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Schneewittchensiedlung vor dem Ende

Die Obdachlosigkeit in Kamenz hat abgenommen. Aber sie ist noch da. Wie geht die Stadt künftig damit um, wenn sie das Obdachlosenasyl schließt?

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© Matthias Schumann

Von Frank Oehl

Kamenz. Die Tage der Schneewittchen-Siedlung in Kamenz sind gezählt. Der Reihenhausbau an der Mauerschleuse in Bahnhofs- und Heidsieck-Nähe war eine notgedrungene Nachwirkung des 1. Weltkrieges, als mit recht bescheidenen Mitteln schnell neuer Wohnraum geschaffen werden musste. Das hatte nichts Märchenhaftes, aber die schmalen Häuschen ließen halt die Volksmund-Assoziation zum Reich der sieben Zwerge durchaus zu. In den Gebäuden Zur Mauerschleuse 2 bis 14 hatte die Stadt Kamenz zuletzt Obdachlose untergebracht. Damit soll nun endgültig Schluss sein. Der Verwaltungsausschuss hat dem Stadtrat für seine Sitzung am 29. März jedenfalls empfohlen, das bereits leer gezogene Obdachlosenasyl endgültig zu schließen. Damit wird wohl ein Abriss der Reihenhäuser einhergehen.

Häuser sind heruntergekommen

Auf alle Fälle sind sie weitgehend hinüber. Und das ist auch ein Grund für das Abwinken der Stadt. Obdachlose können gewiss keine besonderen Ansprüche an ihre vier Wände und ein Dach über dem Kopf anmelden, gleichwohl sind sie menschenwürdig unterzubringen. OB Roland Dantz: „Das ist an der Mauerschleuse nicht mehr gegeben.“ Es gebe erhebliche bauliche Defizite, hieß es. Dazu käme durch die Heizung per Kohleöfen auch ein großes Gefahrenpotenzial.

Ordnungsamtsleiterin Heidrun Höpfner: „Viele vor allem junge Menschen wissen gar nicht mehr, wie man richtig anheizt.“ Die Gefahr von Kohlenmonoxid-Vergiftungen sei durchaus gegeben, erst recht, wenn man das besondere Klientel der Betroffenen sieht. Mancher mag unverschuldet in die missliche Lage gekommen sein, viele aber auch durch den am Anfang gewollten Missbrauch von Alkohol oder Drogen.

Linke verlangt ein Gesamtkonzept

Glücklicherweise habe in den letzten Jahren die Zahl der Obdachlosen in der Stadt abgenommen, auch, wenn dies an den Zahlen der letzten drei Jahre für die Schneewittchensiedlung nicht bestätigt wurde, wie auch Stadträtin Marion Junge (Linke) aufgriff. 2014 waren an der Mauerschleuse sieben Obdachlose – keinesfalls auf Dauer – untergebracht. 2015 waren es 13 und im vergangenen Jahr 12. Die Vertreter der Linksfraktion im Ausschuss waren dagegen, die Mauerschleuse 2 bis 14 sofort zu schließen, allerdings nicht, weil die Zustände dort ausreichend seien, sondern weil sie zunächst ein Gesamtkonzept der Stadt in der Obdachlosenfrage erwarten. Junge: „Eine wirklich perspektivische Lösung sollte zum Beispiel auch die Wohlfahrtsverbände mit einschließen – mit ihren Betreuungskapazitäten.“

Änderung in der Beschlussvorlage

Der Verwaltungsausschuss hat die Vorlage der Verwaltung mehrheitlich abgenickt. Allerdings mit einer Änderung, die der OB selbst in der Diskussion eingebracht hatte. Ursprünglich sollte auch das zweite städtische Obdachlosenasyl in der Friedrichstraße 5 im Gründerzeitviertel gleich mit aufgegeben werden. Das Haus hat mehrere leer stehende Wohnungen, die aber nur mit großem Aufwand wieder hergerichtet werden können.

Weil ein Vornutzer unter dem Messie-Syndrom litt und ein anderer im Drogenrausch die Einrichtung demoliert hatte. Auch hier wird noch mit Brikett geheizt. Dass die Friedrichstraße 5 nun doch weiter vorgehalten werden soll, lag auch an einem Argument, das WBG-Geschäftsführer Wulf-Dietrich Schomber in der Diskussion einbrachte. „Auch dieses Haus gehört übrigens zum Bestand der städtischen Wohnungsgesellschaft.“ Und das kommunale Wohnungsunternehmen der Stadt ist jetzt schließlich auch die Antwort auf die Frage, wo Obdachlose künftig unterkommen sollen, wenn es die marode Schneewittchensiedlung nun also nicht mehr macht.

Stadt hat Unterbringungspflicht

In der Tat hat die Stadt als Ortspolizeibehörde mit Unterbringungspflicht („Keiner muss in Kamenz unter Brücken schlafen!“) bei der SWG angefragt, ob man nicht Leerstand für eine „Beschlagnahme“ zur Verfügung hätte. Freien Wohnraum habe man, hieß es, und es könnte noch mehr werden, weil auch bei der SWG weitere Zwangsräumungen anstehen. Also wurde in der Jesauer Straße 6 eine Drei-Raum-Wohnung mit Doppelstockbetten, Singleküche und Waschmaschine ausgestattet. Das könne keine Dauerlösung sein, meinte Schomber – auch mit Blick auf den sanierten Schollstraßen-Block ganz in der Nähe.

Da gebe es Konfliktpotenzial, was auch der OB sieht. „Die Vermietbarkeit der SWG-Bestände darf dadurch nicht eingeschränkt werden.“ Bis zum Stadtrat Ende März ist vielleicht raus, wie dieser Widerspruch irgendwie zukunftsfähig werden könnte ...