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Selbst geschraubt und viel gerettet

In der Fahrradselbsthilfewerkstatt „Radskeller“ werden jeden Dienstag kleine und große Katastrophen entschärft. 

Von Kay Haufe
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Tobias Drößler (rechts) hat in der Selbsthilfewerkstatt „Radskeller“ viel gelernt. Jens Nitsche gibt Tipps und macht klare Ansagen, doch anpacken müssen die Kunden hier trotzdem selbst.
Tobias Drößler (rechts) hat in der Selbsthilfewerkstatt „Radskeller“ viel gelernt. Jens Nitsche gibt Tipps und macht klare Ansagen, doch anpacken müssen die Kunden hier trotzdem selbst. © Sven Ellger

Tobias Drößler tigert um sein nostalgisches Tourenrad, das auf dem Montageständer hängt. „Irgendwas ist mit der Kette“, sagt der 32-Jährige mit gerunzelter Stirn. Hilfesuchend schaut er zu Jens Nitsche. Der steht in der kleinen Kellerwerkstatt und hat das Problem längst erkannt. Ein Teil ist aus der Kette herausgebrochen, sodass der Stift nicht mehr hält. „Du musst das Teil herausholen und dann versuchen, die Kette wieder zu schließen. Mal sehen, ob sie dann noch lang genug ist“, sagt Nitsche und reicht Drößler einen Nietdrücker. „Probier’s mal!“

Eigentlich hätte Nitsche das viel schneller selbst erledigt. Aber er arbeitet ehrenamtlich im „Radskeller“, einer Fahrradselbsthilfewerkstatt in der Johannstadt. „Unser Ziel ist es, Hilfestellung zu geben, damit unsere Kunden künftig vieles selbst reparieren können“, sagt der 57-Jährige. „Deshalb lassen wir sie erst mal machen.“ Manchen fehlt auch ganz einfach das Werkzeug zuhause.

Doch jetzt muss Nitsche wieder ran. Vor dem Kellerraum stehen wie jeden Dienstagabend gleich mehrere Kunden mit ihren Problemrädern. „Schaff mal den Tisch hier raus, wir brauchen Platz“, ruft Nitsche seinem Mitstreiter Stefan Pachen zu. Ein junger Mann aus Nürnberg ist neu in der Stadt. Das Rad hat er günstig in einer Behindertenwerkstatt gekauft, in der es zusammengebaut wurde. Es ist sein einziges Transportmittel in Dresden. Jetzt bremst es nicht mehr richtig. Neue Backen müssen her. Die meisten Verschleißteile sind vorrätig in der Selbsthilfewerkstatt, für sie müssen die Kunden bezahlen. Für die Hilfestellung ist eine Spende fällig. Jeder zahlt, so viel er kann oder will. Pachen drückt dem Nürnberger die Bremsbacken in die Hand und gibt ihm Instruktionen.

Nebenan schraubt Uwe Hase an einem schwierigen Fall, den ihm ein afghanischer Flüchtling vorbeigebracht hat. Der Lenker des Baumarkt-Rades lässt sich nicht mehr feststellen und wackelt. Schon über eine Stunde versucht Hase, die Ursache zu finden, hat sogar an der Halterung gefeilt. Aasef Hosseini schaut ihm dankbar zu. Er weiß nicht, wie er selbst anpacken soll. In Afghanistan hatte er kein Fahrrad, dort sei es viel zu bergig gewesen, um damit zu fahren. Doch hier in Dresden benötigt er es dringend. Hase hat den Fehler endlich gefunden. Ein Teil des Steuerlagers hat sich durch mangelnde Pflege komplett zerlegt. „Das Rad ist ohnehin der letzte Mist“, sagt er. Aasef dürfe sich keine Illusionen machen, dass es lange hält. Aber immerhin kann er ihm helfen.

Während Jens Nitsche ein Gründungsmitglied des Vereins „Radskeller“ ist, der 1991 am Umweltzentrum entstand und mehrfach umzog, macht Lutz Hase erst seit letztem September mit. Ihm gefällt die handwerkliche Arbeit. Stefan Pachen ist seit neun Jahren dabei. Er kam als Kunde und war begeistert von der Hilfe zur Selbsthilfe. „Vor allem die Idee, nicht immer alles gleich wegzuwerfen, sondern zu schauen, ob es reparabel ist, gefällt mir“, sagt der hauptberufliche Schulleiter.

Drei bis zehn Kunden haben die ehrenamtlichen Fahrradhelfer an den offenen Dienstagen, die meisten in der Saison von Frühjahr bis Herbst. In der Kellerwerkstatt des Vereinshauses „Aktives Leben“ in der Dürerstraße 89 hängen ordentlich nach Größe sortiert blaue Felgenbänder an der Wand. Schraubenschlüssel und andere Werkzeuge sind griffbereit auf einer Holzplatte angebracht. Jens Nitsche hat sogar die alte Werkbank seines Großvaters mitgebracht, die sich perfekt eignet, um an den meist kleinen Kettenteilen zu arbeiten. Er betont, dass die Vereinsmitglieder keine Konkurrenz zu Profiwerkstätten sein wollen. „Hier geht es um das Anleiten zur Selbsthilfe“, sagt er. Die Kunden können zum Beispiel Teile im Fachhandel bestellen und sie dann selbst montieren.

Nitsche, der seine Räder selbst baut, steht wieder neben Tobias Drößler, der seine Kette repariert hat. Sie passt, obwohl ein Glied fehlt. „Glück gehabt, aber so oft darf dir das nicht mehr passieren“, so Nitsche. Nach einer Probefahrt kommt Drößler zurück und legt seine Spende in die blaue Kassette. „Das war super, ich komme wieder!“