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Schwelgen in Kindheitserinnerungen

Beim Tag der offenen Tür im alten Schulgebäude gaben sich Generationen ehemaliger Schüler die Klinke in die Hand.

Von Manfred Müller
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Manfred Oehme (r.) wurde 1942 in Walda eingeschult. Er kennt Werner Kießling (l.), der die Schule bereits 1939 bis 1947 besuchte, noch sehr gut.
Manfred Oehme (r.) wurde 1942 in Walda eingeschult. Er kennt Werner Kießling (l.), der die Schule bereits 1939 bis 1947 besuchte, noch sehr gut. © Foto: Anne Hübschmann

Walda. Obwohl der Treppenaufgang der ehemaligen Walder Schule ziemlich breit ist, mussten sich die Besucher am Samstagvormittag wie in alten Zeiten aneinander vorbeidrängeln. Mehr als 200 Neugierige stauten sich in den Gängen und vor den einstigen Klassenzimmern. Die sind inzwischen zu geräumigen Wohnstuben, Küchen und Bädern umgebaut und werden demnächst von vier Familien bezogen. Wie schon in den Nachbardörfern Bauda und Folbern hat der Thiendorfer Unternehmer Christian Freund das leer stehenden Schulgebäude erworben und ein schmuckes Wohnhaus daraus gemacht. Und ebenso wie in den anderen Orten veranstaltete er für alle, die noch einmal in Kindheitserinnerungen schwelgen wollten, einen Tag der offenen Tür.

Lisa Kinder und Julia Klimt gehören zu einer letzten Schülergenerationen, die in Walda ihre Grundschulzeit absolvierten. „Hier war das Hortzimmer“, erinnern sich die beiden jungen Frauen, „da haben wir oft Tänze einstudiert und manchmal die Musik ganz schön aufgedreht.“ Und da drüben sei das Lehrerzimmer gewesen, wo niemand so gerne anklopfte. Besonders dann nicht, wenn man mal etwas ausgefressen hatte und hinbestellt wurde. „Meine Mutti ist früher in Bauda zur Schule gegangen“, erzählt Lisa Kinder. „Sie war dort beim Tag der offenen Tür, und es hat ihr so sehr gefallen, dass sie meinte, ich müsste mir das hier unbedingt angucken.“

Volles Haus – Der Tag der offenen Tür in der ehemaligen Waldaer Grundschule lockt mehr Leute an, als gedacht. Teilweise bildet sich ein kleiner Stau. Foto: Anne Hübschmann
Volles Haus – Der Tag der offenen Tür in der ehemaligen Waldaer Grundschule lockt mehr Leute an, als gedacht. Teilweise bildet sich ein kleiner Stau. Foto: Anne Hübschmann
Für die zukünftigen Bewohner wird es ein Abstellraum, aber für Julia Klimt (re.) und Lisa Kinder (li.) ist es ein Raum voller Erinnerungen. Foto: Anne Hübschmann
Für die zukünftigen Bewohner wird es ein Abstellraum, aber für Julia Klimt (re.) und Lisa Kinder (li.) ist es ein Raum voller Erinnerungen. Foto: Anne Hübschmann
Werner Oehme zeigt das Foto eines Klassentreffens von 1969.  Foto: Anne Hübschmann
Werner Oehme zeigt das Foto eines Klassentreffens von 1969.  Foto: Anne Hübschmann

„Man könnte einen Roman darüber schreiben, was in dem Gebäude über die Jahrzehnte alles geschehen ist“, sagt Günter Stampe. Der heute 80-Jährige gehörte zur Belegschaft jenseits der Lehrerzimmertür. 30 Jahre lang arbeitete er als in Walda als Schulleiter. Über die Erlebnisse mit seinen Schülern, deren Streiche und andere Zwischenfälle will Stampe – ganz Lehrer – aber nicht sprechen.

Das übernehmen beim Tag der offenen Tür seine ehemaligen Schützlinge. Manfred Dronigke zum Beispiel, der 1964 hier eingeschult wurde. „Ich weiß noch, wie beim Schulgartenunterricht mal jemand mit einer Gabel abgerutscht ist“, erzählt er. „Die Zinken steckten in der Wade und durften natürlich nicht herausgezogen werden. Da wurde aus dem Schuppen eine Säge geholt, um den Stiel abzutrennen. Und den mussten ich festhalten.“ Aber insgesamt, so Dronigke, sei seine Schulzeit unbeschwert verlaufen; die schönen Erinnerungen überwögen allemal.

Anita Krille (82) hat die Waldaer Schule zwischen 1943 und 1950 besucht. Besonders ist ihr die Abschlussfahrt im Gedächtnis haften geblieben. „Da ging es nach Papstdorf in der Sächsischen Schweiz, wo wir in einer Scheune übernachteten“, erzählt sie. Alles sei damals mit einfachsten Mitteln organisiert worden. Das Essen wurde von zu Hause mitgebracht, ihre Oma habe für die Fahrt extra eine große Bebe gebacken. Anita Krille hat ein Foto von einem Klassentreffen mitgebracht, das sie mit den ehemaligen Mitschülern im alten Schulgebäude erlebte. „Viele von ihnen“ sagt sie, „sind leider schon nicht mehr da.“

Mit dem Rohrstock auf die Finger

Manfred Oehme hatte von allen Besuchern wahrscheinlich den kürzesten Weg zur Besichtigung seiner alten Schule. Der 83-Jährige wohnt gleich in der Nachbarschaft. „Ich bin 1943 eingeschult worden“, erinnert er sich, „da mussten wir noch die Hand zum Hitlergruß heben.“ Wurde das nicht exakt gemacht, gab es Schläge mit dem Rohrstock. Meistens auf die Finger. Und zwar immer auf die linke Hand, damit man mit der rechten noch schreiben konnte. Als die Schüler etwas älter wurden, begannen sie, sich zu wehren. Da wurden kleine Löcher in den Rohrstock gebohrt, sodass er schon beim ersten Schlag zerbrach. Ein ganz Mutiger habe den Stock sogar mal mit Tinte gefüllt und unauffällig mit einem Korken verschlossen. Der ploppte beim Schlagen dann heraus, und die Tinte spritze durchs ganze Klassenzimmer. „Aber der Lehrer war auch nicht dumm“, erzählt Manfred Oehme. „Der ging einfach in den Schulgarten und schnitt sich eine Haselrute.“

Bauherr Christian Freund hat die Besucher derweil im Akkord durchs Haus geführt – vom Keller bis zum Dachboden. Besonders freut den Thiendorfer, dass das Gebäude ausschließlich von jungen Leuten bezogen wird. „Da kommt wieder Leben ins Dorf“, sagt er. Eine Familie sei sogar aus den alten Bundesländern zurückgekommen. „Dort verdienst man zwar besser als hier in Sachsen“, so Freund. „Aber das Geld geht dann wieder für die höhere Miete drauf.“