Dabei spielt die Abiturnote eine geringere Rolle – zugunsten sozialer Kompetenzen. Dafür verpflichten sich Bewerber, nach Studium und fachärztlicher Weiterbildung in der Allgemeinmedizin mindestens zehn Jahre als Hausärzte in einem unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebiet im Freistaat tätig zu sein.

Ein weiteres Projekt hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) entwickelt. Mit dem Programm „Studieren in Europa – Zukunft in Sachsen“ werden seit dem Studienjahr 2020/21 durch Sachsens Sozialministerium insgesamt 40 Studienplätze an der Uni Pécs in Ungarn gefördert. Absolventen müssen mindestens fünf Jahre außerhalb von Leipzig/Markkleeberg und Dresden/Radebeul vertragsärztlich tätig sein.