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Krank, einsam, ausgegrenzt in Sebnitz

Der Peststein von Sebnitz erzählt vom tragischen Schicksal einer wegen Krankheit ausgestoßenen Familie im Jahr 1680.

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Der Peststein im Gemeindehain Sebnitz. Er ist oberhalb vom Waldstadion gut erhalten zu finden.
Der Peststein im Gemeindehain Sebnitz. Er ist oberhalb vom Waldstadion gut erhalten zu finden. © Matthias Schildbach

Von Matthias Schildbach

Als sich 1680 die Nachrichten von einer neuerlichen Pestepidemie dem Sebnitzer Land näherten, wurden die Menschen hellhörig. Boten berichteten von immer näher liegenden Städten und Dörfern, wo die Krankheit aufgetreten sei und die Menschen bereits daran sterben würden. Die Sebnitzer befiel die nackte Todesangst. Die Bürgerschaft beschloss, die Stadt nach außen hin abzuschotten, sich abzuriegeln. Fremden wurde der Zutritt verwehrt, keiner kam mehr herein und keiner mehr heraus.

Im Frühjahr war es soweit, die Pest wurde durch den Grenzverkehr nach Böhmen eingeschleppt. Im Nachbarort Rugiswalde infizierten sich ganze Familien, es gab Tote.

Der Tod lauert in Rugiswalde

In der Stadt Sebnitz lebte die Familie des Schneiders Johann Wunderlich. Dessen Ehefrau Maria, genannt die Toffels Hansin, stammte aus Rugiswalde, aus dem dortigen Erbgericht. Wie sie es immer tat, war sie in ihren Heimatort gegangen, um ihre Mutter zu besuchen und Butter zu holen. Schon dort soll sie nicht eingelassen worden sein, weil die Krankheit umging. Nach ihrer Rückkehr erkrankte Maria, wohl schon vor Schreck und Sorge, und nach ihr das jüngste der Kinder.

Schnell sprach sich herum, dass es bei Wunderlichs Kranke gab, nachdem die Mutter auswärts gewesen war. Die gesamte Familie wurde aus ihrem Hause abgeholt und in ein notdürftig hergerichtetes Quartier in ein Waldgebiet nördlich der Stadt, den Gemeindehain, verbannt. Man rechnete fest damit, dass sie die Pest eingeschleppt hatten.

Familie in den Wald verbannt

Es war Mitte April, eine Woche vor Ostern. Die Nächte waren kalt, die Sonne wärmte noch nicht. Es wurde zur Herausforderung, krank und mit Kindern im Wald zu überleben. Das kleinste Kind der Wunderlichs lag acht Wochen im Fieber. Der Vater Johann blieb gesund wie auch die größeren Kinder. Nur die Mutter erholte sich nicht. Es gab Tage, da ging es ihr besser, an anderen fieberte sie und konnte kaum etwas zu sich nehmen.

Die Sebnitzer versorgten Familie Wunderlich täglich mit Nahrung und Wasser, sie schoben es ihnen mit langen Stangen zu. Keiner durfte an sie herantreten und keiner der Wunderlichs einen engen festgelegten Kreis von wenigen Ellen verlassen.

Maria Wunderlich genas nicht mehr. Ganze neunzehn Wochen verbrachte sie in ihrem Waldquartier, aus Angst von der Gemeinschaft dazu gezwungen, in der sie gelebt hatte. Am 17. August 1680 starb sie im Wald, im Kreise ihrer Familie. Sie galt damals als das einzige Pestopfer der Stadt Sebnitz. Ihre Familie musste noch mindestens bis zum 28. September aushalten. Dann durften sie wieder in ihr Zuhause in die Stadt zurückkehren.

Die Bürgerschaft zollte sich selbst Lob, dass sie es geschafft hatte, mit ihrer rigorosen Maßnahme die Epidemie fern der Stadt zu halten. Die Familie begrub die Mutter im Wald. Maria Wunderlich erhielt kein christliches Begräbnis, die Sebnitzer Begräbnisbücher vermerken ihre Bestattung nicht.

Der Peststein in einer Zeichnung von 1889 Aus: Bergblumen 1889.
Der Peststein in einer Zeichnung von 1889 Aus: Bergblumen 1889. © Repro: Matthias Schildbach

Johann Christian Wunderlich, eines der größeren Kinder, die mit im Wald gehaust hatten, ließ 1740 einen Gedenkstein für die Mutter setzen. Die Inschrift lautet:

„Allhier ruhet in Ihrem Erlöser Jesu Christo sanft und selig die Weyland viel Ehr und Jugend belobte Frau Maria Wunderlich geborene Schusterin aus dem Gerichte von Rugiswalde des weyl. Wohlgeachteten Mstr. Wunderlichs allhiesigen Bürgers und Schneiders liebgewesenes Eheweib welche in der damaligen … 1680 d. 17. Augusti hier aus zen in einer Hütte verstorben und alleine aus dieser Stadt und ihr Lebensel. beschlossen ihres Alters 31 Jahr 3 Monat. Seiner sel. Frau Mutter zum steten Andenken lies diesen Stein setzen Johann Friedrich Wunderlich Snr. Kgl Majestät in Pohlen und Churfürstl. Durchl. zu Sachs zen Wohlbestallter Land-kreis-Einnehmer ... Bürgerm. zu Sebnitz anno 1740. Zum ersten Male erneuert 1835 zum zweiten Male 1926 durch die Stadtgemeinde Sebnitz“.

Er steht noch heute an dem Granitfelsen, wo die Familie Wunderlich vierundzwanzig Wochen als Einsiedler leben musste und die Mutter Maria ihre letzte Ruhe fand. Johann Christian Wunderlich starb 1741 als Landessteuereinnehmer und ältester Bürgermeister der Stadt Sebnitz.

Es war nicht die Pest

Heute ist klar, dass weder Maria Wunderlich noch jemand aus ihrer Familie an der Pest erkrankt war. Da die Menschen im 17. Jahrhundert noch kein Antibiotikum kannten, blieb die Infektion praktisch immer unbehandelt. Der Tod trat mit relativer Sicherheit nach zwei bis fünf Tagen ein. Dass Maria und ihr Kind aber wochenlang krank darniederlagen und das Kind auch genas, widerspricht der Diagnose Pest.

Der Sebnitzer Lehrer und Heimatforscher Friedrich Ohnesorge (1834-1915) hegte daran schon seine Zweifel und stellte Maria Wunderlichs Todesursache vielmehr in „den Unbilden der Witterung, dem Mangel an Pflege und dem Bangen und Sorgen in ihrem Herzen“ fest. Die soziale Ausgrenzung allein bewirkte ständiges Stressempfinden, Todesangst vor der Krankheit, die Kinder sorgten sich um die Eltern wie die Eltern um die Kinder und sicher entlud sich Aggression auch untereinander. Verdammt zum Nichtstun, stand die Zeit still.

Quarantäne wie in der Hölle

Im Sommer 1680 ging eine Sebnitzer Familie durch die Hölle auf Erden. Den Sebnitzer Peststein findet man im Waldgebiet des sogenannten „Gemeenhanel“. Hinter dem Waldstadion steigt ein Weg bergan in nordwestlicher Richtung. Nach etwa 400 Metern findet sich linkerhand in einem Abgeholzten Waldstück, abseits der Weges, der große Granitblock mit dem Peststein.