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August der Starke hätte seine Freude

Marmor, Eichenholz, Goldbrokat - mit den rekonstruierten barocken Paraderäumen des legendären Kurfürsten kehren weitere Pracht und Opulenz zurück ins Dresdner Schloss.

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Kürschnerin Kerstin Rendler arbeitet in einer Werkstatt im Dresdner Residenzschloss an der Fertigstellung des Krönungsmantels August des Starken. Der Mantel wird originalgetreu mit den Materialien, Hermelinpelz und verschiedenen Stoffen, aus gleicher Quel
Kürschnerin Kerstin Rendler arbeitet in einer Werkstatt im Dresdner Residenzschloss an der Fertigstellung des Krönungsmantels August des Starken. Der Mantel wird originalgetreu mit den Materialien, Hermelinpelz und verschiedenen Stoffen, aus gleicher Quel © dpa / Monika Skolimowska

Von Simona Block

Aurora reitet Helios schon wieder voraus, umspielt von Putten und ihren Söhnen, den Winden. "Sie wäre die Erste, die beim Aufwachen in den Blick gerät", sagt Gemälderestaurator Dietrich Richter. Die Gruppe steht im Zentrum des riesigen, mit der Architektur verschmelzenden Deckengemäldes, das er und seine Kollegen im Paradeschlafzimmer des Dresdner Residenzschlosses rekonstruieren - nach dem Original von Hofmaler Louis de Silvestre (1675-1760). Während eine Restauratorin vorsichtig mit dickem Pinsel Schatten am Gewand der Göttin der Morgenröte aufträgt, zieht ihr Kollege an der geputzten Wölbung der Decke einen dünnen Strich mit Goldfarbe.

Die Plattform mehrere Meter über dem Boden gleicht einem Atelier. Die Künstler arbeiten dort über Kopf, zwischen aufgehender Sonne und untergehendem Mond in roter Grundierung und Bleiweiß. Sie haben Bilder von Silvestre, Malweisen und Material seiner Zeit sowie Raumaufnahmen von 1943 studiert, bevor es im Mai 2018 ernst wurde. "Die Arbeit entspricht der der Künstler von damals", sagt Ute Matuschek. So wurde die 70 Quadratmeter große Leinwand aus schmalen Streifen zusammengenäht und im Metallrahmen aufgespannt.

Die Gegebenheiten heute zwingen zum Rückgriff auf die Altvorderen. "Das ist das Beste und das Einfachste", sagt Matuschek. Sie und ihre Kollegen haben wie die meisten der an der Rekonstruktion der fünf Paraderäume beteiligten Handwerker und Künstler viel Erfahrung mit dem Barock und der Renaissance. In einer Hand den Pinsel, in der anderen einen Stofftupfer, ähneln sie optisch den Meistern, die eine der beiden im Jahr 1945 zerstörten Raumillusionen schufen: "Aurora, die Welt erweckend".

Spiegel-Sgrafitto für die Vorzimmer

In einem anderen Atelier im Nordflügel kratzt derweil Restaurator Bert Müller mit ruhiger Hand eine Schleife aus der Blattgoldfläche auf einer Glasplatte - wie beim Sgrafitto auf Wandputz. Dann steht er auf, passt das Stück an die fehlende Stelle der gläsernen Umrahmung an. "Das ist ein goldradierter Spiegel aus einem der Vorzimmer", erklärt er. Um ihn wieder zu komplettieren, musste er eine verlorene Technik wiederbeleben. "Man tastet sich ran, liest historische Unterlagen, studiert die Originalstücke und kommt dem Vorgehen durch chemische Analysen auf die Spur."

Die Spiegelung habe große Bedeutung als raumbestimmendes Element, erklärt Müller. Um gleich wieder mit feiner Stahlnadel an Linien auf dem Blattgold entlangzufahren. Das Muster hat er zuvor von dem spiegelverkehrten Originalstück kopiert und übertragen. "Das Problem ist die Schrift", sagt er lachend. "Zuletzt wird alles farbig hinterlegt", sagt der 56-Jährige. Statt des damals teuren, aber giftigen Zinnoberrots wird die Farbe allerdings mit modernen Pigmenten angerührt.

Echte Pariser Tapissière

"Hof-Tapezierer" steht in alter Schrift an der Tür, die im Ballsaal im Nordflügel in ein provisorisches Textilatelier führt. Ein riesiger Tisch füllt den halben Raum, darauf liegt kostbarer Stoff. In einer Art Gestell, das meterhoch bis zur Decke reicht, hängen zahlreiche weiße Säcke. "Das sind die schon fertigen Stücke", sagt Kunsthistorikerin Sabine Schneider. Unter ihrer Regie entstehen die Teile, die an den originalen Wandbehängen und -bespannungen sowie am Paradebett fehlen.

"Sie sind sehr kostbar, alles 24 Karat vergoldetes Silber", sagt Schneider, die gerettete Originale studiert und die Restaurierung und Rekonstruktion vorbereitet hat. "Die Stoffe kamen damals aus den Pariser Werkstätten von Ludwig XIV., nur sie durften mit Gold arbeiten." Für August den Starken wurden sie zu über 3,70 Meter hohen Wandvorlagen in Säulenform verarbeitet, bestickt und posamentiert. "Das ist einmalig, das gibt es nicht nochmal auf der Welt."

Vor allem für das Paradeschlafzimmer müssen verlorene Textilien wiederhergestellt werden, die wie Teppiche an Ringen von den Wänden hingen. An einem Kopfstück des Paradebetts mit Originalbespannung fand Schneider Reste von den Brokaten, die neben historischen Fotos als Vorlage für die Nachfertigung dienen. Goldbrokate und Samte kommen wie damals aus Frankreich und wurden wie im 18. Jahrhundert auf Handwebstühlen gefertigt. "Nur ganz wenige Firmen stellen sich der Herausforderung fast in Vergessenheit geratener Technologien."

Insgesamt werden fast 1,5 Kilometer Seidensamt und etwa 3,5 Kilometer Goldtresse benötigt - rot für das Audienzgemach, grün für das Paradeschlafzimmer. "Der hier ist gerade erst gekommen, er liegt noch wellig." Tapissière Julia Modest setzt vorsichtig und konzentriert Stoßnähte auf dem mit Samt applizierten Brokat für eines der beiden Vorzimmer. "Die Behänge auf der Wand sind architektonisch gegliedert, mit einer Art Rahmen", erklärt Schneider.

"Man muss erstmal alle Teile zusammensetzen, damit die Nähte richtig fallen und es dann glatt an der Wand hängt", sagt Modest. Die Schwarzwälderin hat in Frankreich den Beruf gelernt, "der unter den Königen entstand". Mit einer Rundnadel näht sie die zuvor geheftete Tresse auf den blauen Seidensamt. "Das ist eine fast blutige Angelegenheit, man muss ja auch durch Samt und Brokat durch." Das erfordert Kraft und Geschick - aber auch Vorsicht. "Man ist sehr nervös, es muss beim ersten Mal sitzen." Der Samt sei sehr empfindlich, "man würde Fingerabdrücke sehen".

Für das Paradebett wird Goldstoff verarbeitet. "Dabei handelt es sich um ein Metallgewebe aus 24 Karat vergoldetem Silber", erklärt Schneider. "August der Starke hat damals das Prunkvollste, was es gab, dekorieren lassen, das Hochkarätigste aus Paris, aber auch aus Manufakturen im eigenen Land." Die Rekonstruktion der Augusteischen Räume "ist schon große Kür, noch höher gehen Kunstfertigkeit und Qualität nicht", sagt Schneider. Allein das Paradebett sei reiner Prunk gewesen, der bis zur Decke reichte. "Ein Schaubett, nicht zur Nutzung gedacht und stellvertretend für einen Thron", sagt sie. "Was man in Versailles nicht mehr findet, kann man dann hier erleben."

Qualität und Authentizität als Maßstab

Die Rekonstruktion des anlässlich der Hochzeit des Kurprinzen mit einer Kaisertochter im Jahr 1719 geschaffenen Paradeappartements geschieht mit hohem Anspruch an Qualität und Authentizität. "Ihr Empfang war eine der bedeutendsten Veranstaltungen Europas", sagt Hans-Christoph Walther. Im Büro des Diplomrestaurators liegen viele Originalteile, die im Zweiten Weltkrieg ausgelagert waren oder die Bombardierung Dresdens überstanden haben, sowie Nachbildungen verschiedenster Art. Er hat historische Akten, Kupferstiche, Fotos und andere Dokumente studiert und für jeden Raum eine Akte zusammengestellt.

"Versailler Parkett aus Eichenholz, mit Samt aus Genua und Frankreich bespannte Wände, Stuckgesims, umlaufendes Eichenholzpaneel, Kamine und Türgewände aus rotem und schwarzem Marmor, feuervergoldete Original-Kronleuchter mit Lampen, Stuckrosetten", zählt Walther die erlesenen Materialien auf. "In der Opulenz ist es das Augusteischste, was man sich vorstellen kann", sagt Schlossdirektor Dirk Syndram. Das Paradeappartement sei eine Bühne der Selbstinszenierung der eigenen Politik und dynastischen Idee gewesen.

Sie zeugten vom Aufstieg eines Kurfürsten, "der zeitgleich in Litauen und Polen herrscht und damit in die Höhe einer Majestät gerutscht ist", erklärt Syndram. Und vom erreichten Ziel nach 15-jährigem Bemühen, seinen Sohn mit dem Haus Habsburg verheiratet zu haben. "Damit war man in der höchsten Kategorie: königsfähig." Solche Paradeappartements waren in Europa verbreitet, haben sich aber weder in Versailles noch in Wien erhalten. "Das ist hier der große Auftritt, der königliche Anspruch, damit hat er seinen endgültigen Aufstieg in die Champions League gefeiert."

Königlicher Auftritt

Zum 300-jährigen Jubiläum der Festlichkeiten wird der Regent sogar wieder auferstehen. Eine Kopie seiner Krönungsfigurine wird Hof halten im Paradegeschoss, samt Krönungsmantel, Krone, Zepter und Reichsapfel. Kürschnerin Kerstin Rendler vernäht dafür unterm Schlossdach Hermelin am königsblauen Mantel aus Samtbrokat mit Goldgespinst. Er ist 3,15 Meter lang, 2,55 Meter breit und wiegt gut sechs Kilogramm.

Das Original, das sich August der Starke zur Krönung als König von Polen 1697 hatte anfertigen lassen, kann aus konservatorischen Gründen nicht ausgestellt werden. Für die Kopie wurden 177 Hermelinfelle aus Wildfang in der sibirischen Taiga geordert. "Die Tiere gibt es dort reichlich", sagt Kürschnermeister Thomas Margenberg aus Meißen. So kehrt der Kurfürst-König ins Schloss zurück, "und mit ihm die ganze Erinnerung an die europäische Geschichte im 18. Jahrhundert." (dpa)