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Seid stark und wehrt euch

Die Landesbühnen Sachsen suchen „Die Mitte der Welt“ und finden seltsame, unangepasste, sympathische Typen: eine starke Frau und einen Jungs liebenden Jungen.

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Phil (Johannes Krobbach, o.) und Nicholas (Christian Miebach) lieben sich.
Phil (Johannes Krobbach, o.) und Nicholas (Christian Miebach) lieben sich. © Norbert Millauer

Der Autor Andreas Steinhöfel mag keine Siegertypen. Denn wir alle sind fehlbar, haben Ecken, Kanten und Macken, sagt er im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung. „Es ist okay, nicht perfekt zu sein.“ Alles andere als perfekt sind Rico und Oskar, die Helden seiner viel gelesenen Kinderbücher. So einer ist auch der 17-jährige Phil, der vaterlos mit seiner Zwillingsschwester Dianne bei der liebeshungrigen Mutter Glass aufwächst. Phil ist die Hauptfigur des Romans „Die Mitte der Welt“, der 1998 auf die Spiegel-Bestsellerliste gelangte und vor drei Jahren verfilmt wurde. Am Sonntag war Premiere der Schauspielfassung an den Landesbühnen Sachsen, adaptiert von Dramaturgin Gisela Kahl.

Das Stück plädiert für ein Leben ohne Lüge und Geducktheit. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Phil und seine kleine Familie werden als Außenseiter von den Dorfbewohnern feindlich beäugt. Hass- und Neidobjekt ist Mutter Glass. Sie sei verrückt nach Männern, sagt Phil, schläft mit ihnen und „setzt sie wieder vor die Tür“. Glass wird beleidigt, erhält obszöne Briefe. Häufig geistert ein kleinkarierter Marionettenchor über die Bretter und zetert: Schlampe, Bitch, Shit. Doch die von Sophie Lüpfert großartig und vielschichtig verkörperte Glass lässt sich nicht unterkriegen. Sie ermuntert ihre Kinder: „Seid stark und wehrt euch. Lasst euch niemals vorschreiben, wie ihr zu leben habt.“ain.

Weder Heilige noch Monster

Phil, der Jungen liebt, sucht den Rat der Mutter vor dem ersten Date mit seinem Schulfreund Nicholas. Es gehört zu den Vorzügen der Inszenierung von Intendant Manuel Schöbel, dass die homoerotische Beziehung ohne dumme Scham, ganz unverkrampft und leidenschaftlich gezeigt wird. Als eine Liebe wie jede andere. Johannes Krobbach spielt mit jugendlicher Unbedingtheit das Frühlingserwachen seiner Gefühle, unsicher, verträumt und überschwänglich. Umso größer seine Enttäuschung, als er erkennt, dass Nicholas ihn nur braucht, sich ihm nicht öffnet. Phil sucht seinen Platz in der Gesellschaft, seine innere Mitte. Schwerer hat es Krobbach in der Rolle als Erzähler, da wird er von der Regie szenisch im Stich gelassen.

Die widersprüchliche, reiche Figur der Schwester Dianne wird von Cordula Hanns mit Bravour ausgefüllt. Dianne, kraftvoll mit Pfeil und Bogen agierend, hat es satt, wegen des Lebenswandels der Mutter „wie eine Aussätzige behandelt zu werden“. Um einem künftigen Kind dieses Dasein zu ersparen, schüttet sie ihrer schwangeren Mutter Abtreibungsmittel in den Tee. Die Frauen sind bei Andreas Steinhöfel keine Heiligen, die Männer keine Monster. Das macht seine Geschichten so glaubhaft, so lebensnah. Und immer wieder pocht er auf Toleranz, Verständnis, Menschlichkeit. Es gibt zu wenig Liebe auf der Welt, heißt es im Stück.

Der Roman ist übervoll von schrägen, oft humorvollen Typen. Die dicke lüsterne Annie, der rustikale Seefahrer, die burschikose Direktorentochter, der eifersüchtige Mitschüler. Verständlich, dass die Bühnenadaption nicht auf das Steinhöfel’sche Universum verzichten wollte, was allerdings die Handlung dehnt, mangelnde Stringenz zur Folge hat. Regisseur Schöbel lässt auf der bodenwelligen Bühne von Ausstatterin Barbara Blaschke spielen. Eine verschiebbare Bücherschrankwand gibt den Blick frei auf eine dreiköpfige Band, die mit Frontmann Alexander Wulke irische Lieder, Folksongs und Liebes-Chansons anstimmt.

Neben hübschen szenischen Momenten, wie einem Geld spuckenden Sparschwein, häufen sich umständliche Umbauten. Der Inszenierung fehlt es oft an Dichte, Poesie und überraschenden Wendungen. Schön, dass einige Darsteller wie Sandra Maria Huimann gleich in mehrere Rollen schlüpfen können. Das trägt zur Belebung dieses knapp dreistündigen Abends wesentlich bei.

Wieder am 16. 3., 11., 12. und 28. 4. im Stammhaus Radebeul, Kartentelefon 0351/8954214. Am 22. 3. im Kulturhaus Freital und 14. 4. im Schloss Großenhain.