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Schlafzimmer im Herrenbad

Das legendäre Dresdner Lahmann-Sanatorium wird zum Wohnpark umgebaut. Kann das gelingen? Eine Architekturkritik.

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© Jürgen Lösel

Von Falk Jaeger

Der Anblick des einstigen LahmannSanatoriums stimmt melancholisch. Das dreigeschossige Gebäude der Technikzentrale: verrammelt. Ein paar Schritte weiter am Neuen Speisesaal bröckelt der Putz, die Fenster sind verbrettert. Es folgt das Gesellschaftshaus, ein Flachbau mit Giebel, Wandelgang und Eingangshalle, daneben die Säulenpergola und als Verwaltungssitz das dreigeschossige Eckgebäude, allesamt in beklagenswertem Zustand.

Viele Dresdner kennen das historische Areal an der Bautzner Landstraße nur flüchtig vom Vorbeifahren und haben es als ruinöse Anlage auf ihrem mentalen Stadtplan. Die einstige Größe ist nur mehr zu erahnen. Der umtriebige und recht geschäftstüchtige Naturheilkundearzt Dr. Heinrich Lahmann hatte hier 1888 eine Heilanstalt gegründet und nach und nach ein stattliches Sanatorium aufgebaut, das auch nach seinem Tod 1905 weiter wuchs und mit zwei Dutzend Gebäuden und weiteren zwei Dutzend Villen und Hotels einen kleinen Stadtteil bildete.

Der Niedergang begann während des Zweiten Weltkriegs durch Verwendung des Sanatoriums als Wehrmachtskrankenhaus, vor allem aber anschließend in den 45 Jahren als Lazarett der Roten Armee. Die Gebäude wurden ramponiert, nicht mehr unterhalten und verfielen zusehends.

Wer heute allerdings seine Schritte in die Stechgrundstraße lenkt und das Areal von der Rückseite her erkundet, dessen Miene hellt sich auf. Ihm vermittelt sich eine Vorstellung von dem, was hier einmal den internationalen Ruf des Weißen Hirsches als Kurort festigte.

Nachdem ein Münchner Investor mit dem Projekt einer Seniorenresidenz gescheitert war, übernahm die Baywobau Dresden Ende 2010 das ambitionierte und durchaus risikoreiche Projekt. Inzwischen ist vieles schon geschafft, saniert und bezogen – unter großem Engagement der Baywobau und dessen Geschäftsführer Berndt Dietze, denn bei so manchem Bestandsbau wären Abriss und Rekonstruktion preiswerter gewesen.

Zuerst fällt das prächtige, mit Zierfachwerk und Sinnsprüchen geschmückte Lahmannsche Wohnhaus ins Auge, die historistische „Villa Heinrichshof“, die aufs Feinste restauriert wurde und von den Architekten Strangmann & Schneider problemlos in Wohnungen gehobenen Standards aufgeteilt werden konnte. Mehr Aufwand war bei den weiteren Gebäuden zu betreiben. Einerseits, weil sie bautechnisch zum Teil nur noch Ruinen waren, andererseits, weil sich ein Herrenbad oder ein Damenbad mit ihren Sälen, ein Doktorhaus oder ein Wasserturm nicht ohne Weiteres zum Wohnen einrichten lassen. So kommt es, dass große Bogenfenster am Herrenbad durch eine Geschossdecke geteilt sind, dass das sechs Meter breite, flachbogige Jugendstilfenster im Inneren Schlaf- und Wohnzimmer zu belichten hat und die vorgehängten, stählernen Balkons die Jugendstilfassade aus dem Jahr 1905 nachhaltig stören (rd architekten). Als besser geeignet für die Aufteilung in acht „Reihenhäuser“ mit Wintergarten und Dachterrasse erwies sich das nun wieder in weißer Pracht erstrahlende Damenbad von 1907 (Architekten: Hoyer & Ille).

Der erhöhte denkmalpflegerische Aufwand wurde durch den Bau und die Vermarktung von Neubauten im rückwärtigen Bereich des Areals kompensiert. 24 Wohnungen verteilen sich auf drei viergeschossige Stadthäuser (Architekten: Böttcher & Zimmermann). 14 Einfamilienhäuser runden das Gelände zur Dresdner Heide hin ab (Architekten: Wörner + Partner). Es sind moderne Bauformen, die allerdings gestalterisch mit dem Sanatorium nichts zu tun haben.

Den schönsten Saal zerteilen?

Wirtschaftlich erfolgreich ist das Gesamtprojekt bislang noch nicht, sodass sich die Baywobau entschloss, für die Sanierung der restlichen Altbauten weitere Investoren hinzuzuziehen. Ungelöst ist bislang das Problem des auch in seinem jetzigen Zustand großartigen Speisesaals aus dem Jahr 1898. Weil keine adäquate Nutzung gefunden wurde, sollen in den größten und mit seiner bemalten Holzkassettendecke schönsten Saal der Anlage „außergewöhnliche Galeriewohnungen“ eingebaut werden, wodurch die Holztonne über Flur und Luftraum erhalten bleiben könnte. Ein Schildbürgerstreich, den Sachsens Landeskonservatorin verhindern möge!

Besser läuft es beim Gesellschaftshaus, das zurzeit mit viel Aufwand und Sorgfalt als Architektur- und Ingenieurbüro umgebaut wird (rd architekten). Arztpraxen und Wohnen sind für das inzwischen ebenfalls verkaufte ehemalige Verwaltungsgebäude vorgesehen. Aus denkmalpflegerischer Sicht ist es bedauerlich, dass die Revitalisierung von Anlagen wie dem Lahmann-Sanatorium in heutigen Zeiten offenbar nur durch Auffüllen mit hochpreisigen Wohnungen wirtschaftlich tragfähig geleistet werden kann, wobei es fast gleichgültig zu sein scheint, ob sich die Gebäude dafür eignen oder nicht.

Am Ende ist der „Dr. Lahmann Park“, wie die Anlage marketingkonform genannt wird, ein durchaus lebenswertes Quartier, durchmischt mit neuen und erinnerungsträchtigen Gebäuden, durchgrünt, verkehrsberuhigt, familienfreundlich, mit dem Luxus einer zentralen Tiefgarage. Mit eher langweiligen Apartments des derzeit üblichen Standards, aber auch mit kurios geschnittenen, nicht uninteressanten Wohnungen in historischen Gebäuden, in denen jedoch mangels Patina das richtige Altbaugefühl nicht aufkommen will.

Noch gibt es die Chancen, die Rettung des geschichtsträchtigen Areals zu einem guten Ende zu bringen, indem die vorderen, noch nicht angegangenen Gebäude entlang der Bautzner Landstraße denkmalgerechter und vor allem gebäudetypologisch sinnvoller genutzt werden. Der investitionsfreundliche Baufinanzierungsmarkt müsste eigentlich die Spielräume dafür bieten. Nur dann kann man von einer gelungenen, die Erinnerung wach haltenden Revitalisierung des stadthistorisch bedeutsamen, für den Weißen Hirsch identitätsstiftenden Quartiers sprechen.