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„Schlimme Hochwasser werden schnell vergessen“

Birgit Lange, die neue Talsperren-Chefin der Region, über Hochwasserschutz-Pläne und klagefreudige Bürger.

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© Daniel Schäfer

Landkreis/Riesa. Birgit Lange leitet seit Jahresbeginn den Betrieb Oberes Elbtal der Landestalsperren-Verwaltung (LTV). Dort ist die studierte Geologin für rund 150 Mitarbeiter in Dresden sowie den Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge verantwortlich. Diese arbeiten an den Talsperren und in den drei Flussmeistereien Dresden, Riesa und Gottleuba. Sie verwalten den Betrieb und planen die Hochwasserschutzmaßnahmen. Im SZ-Gespräch erklärt Birgit Lange, wie es mit dem Hochwasserschutz in der Region weitergeht.

Frau Lange, viele Bürger fragen sich, warum sich manche Hochwasserschutz-Projekte so lange hinziehen oder erst verzögert beginnen. Woran liegt das?

Dafür gibt es zwei Gründe. 2005 wurden alle Hochwasserschutzmaßnahmen, die seit dem Hochwasser 2002 in 47 Hochwasserschutzkonzepten vorgeschlagen wurden, in einer sachsenweiten Prioritätenliste erfasst. Seitdem arbeitet die LTV diese Liste ab. Begonnen wurde mit den Maßnahmen, die eine hohe Priorität haben. Das sind jene, durch die bei einem erneuten großen Hochwasserereignis der Schaden am Allgemeinwohl deutlich reduziert werden kann.

Was ist der zweite Grund?

Der zweite Grund sind unvorhersehbare Ereignisse, wie zum Beispiel die Hochwasserereignisse in den Jahren 2006, 2010, 2011 und 2013. Diese haben uns zeitlich zurückgeworfen. Projekte wurden zurückgestellt, Geld und Personal wurde neu geordnet. Zunächst mussten die Schäden an den Gewässern und wasserwirtschaftlichen Anlagen beseitigt werden. Priorität für uns hat immer das Allgemeinwohl. Aber auch die langen Laufzeiten der Projekte machen uns zu schaffen. Ein Projekt dauert heute von der Planung bis zur Genehmigung mindestens fünf bis sieben Jahre. Bis 2002 hat das nur etwa zwei Jahre gedauert, etwa beim Hochwasserrückhaltebecken in Lauenstein. Dass es so lange dauert, kann man den Bürgern nur schwer erklären. Einerseits liegt es an den strengen Naturschutzgesetzen, die seit 2009 gelten. Oft sind es aber auch die Bürger selbst, die die Notwendigkeit eines Hochwasserschutzprojektes nicht verstehen. Bei allen Projekten informieren wir die Bürger so zeitig wie möglich. Trotzdem kommt es zu Befindlichkeiten, die ich darauf zurückführe, dass die Menschen die schlimmen Hochwasser schnell vergessen. Das ist schwierig.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wir können eine neue Hochwasserschutzanlage nur bauen, wenn uns alle dafür benötigten Grundstücke zur Verfügung stehen und wenn kein Betroffener dagegen klagt. Und selbst wenn 99 Prozent der Bürger dafür sind, reicht einer, der dagegen ist, um das Projekt zu verzögern – eventuell gar zu stoppen. Im ungünstigsten Fall müssen wir durch Gerichtsverfahren oder ebenso zeitraubende Besitzeinweisungsverfahren. Das hatten wir schon und es kann uns immer wieder passieren. Der Freistaat macht öffentlichen Hochwasserschutz jedoch nicht gegen den Willen der Bürger.

Wie ist der Stand bei den Hochwasserschutzmaßnahmen in Nünchritz und Röderau?

Beide Hochwasserschutzmaßnahmen befinden sich seit 2014 im wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren. Für die Hochwasserschutzanlage Nünchritz-Grödel ergaben sich aus der ersten Anhörung Änderungen, die eine Anpassung der Antragsunterlagen nötig machten. Diese haben wir im Juni 2017 bei der Landesdirektion Sachsen eingereicht. Die überarbeitete Planung wollen wir im Juni 2018 bei der Landesdirektion einreichen. Für Röderau ergab sich im Rahmen der Anhörung ebenfalls die Notwendigkeit einer Anpassung zur Antragsunterlage. Dafür waren Abstimmungen mit dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr nötig. Diese sind nun abgeschlossen. Die überarbeitete Planung wollen wir im Dezember 2018 bei der Landesdirektion einreichen.

Angesichts der geplanten Maßnahmen gibt es Bedenken, dass dadurch der Pegel im Hochwasserfall auf der Riesaer Elbseite steigen könnte. Was sagen Sie dazu?

Prinzipiell gilt ein Verschlechterungsverbot in Bezug auf den Ist-Zustand, also die Situation ohne Hochwasserschutzanlage. Das wird bei der Planung berücksichtigt und von der Genehmigungsbehörde im wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren geprüft, abgewogen und entschieden.

In Meißen gibt es Pläne, die Altstadt durch eine Erhöhung der Flutmauer und weitere Pumpwerke zu schützen. Welche Chancen sehen Sie für eine Realisierung?

Es gibt dazu einen ersten Lösungsansatz der Stadt Meißen, den wir mit der Stadtverwaltung in den letzten zwei Jahren besprochen haben. Das weitere Vorgehen kann nur schrittweise und gemeinsam erfolgen. Ein erster Schritt wird die Aktualisierung des Wasserspiegellagenmodells für die Elbe in Meißen sein. Die aktuelle Berechnung bildet eine wichtige Grundlage für die Planung einer Hochwasserschutzanlage für die Meißner Altstadt. Erst wenn die Ergebnisse dieser Berechnungen vorliegen, kann eine Machbarkeitsstudie erstellt werden. Das wird nicht vor Ende 2019 der Fall sein. Die Studie wird dann zeigen, ob sich die wasser- und gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit für eine technische Hochwasserschutzanlage für die Meißner Altstadt darstellen lässt und ob so ein Vorhaben genehmigungsfähig sein kann.

In der Region gibt es auch viele Gegner des technischen Hochwasserschutzes – nach dem Motto: immer mehr, immer höhere Deiche. Wie ist Ihr Standpunkt?

Nach dem Junihochwasser 2013 haben sich mehrere Bürgerinitiativen gebildet, die sich für den Hochwasserschutz an der Elbe im Bereich Riesa-Nünchritz engagieren. Die Landestalsperrenverwaltung arbeitete mit den Bürgerinitiativen von Beginn an eng zusammen. Im Rahmen des „Runden Tisches Hochwasser“, den die Bürgerinitiativen im Jahr 2013 gründeten, gab es eine ergebnisoffene, fachlich fundierte und konstruktive Diskussion über mögliche Lösungen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes an der Elbe. Die Bürgerinitiativen erachten sowohl den technischen Hochwasserschutz als auch die sachgerechte Gewässerbewirtschaftung – die Freihaltung der Abflussquerschnitte und der Gewässerrandstreifen – als erforderlich, um den Hochwasserschutz an der Elbe zu verbessern. Das sehen wir genauso. Auch die sogenannte nachsorgende Unterhaltung wie Elbwiesen abbaggern ist eine mögliche Maßnahme zur Verbesserung des Hochwasserschutzes.

Unterscheiden Sie sich, was Ihren Standpunkt dazu betrifft, von Ihren Vorgängern?

Wir arbeiten seit vielen Jahren konstruktiv mit den Bürgerinnen und Bürgern der Region zusammen. Wir werden natürlich auch künftig keinen Hochwasserschutz gegen die Bevölkerung machen. Vor meiner Ernennung zur Betriebsleiterin war ich im Betrieb Oberes Elbtal für den Bereich Bau verantwortlich. Bereits in dieser Funktion war ich an den vorab benannten Abstimmungen mit den Bürgerinitiativen aktiv beteiligt.

Die Fragen stellten Franz Werfel, Peter Anderson und Britta Veltzke.