Merken

Sie ist die Mutter des Striezelmarktes

Seit fast 30 Jahren ist Sigrid Förster für Händler, Hütten und Hilfesuchende da und hat deshalb schon eine Hochzeit verpasst.

Von Nadja Laske
 5 Min.
Teilen
Folgen
Sigrid Förster ist stolz auf den Striezelmarkt und auf den Enthusiasmus der Händler und Firmen, die ihr Bestes geben.
Sigrid Förster ist stolz auf den Striezelmarkt und auf den Enthusiasmus der Händler und Firmen, die ihr Bestes geben. © Christian Juppe

Willkommen in der Schaltzentrale des Striezelmarktes. Von außen verkleidet sie sich als gemütliche Weihnachtshütte mit Reisig und erzgebirgischen Holzfiguren davor. Innen herrscht wenig Gemütlichkeit. Doch wenn Sigrid Förster Verlangen nach dem Ambiente und den Aromen der Adventszeit verspürt, braucht sie nur vor die Tür zu treten. Häufig tut sie das auch, meistens jedoch, um als Marktchefin irgendetwas zu richten.

Korrekt bezeichnet, ist die 63-Jährige Abteilungsleiterin Kommunale Märkte im Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Dresden und beinahe rund ums Jahr mit dem Markt aller Märkte beschäftigt. Seit 28 Jahren liegt es in ihrer Verantwortung, dass jedes Zahnrad im Getriebe ins nächste greift. „Alles steht und fällt mit einer perfekten Planung, mit Disziplin und Ordnung“, sagt Sigrid Förster. Sie sitzt in ihrem winzigen Büro, dem sein Container-Charme nur innen anzusehen ist. Hier stehen mehrere Computer, deren Programme mit allen weiteren Instanzen des größten Weihnachtsmarktes der Stadt gekoppelt sind: mit der mobilen Polizeiwache, dem gemeindlichen Vollzugsdienst, dem Marktinformationsbüro, dem Deutschen Roten Kreuz vor Ort und den Koordinatoren des Bühnenprogrammes. „So erreichen neue Informationen nahezu alle Stellen gleichzeitig, ob Kinder ihre Eltern im Getümmel verloren haben oder im schlimmsten Fall eine Evakuierung nötig ist.“ Verlorene Steppkes hat es häufig gegeben, auch eine Oma suchte schon aufgelöst nach dem dazugehörigen Opa. „Schmerzlich vermisst wurde einmal ein Ehering, der wohl in der Kälte von der Hand gerutscht ist“, erzählt die Marktleiterin. Beim Abbau der Hütten, Wochen später, wurde er gefunden und kam zurück zu seinem Besitzer.

Sicherheitssperren gehören dazu

Turbulenzen, an die sie sich ein Leben lang erinnern wird, hat Sigrid Förster in ihrem Job bereits erlebt. Zum Beispiel an dem Tag im Dezember 2005, als orkanartige Windböen nicht nur Dekorationen von Hüttendächern räumten und Tannengrün umherwirbelten, sondern einen Stand, die Schneemanngruppe und das Märchenschloss zerlegten. „Wir mussten den Striezelmarkt schließen, weil sich sonst Besucher und Händler verletzt hätten.“ Die Entscheider blieben natürlich, ganz egal, was passiert – und wenn es die Hochzeit des eigenen Bruders ist. Sigrid Förster verpasste das Fest tatsächlich. In einer solchen Situation konnte die Marktchefin nicht fehlen.

Es mag kaum mehr vorstellbar sein, doch sie hat Schneemassen aus den Striezelgassen räumen und hinunter ans Elbufer verfrachten lassen. Sonst wäre das Markttreiben zusammengebrochen. In diesem Jahr ereignete sich bisher nichts Beunruhigendes, nur die Nässe nervt und nimmt ein wenig Gemütlichkeit. Sogar an die Sicherheitssperren scheinen sich die Besucher gewöhnt zu haben.

Die Vorbereitung des Striezelmarktes beginnt, kaum dass der vorherige beendet ist. Wenn am Montag der Budenzauber erlischt und 14 Uhr die Händler und Gastronomen ihre Stände schließen, hat Sigrid Förster noch zwei Stunden zu tun. Dann reist auch sie für die Feiertage ins familiäre Weihnachtsland –, um am 27. Dezember zurückzukehren und den Abbau des Marktes zu überwachen. Dann geht alles retour, was ihre Kräfte Wochen zuvor beansprucht hat. Angefangen mit der Entsorgung des gesamten Grünzeuges. Das muss zu Silvester verschwunden sein, denn die inzwischen dürren Zweige und Bäume würden brennen wie Zunder, sobald ein Feuerwerkskörper hineinfiele. Bis zum 3. Januar ist der Altmarkt wieder der Alte. Es folgen Manöverkritik und Kassensturz, erst dann gönnt sich die Mutter des Marktes Urlaub. Das alles klingt nach viel Stress und wenig Stimmung. Doch Sigrid Förster liebt ihren Striezelmarkt, jedes Jahr wieder.

Nach dem Markt ist vor dem Markt

Auch dann, wenn gleich nach ihrer kurzen Auszeit gedanklich schon wieder gestriezelt wird. „Eine der ersten Fragen, die wir klären, ist die nach dem neuen Tassenmotiv“, sagt sie. Welche Farbe soll die Jahrgangstasse 2019 haben, und welches Dekor wird sie zieren? Auch der große Weihnachtsbaum ist schon Anfang des Jahres Thema. „Wir schauen, ob es unter den privaten Angeboten der vergangenen Jahre einen Baum gibt, der infrage kommt.“ Wenn nicht, bringt das Marktplanungsteam einen Bürgeraufruf in Umlauf, in der Hoffnung, es finde sich ein Exemplar, das nicht nur schön und groß genug ist, sondern auch gut zu fällen und abzutransportieren sein wird. Gerade letztere Herausforderung verlangt einen Abstimmungsmarathon. In diesem Jahr kam der Baum aus Pirna-Zuschendorf. „Da brauchten wir die Genehmigungen für den Schwerlasttransport von der Polizei Pirna, Dresden und von der Autobahnpolizei, die jeweils nur für ihren Zuständigkeitsbereich sprechen und den Begleitschutz stellen können.“

Übers Frühjahr organisiert das neunköpfige Märkteteam die Ausschreibung der Stellplätze. Rund 350 Bewerbungen gingen in diesem Jahr ein, sagt Sigrid Förster, 233 Stände stehen auf dem Striezelmarkt. „Bis Ende Juli sollen die Zuweisungsbescheide verschickt sein. Es folgen Gebührenbescheide. Allein für den Aufbau des Marktes sind rund 70 Firmen und Gewerke nötig. Sie alle wollen angefragt, beauftragt, in Ablaufpläne eingetaktet sein. Von Sicherheitskonzepten und programmlichen Abstimmungen ganz zu schweigen.

Stille. Die genießt Sigrid Förster am späteren Heiligabend. Dann verhallt die Geräuschkulisse der vergangenen Wochen und Ruhe kehrt ein – daheim, mit ihrem Mann, mit einem Glas Glühwein und Kater Pettersson auf dem Schoß.