Von Peter Ufer
Walter Lange wartete gestern in Glashütte geduldig auf seine Besucher. Der 91-Jährige stand in der neuen Uhrmacherei von A. Lange & Söhne neben dem Gästebuch und forderte jeden auf, sich einzutragen. Angela Merkel schrieb ihr Autogramm auf das weiße Büttenpapier.



Zuvor besichtigte die Kanzlerin die Handgravur und die Uhrmacherei des neuen Gebäudes der Manufaktur. Innerhalb von drei Jahren entstand der nunmehr sechste Produktionsstandort des Unternehmens in Glashütte. Schweizer Architekten entwarfen einen Funktionsbau, der sich an der Fassade an den historischen Fabrikgebäuden des Ortes orientiert, aber beim Innenausbau auf neueste Technik setzt. Die 5 400 Quadratmeter sind klimatisiert, betrieben von einer Geothermie-Anlage mit 55 Erdwärmesonden, die bis zu 125 Meter tief in das Erdreich gebohrt wurden. Die 253 großflächigen Atelierfenster ermöglichen einen optimalen Lichteinfall, und die Fußböden verfügen über ausreichend Kapazität für die schweren CNC-Maschinen.
„Wir hatten 1990 nichts weiter als einen Briefkasten“, sagte Lange. Heute arbeiten in dem neuen Produktionsstandort 200, in Glashütte insgesamt 650 und weltweit 750 Mitarbeiter. In den vergangenen drei Jahren stellte das Unternehmen pro Jahr 60 neue Mitarbeiter ein. Es fördere mit der hauseigenen Uhrmacherschule den Nachwuchs und versuche so dem Mangel an Fachkräften gegenzusteuern.
Walter Lange kehrte vor 25 Jahren in seine erzgebirgische Heimat zurück, aus der seine Familie nach der Enteignung 1948 geflüchtet war. 1845 hatte Langes Urgroßvater den Grundstein für die Manufaktur gelegt. Walter Lange arbeitet heute als Repräsentant des Unternehmens, das seit 2001 zum Luxusgüterkonzern Richemont mit Sitz im Kanton Genf gehört. Das Glashütter Unternehmen reiht sich somit ein in eine Gruppe von Marken wie Cartier, Dunhill, Montblanc oder IWC-Uhren. Weltweit beschäftigte Richemont im März 2013 insgesamt 27 666 Mitarbeiter und setzte im Geschäftsjahr 2012/13 rund 10,150 Milliarden Euro um.
Johann Rupert, Richemont-Eigentümer und somit auch von Lange & Söhne, trug sich gestern ebenfalls in das Gästebuch ein. Der südafrikanische Milliardär und Unternehmer zeigte Angela Merkel und dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich das neue Gebäude, sprach aber ebenso mit den Mitarbeitern der Manufaktur. Rupert sagte, er freue sich über die vielen fröhlichen Gesichter und die große Leidenschaft der Menschen für jedes Detail ihrer Arbeit. Elf Jahre ist es her, dass er in dem Unternehmen in Glashütte weilte.
Bei anderen exakten Zahlen hält sich das Unternehmen diskret zurück, was im Segment der Luxushersteller zu einem üblichen Verfahren gehört. Die Investitionssumme für den Neubau beziffert der Geschäftsführer von A. Lange & Söhne, Wilhelm Schmid, mit einem zweistelligen Millionenbetrag. An eine Produktionssteigerung sei zudem zunächst nicht gedacht. Es gehe dem Unternehmen schon immer um ein gesundes, kontinuierliches Wachstum. Pro Jahr werden bei Lange wenige Tausend Armbanduhren aus Gold und Platin hergestellt. Wie viele Uhren das exakt sind, bleibt ebenfalls ein gut gehütetes Geheimnis. Der Sinn des Erweiterungsbaus hätte darin gelegen, den bisherigen Platzmangel zu beseitigen. Die Abteilungen Uhrmacherei, Einzelanfertigung, die Handbearbeitung von Einzelteilen sowie die Logistik hätten hier neue Räume gefunden.
Tatsächlich spürt jeder Besucher schon beim Eingang in das großzügige Foyer und erst recht beim Betreten der staubfreien Produktionsräume, wie viel Wert auf ein stilles, lichtes und vor allem reines Klima gelegt wurde. Das ist notwendig, denn die ausschließlich selbst entwickelten Luxusuhren werden aufwendig von Hand dekoriert und montiert. Jedes Einzelne der 200 bis 1 000 Teile pro Uhr wird finisiert. Alle Uhren bekommen durch eine spezifische Gravur ihr individuelles, wieder erkennbares Bild.
In Glashütte werde seit Jahren Zeitgeschichte geschrieben, sagte Angela Merkel gestern bei ihrer kurzen Rede. Die Uhrmacher stünden für eine gute deutsche Tugend, die Pünktlichkeit. Ein schöner Exportartikel in Form einer Uhr. Sie schätze die zeitgemäße Zweckmäßigkeit des neuen Gebäudes und die Förderung von jungen Talenten. Gute Ausbildung sei ein Schlüssel für die Zukunft. Die Kanzlerin warb dafür, auch gut ausgebildeten Asylbewerbern eine Chance zu geben.
Walter Lange erinnerte noch einmal daran, dass zu den größten Erfolgen die „Lange 1“ mit dem ersten Großdatum in einer mechanischen Serienarmbanduhr gehöre. Auch die „Zeitwerk“ mit einer exakt springenden Zifferanzeige gehört zu den Spitzenmodellen. Dann nahm der 91-Jährige den Füllfederhalter und schrieb seinen Namen ebenfalls in das Gästebuch. Präzise war er schon immer, wie eine Lange-Uhr.