Von Michael Fischer, New York
Wenn in der Weltpolitik das Mehrheitsprinzip gelten würde, wäre es eine klare Sache. 122 von 193 Uno-Mitgliedsstaaten haben sich im Juli für ein Verbot aller Atomwaffen ausgesprochen. Die ersten Staaten unterzeichneten am Mittwoch in New York den Vertrag, der Besitz, Entwicklung, Lagerung, Stationierung und Finanzierung solcher Waffen untersagt.
Welche Konsequenzen wird der Vertrag haben?
Uno-Generalsekretär António Guterres sprach von einem „Meilenstein“. Konsequenzen wird der Vertrag zunächst aber nicht haben: nicht auf die Atombombentests Nordkoreas, nicht auf die Programme zur Modernisierung amerikanischer oder russischer Atomwaffen in Europa und auch nicht auf die Nuklearwaffenarsenale Pakistans oder Indiens. Denn keines der insgesamt neun Länder, die Atomwaffen besitzen, hat an den Verhandlungen über den Vertrag teilgenommen. Er hat daher lediglich Symbolkraft und setzt ein Zeichen gegen den weltweiten Trend der Aufrüstung.
Was ist aus der atomaren Abrüstung nach dem Kalten Krieg geworden?
Die Vision von einer atomwaffenfreien Welt, die dem früheren US-Präsidenten Barack Obama den Friedensnobelpreis eingebracht hat, scheint heute wieder so weit entfernt zu sein wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) warnt sogar vor einem „neuen atomaren Wettrennen“ und der Gefahr eines Atomkrieges. Auch das hat es seit fast 30 Jahren in dieser Schärfe wohl nicht mehr gegeben.
Wie groß ist die Gefahr eines Kriegs zwischen den USA und Nordkorea?
Das ist schwer zu sagen. Die Gefahr ist wohl genauso unberechenbar wie die Staatschefs beider Länder: Kim Jong Un und Donald Trump. Der US-Präsident drohte bei der Uno-Vollversammlung in New York, Nordkorea bei einem Angriff vollständig zu zerstören. Beiden dürfte dennoch klar sein, welch verheerenden Folgen ein Atomkrieg haben würde.
Wie viele Atomwaffen gibt es noch weltweit?
Nach einer Studie des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri waren Anfang des Jahres 14 935 Atomsprengköpfe im Besitz von neun Ländern. 93 Prozent gehören den USA und Russland, die restlichen sieben verteilen sich auf China, Indien, Pakistan, Israel, Großbritannien, Frankreich und Nordkorea. In den 80er-Jahren waren es noch 70 000 Sprengköpfe.
Ist das nicht ein Indiz dafür, dass nuklear abgerüstet wird?
Wohl kaum. Die leichte Reduzierung der Sprengköpfe geht auf einen Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland von 2010 zurück. Darüber hinaus gibt es keine Ambitionen der beiden größten Atommächte, die Zahl der Nuklearwaffen weiter zu verringern. Gleichzeitig werden die verbliebenen Waffen auf beiden Seiten – und auch bei den kleineren Atommächten – mit viel Geld modernisiert. Experten gehen davon aus, dass allein die USA in den nächsten 30 Jahren bis zu eine Billion US-Dollar (834 Milliarden Euro) in die Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals stecken.
Gibt es auch in Deutschland Atomwaffen?
Darüber wird nicht offen gesprochen. Experten gehen davon aus, dass auf dem Fliegerhorst Büchel (Eifel) etwa 20 Sprengköpfe lagern. Die SPD hat den Abzug gefordert. Im Alleingang – ohne Zustimmung der USA und der Nato – ist das kaum denkbar.
Warum boykottieren die Atommächte den Verbotsvertrag?
Sie stehen weiter zum Prinzip der nuklearen Abschreckung: Der Besitz von Atomwaffen soll davor schützen, selbst mit Massenvernichtungswaffen angegriffen zu werden. Die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich können sich darauf berufen, dass es schon einen internationalen Vertrag über atomare Abrüstung gibt, den sogenannten Atomwaffensperrvertrag von 1968. Er soll die Verbreitung von Atomwaffen verhindern und beinhaltet eine Verpflichtung zur Abrüstung – aber kein Verbot. Die Atommächte Indien und Pakistan gehören nicht zu den Vertragsparteien. Auch Israel und Nordkorea sind nicht dabei. Israel hat den Besitz von Atomwaffen nie zugegeben, aber auch nicht dementiert.
Wie verhalten sich Deutschland und die Nato?
Deutschland hielt sich wie fast alle Nato-Staaten aus den Verbotsverhandlungen heraus. Begründung: Da die Atommächte nicht teilnehmen, können die Verhandlungen nichts ändern. Die Nato kritisierte den Vertrag in einer Stellungnahme am Mittwoch sogar als kontraproduktiv. Er drohe die Weltgemeinschaft zu spalten und behindere bestehende Abrüstungsinitiativen. „Solange Atomwaffen existieren, wird die Nato ein nukleares Bündnis bleiben“, hieß es in der Erklärung. (dpa)