Meißen
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Von Burgen, Mäusen und Mädchen

In der Stadtbibliothek gibt es Bücher, die man lesen, aber nicht mitnehmen kann – eine Fundgrube.

Von Udo Lemke
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Heute ist die Albrechtsburg durchsaniert. Auf diesem 1871 von Ludwig Theaodor Choulant gemalten Ölbild sieht sie noch wie ein Märchenschloss aus.
Heute ist die Albrechtsburg durchsaniert. Auf diesem 1871 von Ludwig Theaodor Choulant gemalten Ölbild sieht sie noch wie ein Märchenschloss aus. © Uwe Soeder

Meißen. Im zweiten Stock der Stadtbibliothek am Kleinmarkt befindet sich ein wunderschöner Lesesaal von Ende der 1920er Jahre. Er zeichnet sich durch eine hölzerne Wandtäfelung mit eingelassenen Schränken aus. Schiebt man die Glastüren zur Seite, kommt man an einen Schatz: Es handelt sich um 1 850 Bücher, die nicht mit nach Hause genommen werden können, weil sie so alt oder so wertvoll oder so selten oder alles Dreies zusammen sind. Zum großen Teil handelt es sich um Bücher, die man als Regionalia bezeichnen könnte – etwa Bände zur Orts- und Landesgeschichte. In ihnen stecken unzählige kuriose wie spannenden Geschichten – auf alle Fälle aber im Wortsinne Unerhörtes. Einiges davon wird in der Serie „Geschichten aus dem Schrank“ in den nächsten Wochen in der SZ zu lesen sein. Fangen wir an.

1985, als der Westen und der Osten noch durch eine undurchdringliche Mauer getrennt waren, erschien in Hamburg ein Buch mit dem Titel „Elbsaga. Ein Fluß erzählt Geschichte“. Dort ist etwas zu lesen, was man noch heute probieren kann: „Der Albrechtsburg sollte man sich von der Elbe nähern oder wenigstens von Westen her und womöglich bei Sonnenaufgang, wenn Burg, Brücke und Strom noch in ein violettes Grau getaucht sind und der apfelgrüne Himmel dahinter die Türme und Dächer zu einer kunstvollen Silhouette schneidet. Erst, wenn das Tageslicht kommt, ist die Wucht dieser Burganlage zu erkennen.“

Die Hüterinnen der Schätze in der Stadtbibliothek: Laura Siebert, Anke John, Tina Hagemann und Leiterin Petra Micksch (v. l.).
Die Hüterinnen der Schätze in der Stadtbibliothek: Laura Siebert, Anke John, Tina Hagemann und Leiterin Petra Micksch (v. l.). ©  Claudia Hübschmann

Was dem Einheimischen so bekannt ist, dass er es nur noch halb sieht, kann den Fremden schon mal zum Schwelgen bringen. So ist über die Arbeit des Schlösserbauers Arnold von Westfalen zu lesen: „Die Wendeltreppen, Wendelsteine genannt, scheinen zu schweben, die Zellengewölbe mit ihren scharfkantigen Graten im Licht- und Schattenspiel sind überirdisch. Es ist, als ob Arnold die Figuren des klassischen Balletts in Stein gehauen hätte.“

Weit weniger edel lesen sich die Kindheitserinnerungen von Hans Graf von Lehndorff, der von den Frühlingshochwassern an der Elbe beim Gestüt Graditz in der Nähe von Torgau schrieb. „Man stand vor einer unübersehbaren Wasserfläche, aus der die Bäume manchmal nur noch mit der Krone herausragten.“ Und er beschreibt, was das Wasser für die verschiedensten Tiere bedeutete: „Die vom Wasser bedrohten Mäuse schlossen sich manchmal zu Tausenden zusammen und schwammen, eng aneinandergedrängt, auf das Ufer zu. Es sah dann so aus, als wenn eine graue Decke angetrieben würde, und man traute seinen Augen nicht, wenn diese Decke über den Damm weiterrollte und auf der trockenen Seite in den Büschen verschwand.“

„Aus der Meißener Heimat“ ist ein Büchlein von 1925 betitelt, und dort finden sich Aufzeichnungen zum hiesigen Wetter. Sie lesen sich vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen wie Berichte aus einer längst vergangenen Zeit: „Das Jahr hat bei uns im Mittel 27 Eistage. An ihnen darf das Thermometer überhaupt nicht über 0 Grad steigen. An 87 Tagen können wir auf Nachtfröste rechnen. Als Durchschnittstag für den letzten Frost gilt der 24. April. Bis dahin muss jeder mit Bohnen, Gurken, Kürbissen und Tomaten vorsichtig sein.“

Dem Maler Rudolf Bergander (1909 – 1970), dessen Wandbild im Rathaus-Foyer seit Mai wieder zu sehen ist, ist ein schmales Bändchen aus dem VEB Verlag der Kunst Dresden von 1959 gewidmet. Zu einem seiner Bilder mit dem Titel „Zwei Mädchen“ ist da zu lesen: „Auffallen wird, daß Berganger oft einen ganz bestimmten Typ des jungen Mädchens auftreten läßt: etwas keck, sogar schnoddrig, aber auch etwas linkisch, ein bißchen ,eckig‘. Ist dieser Typ aber nicht für unsere Gegenwartsgeneration charakteristisch? Wie oft begegnen wir diesen netten jungen Dingern, die auf der rührenden Grenze zum Erwachsensein stehen und etwas so Unbekümmert-Irdisches an sich haben. Sie stehen den jungen Burschen auch durchaus nicht schüchtern gegenüber, sondern kameradschaftlich und ebenbürtig.“