Von Sven Siebert, Berlin
Elsbeth Stern ist gewissermaßen Thilo Sarrazins Kronzeugin. Bei der Formulierung seiner These, Intelligenz sei „zu 50 bis 80 Prozent“ erblich, folglich würden Bildungsbemühungen an eine natürliche Grenze stoßen und die hohe Fortpflanzungsrate weniger intelligenter Zuwanderer zu einer „Verdummung“ der Gesellschaft führen, bezog sich Sarrazin auf die Intelligenzforscherin der ETH Zürich.
Nun äußerte sich Stern einem Interview und einem eigenen Artikel – und widersprach Sarrazin im Kern seiner Annahmen. Die Unterschiede in der Intelligenz zwischen verschiedenen Menschen seien zwar tatsächlich zu mindestens 50 Prozent auf Unterschiede in ihren Erbanlagen zurückzuführen. Allerdings seien die äußeren Umstände – Elternhaus, Ernährung, Freunde oder Schule – entscheidend dafür, wie weit der Einzelne sein ererbtes Intelligenzpotenzial ausschöpfen kann. „Die genetischen Voraussetzungen können sich nur bei entsprechenden Lerngelegenheiten entfalten“, sagte Stern der „FAZ“.
Je größer die Leistungsgerechtigkeit einer Gesellschaft, desto größer die Chance, dass dieses Potenzial auch genutzt werden kann. Je ungerechter die Gesellschaft, desto größer der Einfluss des sozialen Hintergrunds. Die Gefahr der gesellschaftlichen Verdummung, sagt Stern, liege darin, dass soziale Herkunft für Berufserfolge wichtiger sei als Intelligenz und Begabung.
Das Potenzial für Intelligenz liegt zwar in den Genen. Nach Sterns Erkenntnissen heißt dies aber nicht, dass intelligente Eltern immer schlaue Kinder bekommen. „Eltern und Kinder zeigen nur eine mittelhohe Übereinstimmung im Intelligenzquotienten“, sagt sie. Vererbung sei ein sehr komplexer Vorgang. „Unterdurchschnittlich intelligente Eltern können überdurchschnittlich intelligente Kinder haben – und umgekehrt.“