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Schluss im Spreehotel

Das Haus am Bautzener Stausee wird am Donnerstag endgültig dichtgemacht. Bis dahin müssen auch die letzten Bewohner raus.

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© Uwe Soeder

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Zwei Fotos von seinen Schwestern und ein T-Shirt sind Iqbal aus seiner Heimat geblieben. Die Aufnahmen stehen gerahmt auf dem Fensterbrett vor der verschneiten Kulisse. Noch stehen sie dort, dabei ist Iqbal längst am packen. Das T-Shirt hat er bereits verstaut, wie den Großteil seiner übrigen Habe. Verteilt auf einen Koffer und eine große Reisetasche. An diesem Donnerstag muss er endgültig raus aus Zimmer 322. Das Bautzener Spreehotel schließt und der junge Somalier zieht in eine neue Bleibe.

Drei Jahre lang diente das Spreehotel als Asylbewerberheim, in den vergangenen Monaten fanden hier vor allem Flüchtlinge Obdach, die zwar in Deutschland bleiben dürfen, aber noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Wie es mit dem Gebäude weitergeht, ist
Drei Jahre lang diente das Spreehotel als Asylbewerberheim, in den vergangenen Monaten fanden hier vor allem Flüchtlinge Obdach, die zwar in Deutschland bleiben dürfen, aber noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Wie es mit dem Gebäude weitergeht, ist © Uwe Soeder

Überall in den wenigen noch belegten Zimmern des ehemaligen Hotels kramen die Menschen ihre Habseligkeiten zusammen. Etwas mehr als 30 Geflüchtete hatten zum Beginn dieser Woche in dem Gebäude am Stausee noch gewohnt. Und natürlich auch Peter-Kilian Rausch. Der frühere Chef des Vier-Sterne-Hauses, der im Sommer vor drei Jahren plötzlich zum Asylheimbetreiber umlernte, sitzt ebenfalls auf gepackten Kisten. Gut 18 Jahre hatte er mit im Hotel gewohnt, erst mit den Touristen und dann zu Hochzeiten mit bis zu 300 Flüchtlingen.

„Das meiste ist schon in meiner Wohnung in der Heimat“, erklärt Peter-Kilian Rausch. In einem kleinen Ort im Schwarzwald, von dem aus es den heute fast 60-Jährigen einst nach Bautzen gezogen hat. Inzwischen, daraus macht er keinerlei Hehl, will er nur noch weg. „Ich habe kapiert, dass mich in dieser Stadt keiner will“, sagt er, strotzend vor Zynismus und Bitterkeit. Die vielen Beschimpfungen, der Brandanschlag vor einem Jahr – vieles blieb hängen.

Währenddessen blickt sich Iqbal eher gleichgültig in seinem kahlen Zimmer um. Den früheren Komfort des Vier-Sterne-Hotels gibt es längst nicht mehr. Als 2014 das Spreehotel zum Asylheim umgekrempelt wird, zieht auch die Zweckmäßigkeit mit ein. Ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch, ein kleiner Schrank – mehr steht nicht drin in Iqbals Zuhause. Einziger Luxus bleiben die Bäder und Toiletten in jedem Zimmer.

Alternativangebot vom Kreis

Wirklich einrichten konnte sich Iqbal in dem nur wenige Quadratmeter großen Raum ohnehin nicht – mit was denn auch. Und dennoch war der 19-Jährige hier erst einmal angekommen. Fast zwei Jahre war er unterwegs von Somalia, über Libyen und das Mittelmeer bis nach Deutschland. „Zuhause ist überall Krieg“, sagt Iqbal. Der Vater ist tot, wo seine Mutter steckt, weiß er nicht. Die Behörden ließen ihn in Deutschland bleiben. Nur eine eigene Wohnung findet der 19-Jährige in Bautzen derzeit nicht. Zu Jahresbeginn hatte der Somalier deshalb Obdach im Spreehotel gefunden.

Damit Iqbal nicht auf der Straße landet, quartiert ihn der Kreis jetzt erst einmal im Heim an der Flinzstraße ein – eine Alternative, die das Landratsamt allen bisherigen Bewohnern des Spreehotels offeriert hat. Dabei, so sagt Peter-Kilian Rausch, ist das eigentlich nicht einmal die Aufgabe des Kreises. Denn Obdachlose, und dazu zählen anerkannte Flüchtlinge, die keine Wohnung finden, sind eigentlich ein Problem der jeweiligen Städte und Gemeinden – im Fall der Spreehotelbewohner also Bautzens.

Als im Juli 2014 aus dem Spreehotel ein Asylheim wird, löste Peter-Kilian Rausch jedoch erst einmal für den Landkreis ein großes Problem. Angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen stand die Verwaltung bei deren Unterbringung mit dem Rücken zur Wand. Peter-Kilian Rausch und sein Hotel schlossen vorerst diese Lücke – gegen den Widerstand vieler Bautzener.

Geld für Projekt versagt

Drei Jahre später war das Problem dann ein anderes. Weil immer weniger Geflüchtete kamen, schloss die Kreisverwaltung die Heime so schnell, wie sie einst eröffnet worden waren. Der einfachste Weg dabei: die auslaufenden Verträge mit den Betreibern einfach nicht mehr zu verlängern.

Genau das geschah im Juli 2017 auch mit dem Spreehotel. Stattdessen einigten sich die Spitzen der Stadt und des Kreises darauf, am Stausee ein Integrationszentrum einzurichten. Ein Ort, an dem auch Flüchtlinge unterkommen, die zwar bleiben dürfen, aber noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Stattdessen sollten ihnen Peter-Kilian Rausch und sein Team dabei unter die Arme greifen – ihnen helfen, sich in Deutschland zurechtzufinden.

Auch Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) hatte dafür kommunale Mittel zugesagt. 25 000 Euro, die ihm die Mehrheit der Stadträte Anfang November allerdings verweigerte. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Ohne das Geld war das Projekt gestorben. Peter-Kilian Rausch sah sich gezwungen, das Aus des Spreehotels zum Ende des Jahres zu verkünden.

Iqbal erzählt derweil, dass er wegen seinem Integrationskurs noch fast sechs Monate in Bautzen bleiben muss. Die Vorfreude auf sein neues Heim in der Flinzstraße hält sich in Grenzen. Der 19-Jährige hofft auf ein Einzelzimmer. Doch Peter-Kilian Rausch winkt ab: „Das wirst du dort sicher nicht kriegen.“ Und auch der Gedanke an die Gemeinschaftsduschen bereitet dem jungen Somalier sichtliches Unbehagen.

Interessenten für das Gebäude

Bevor Iqbal ins Spreehotel kam, hatte er einige Monate sogar schon in einer Wohngemeinschaft gelebt. Mit anderen jungen Männern aus Somalier. „Das hat nur nicht so richtig funktioniert“, erklärt Peter-Kilian Rausch augenzwinkernd und gibt Iqbal im gleichen Moment einen väterlich-seichten Schlag auf den Hinterkopf. Das Problem bei Iqbal, erklärt Peter-Kilian Rausch sogleich wieder mit ernster Stimme, sei aber die Hautfarbe: „Als Schwarzer bekommst du in Bautzen nur schwer eine Wohnung.“

Ohne einen Fürsprecher, so ist Peter-Kilian Rausch überzeugt, werden es Iqbal und andere künftig noch schwerer haben, eine Wohnung zu finden. Der Beschluss der Räte, das Geld für das Projekt zu verweigern, war aus seiner Sicht „Lokalpolitik auf unterstem Niveau und auf Kosten hilfloser Menschen.“ Schließlich, so glaubt er, sei es CDU und Bürgerbündnis Bautzen mit ihrer Entscheidung nur darum gegangen, OB Alexander Ahrens eins auszuwischen.

Was aus dem Haus wird, weiß Peter-Kilan Rausch nicht. Es gebe Interessenten für das Gebäude. Einer habe wohl Pläne für ein einfaches Motel. „Das könnte klappen, mit der Nähe zur Autobahn und dem großen Parkplatz vorm Haus“, sagt der Ex-Hotelier. Ein Vier-Sterne-Hotel, da ist er sich sicher, wird am Stausee nicht funktionieren.

Von dem wenigen Inventar, das sich noch im Hotel befindet, dürfen sich die verbliebenen Bewohner Dinge aussuchen, die sie mitnehmen wollen. Vieles ist bereits abgeholt. „Was noch stehenbleibt, nimmt das Rote Kreuz, für die Ukraine“, sagt Peter-Kilian Rausch, als er durch die leeren und tristen Gänge des Hotels eilt. Eine Nacht wird er noch in dem Haus schlafen, bevor dort bis auf Weiteres endgültig die Lichter ausgehen: „Ich übergebe die Schlüssel des Hotels demnächst an die Eigentümer, dann ist das Kapitel für mich erledigt.“