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„Scheuklappen anlegen, das ist der falsche Weg“

Tischlermeister Tim Lochner will als unabhängiger Kandidat Oberbürgermeister in Pirna werden. Er polarisiert – und will die Pirnaer trotzdem einen.

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© Daniel Förster

Herr Lochner, einstige CDU-Parteifreunde bescheinigen Ihnen Nähe zu AfD und Pegida. Ist das rechtspopulistische Spektrum Ihre politische Heimat?

Nein, keinesfalls. Meine politische Heimat ist die CDU der 1990er-Jahre. Ich möchte grundsätzlich mit allen Menschen den Dialog suchen, egal, welche Probleme sie haben oder welcher Meinung sie sind. Sich Scheuklappen anzulegen, ist definitiv der falsche Weg.

Wir werden also während einer möglichen Amtszeit von Ihnen nicht den ersten AfD-Bürgermeister erleben?

Ich schließe aus, dass ich in den nächsten zehn Jahren in eine Partei eintreten werde. Und speziell darauf angesprochen: Auch die AfD kommt für mich nicht infrage.

Die vergangenen Monate waren turbulent für Sie: Sie sind aus der CDU ausgetreten und haben mit Ihrer Kandidatur fürs Oberbürgermeister-Amt viele überrascht. Speziell die Mittelstandsvereinigung MIT, für die Sie im Stadtrat sitzen, fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Werden Sie künftig auf die CDU und die MIT wieder zugehen?

Es besteht nach wie vor ein enger Kontakt zur MIT. Mein Vorstandsamt dort ruht nur für die Zeit des Wahlkampfes, danach will ich als MIT-Vorstandsmitglied wieder aktiv sein und mich für den Mittelstand engagieren – weil ich ihn mit für den wichtigsten Wirtschaftsmotor für den Arbeitsmarkt halte.

Sie werben mit dem Slogan „Pirna kann mehr“. Was kann denn Pirna mehr?

Pirna kann und muss die Wirtschaft mehr fördern. Natürlich muss man das realistisch angehen. Wir haben nun mal nicht die Flächen, um Großindustrie nach Pirna zu holen. Aber wir müssen vermehrt kleinere Hersteller herlocken, es gibt hier gute Bedingungen, mit denen noch viel zu wenig geworben wird.

Und was kann Pirna noch?

Wir alle können das Miteinander in der Stadt, die Umgangsformen und den Ton wieder positiver gestalten, damit Pirna lebens- und liebenswert bleibt. Das ist mir sehr wichtig. Zudem müssen endlich solche Brachen wie die des alten Krankenhauses verschwinden. Da vermisse ich bisher ein gezieltes Engagement.

Sie wollen als Oberbürgermeister versuchen, die gespaltene Gesellschaft zu einen. Wie soll das gelingen, wo Sie doch selbst oft polarisieren?

Einerseits zu polarisieren und andererseits zu versuchen, die Gesellschaft zu einen, schließt sich ja nicht aus. Man braucht halt die passenden Argumente. Ich denke, ich kann mit jedem Lager, egal, wie es politisch geortet ist, ins Gespräch kommen. Das bedarf sicher einer großen Kompromissbereitschaft. Ich habe durchaus meine eigene Meinung, bin aber auch in der Lage, andere Standpunkte zu akzeptieren.

Sie stoßen mit Ihren Einträgen im sozialen Netzwerk Facebook oft Diskussionen an, die manchmal thematisch entgleisen, von Ihnen aber nicht mehr moderiert werden. Nach „einen“ sieht das nicht aus.

Wenn man so viel postet wie ich, schafft man es leider nicht mehr, alles zu bearbeiten. Zudem lösche ich grundsätzlich nicht einfach so Kommentare. Wenn die Debatte zu sehr entgleiste, habe ich in Einzelfällen die Kommentatoren gebeten, ihre Einträge zu korrigieren. Das hat auch in den meisten Fällen geklappt. Und so hat man wenigstens mal drüber gesprochen. Ich bin nicht dafür, kommentarlos zu löschen, denn dann kommt ja erst recht kein Dialog zustande.

Sie plädieren in Ihrem Wahlprogramm für eine bestmögliche Kinderbetreuung. Gerade aber haben Sie den Haushalt der Stadt abgelehnt, der in Größenordnungen Investitionen in genau diesen Bereich vorsieht. Warum?

Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen den Investplan, vor allem nicht gegen die Investitionen in Kitas und Schulen. Was mich stört, ist die gravierend hohe Neuverschuldung von zwölf Millionen Euro in den kommenden beiden Jahren. Und diese Summe ist wahrscheinlich noch nicht das Ende der Fahnenstange. Um die extrem hohe Kreditaufnahme zu senken, hatte ich vorgeschlagen, sämtliche Ausgabeposten – wo es möglich ist – um zehn Prozent zu kürzen. Dieser Vorschlag hat keine Mehrheit gefunden. Weil meiner Meinung nach in der Stadt nicht wirklich nach Einsparpotenzial gesucht wird, habe ich den Haushalt abgelehnt.

Weiterhin planen Sie, das Ordnungsamt solle zu einer Art Stadtpolizei mit mehr Befugnissen werden. Wollen Sie die totale Kontrolle?

Nein, das will ich nicht. Hintergrund ist vielmehr der: In den vergangenen Stadtratssitzungen wurde mehrfach thematisiert, dass es in der Stadt mehrere soziale Brennpunkte gibt, die immer wieder aufflackern. Um das einzudämmen, wäre es von Vorteil, wenn wir die Autorität der Ordnungsamtsmitarbeiter erhöhen – und sei es nur durch das äußere Erscheinungsbild. Es gibt Länder, da haben die Ordnungsamtsautos die gleiche Farbe wie die Polizeiautos. Warum soll das nicht auch hier gehen? Dann wäre die Präsenz der Stadtmitarbeiter gleich eine ganz andere.

Wo sehen Sie solche Brennpunkte?

Beispielsweise am Grün-Weiß-Gelände auf dem Sonnenstein und im Park neben dem Famil-Vereinshaus in Copitz. Dort gibt es erstens unschöne Bilder, und zweitens belastet der Lärm die Anwohner. Solchen Bildern muss man klar eine Autorität entgegensetzen.

Sie wollen die Pirnaer Berufsfeuerwehr personell aufstocken. Wie soll das finanziert werden?

Das funktioniert definitiv nur mit Geld. Wenn die Pirnaer sicher leben sollen, dann muss die Stadt es dafür einfach ausgeben. Die Tageseinsatzbereitschaft der Pirnaer Feuerwehr ist alarmierend schlecht – eine Tatsache, die von der Stadtverwaltung lange verschwiegen wurde. Um eine durchgängige Bereitschaft an den Werktagen sicherzustellen, sind fünf Neueinstellungen nötig. Damit das auch an den Wochenenden klappt, braucht die Wehr acht zusätzliche hauptamtliche Leute. Dieses Thema muss öffentlich im Stadtrat diskutiert werden. Wenn die Einsatzbereitschaft aktuell lediglich zu 65 Prozent gesichert werden kann, dann ist das definitiv nicht genug. Die Idee, die hauptamtliche Feuerwehr mit Freiwilligen aufzustocken, ist zwar richtig, löst aber das Problem allein nicht.

Wie lässt sich denn das Engagement der Menschen für die Freiwillige Feuerwehr steigern?

Nach etlichen Gesprächen spüre ich regelrecht Frust bei den Freiwilligen Feuerwehren. Es gibt dort so viele Dinge, die sich ändern müssten – allein schon der Umgang und die Wertschätzung durch die Stadt. Dort gibt es wohl erhebliche Defizite. Um Menschen zur Feuerwehr zu locken, müsste die Stadt mehr Anreize schaffen, den Kameraden beispielsweise in Wohnortnähe Kita-Plätze für ihre Kinder anbieten.

Sie plädieren dafür, rund um den Bahnhof mehr Parkplätze zu schaffen. Wo sollen die hin und woher kommt das Geld dafür?

Pirna braucht dringend mehr Parkplätze. Es gab ja mal den Plan, am Bahnhof ein P+R-Parkhaus zu bauen. Es ist meines Erachtens daran gescheitert, dass die Stadt nicht die Betriebskosten für das von der Bahn zu bauende Parkhaus übernehmen wollte. Ich aber will noch einmal dringend alle Hebel in Bewegung setzen, dass dieses Parkhaus Realität wird.

Für das Copitzer Naherholungszentrum planen Sie ein neues Gesamtkonzept. Was schwebt Ihnen da vor?

Ich will nicht selbst ein Konzept kreieren. Sondern das, was am NEZ passiert, soll von möglichst vielen getragen und mitentschieden werden. Ich setze da auf Bürgerbeteiligung – und zwar in erster Linie von denen, die das Areal nutzen wollen. Das Interesse ist ja da. Es wäre schon schön, wenn sich ein Verein gründet, der sich um das Gelände kümmert und beispielsweise ordentliche Toiletten unterhält. Auch die Wasserfontäne im See muss für eine bessere Wasserqualität wieder her.

Sie verlangen, dass die Stadtverwaltung gegenüber dem Stadtrat transparenter arbeitet. Haben Sie als Stadtrat schlechte Erfahrungen gemacht?

Anfragen der Stadträte werden manchmal gar nicht, manchmal nur zögerlich beantwortet. Es mag sich vielleicht um Einzelfälle handeln, aber das ist schon schlimm genug. Stadträte sind Ehrenamtler, sie können nicht immer penibel an jedem Thema dranbleiben und sind daher auf die Zuarbeit der Verwaltung angewiesen. Es kann auch nicht sein, dass Anwohner über einen Monat auf eine Antwort zu einer Anfrage warten. Eine kürzere Zeit sollte Standard werden. Zudem fordere ich einen Kurzbericht über die wichtigsten Themen im Stadtrat. Ein, zwei Tage nach den Sitzungen sollten die wichtigsten Entscheidungen zusammengefasst im Internet stehen. So wirkt man auch der weit verbreiteten Politikverdrossenheit entgegen.

Pirna hat bislang Flüchtlinge ohne große Diskussionen aufgenommen und dezentral untergebracht. Wie wollen Sie das künftig handhaben?

Der kommunale Einfluss auf diese Aufgabe ist ja sehr gering. Über das „Ob“ der Unterbringung kann eine Stadt kaum reden. Ich möchte gern bei meinem Prozess, die Gesellschaft zu einen, auch die Flüchtlinge mit einbeziehen. Die Flüchtlinge sollen und können am Stadtleben teilnehmen wie jeder andere auch. Wer sich allerdings nicht benimmt, sollte möglichst nie wieder am Stadtleben teilnehmen, da habe ich eine ganz klare Meinung dazu.

Sie haben den Markt der Kulturen als solches und auch die städtischen Zuschüsse dafür mehrfach kritisiert. Wird es solche Veranstaltungen unter Ihrer Ägide künftig nicht mehr geben?

Ich habe nichts gegen den Markt der Kulturen. Ich habe aber etwas dagegen, dass solche Veranstaltungen mit städtischen Mitteln gefördert werden, sie müssen sich finanziell selbst tragen. Der Markt der Kulturen ist ja schon fast eine hauptamtliche Geschichte geworden, wie eine Art kleine Kulturindustrie. Das hat für mich nichts mehr damit zu tun, Weltoffenheit und Toleranz zu zeigen.

Aber Kultur kommt kaum ohne Zuschüsse aus...

Das stimmt. Beispielsweise lässt sich so etwas wie die Kleinkunstbühne Q 24 nicht zuschussfrei betreiben. Darin sehe ich eher eine wichtige Aufgabe, dieses Theater für das Altstadtleben zu erhalten.

Interview: Thomas Möckel und Christian Eißner

SZ-Wahlforum mit allen Oberbürgermeister-Kandidaten am 4. Januar, 18.30 Uhr, in der Kleinkunstbühne Q 24. Einlass ab 18 Uhr, Eintritt frei.