Von Heinz Fiedler
Die erste Nachkriegssilvesternacht hat wenig mit Jubel, Trubel und Prosit Neujahr zu tun. An Stelle von perlendem Sekt trinkt man verdünntes Bier, Zitronenlimonade oder Tee. Nirgendwo am sternklaren Nachthimmel eine Spur von Feuerwerk. Wie sollte es auch anders sein! Das Zünden von Feuerwerkskörpern ist Silvester 1945 streng verboten. Das wird kaum einer vermisst haben. Knapp acht Monate nach Kriegsschluss haben die Leute keinen Sinn für zündende Raketen und Böllerschüsse. Die Zeitungen kennzeichnen den Jahreswechsel als ein Notsilvester. Natürlich drängt es die Jugend zum öffentlichen Tanz – zu lang war die kriegsbedingte Zwangspause. Indes, nur wenige örtliche Gaststätten haben geöffnet. Sie wirken inmitten von Not und Jammer wie unwirkliche Inseln bedingter Normalität.

Die meisten Freitaler sitzen in trauter Runde in den eigenen vier Wänden, trinken kratzigen süßen Likör – scheußliches Zeug. Zum Abendbrot wird fischfreier Brathering zubereitet aus Haferflocken und, so man hat, echten Zwiebeln serviert. Der geistige Vater dieses verwegenen Appetithappens ist bis zur Stunde unbekannt geblieben. Wahlweise kann man sich an auf Spinat gequälte Brennnesseln oder mit Hilfe einer geklauten Zuckerrübe hausgemachten Sirup ergötzen. Die Stimmung ist trübe, viele Männer sind für immer auf einem der europäischen Schlachtfelder geblieben, viele sehnen in irgendeinem Gefangenenlager die Stunde der Entlassung herbei.
Kleiner Lichtblick. Auf die 1945 obligatorische Stromabschaltung wird Silvester rund um den Windberg verzichtet – ausnahmsweise, wie es in einer amtlichen Verlautbarung heißt.
Versuch mit Schwarzmarkt
Örtliche Verwaltungen melden sich zum Jahresende zu Wort, um Bilanz zu ziehen. So haben 70 Bürger von Potschappel, Birkigt und Zauckerode Antrag auf festes Schuhwerk gestellt. Ausnahmslos dringende Fälle. Für eine Zuteilung stehen dem Rathaus gerade mal 15 Paar zur Verfügung. In der ersten Dezemberwoche 1945 gelingt es, 4 100 Freitaler Familien mit je einem Viertelmeter Brennholz zu versorgen. Die noch souveräne Gemeinde Hainsberg gibt selbst die Gedenkkreuze für gefallene Soldaten im Umfeld des Kriegerehrenmals am Schulbuschhang zum Verheizen frei.
Erschreckend das Anwachsen der Kriminalität. 1946 wird über 300 Freitaler Bürgern ausgeprägte Kontakte zum schwarzen Markt nachgewiesen. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher gelegen haben. Realistisch betrachtet, musste jeder, der überleben wollte, krumme Touren riskieren.
Treffpunkt Löwe
Als es uns wieder besser geht, wird der Goldene Löwe Potschappel zum Silvestertreffpunkt Nummer 1. Eintrittskarten für die Löwen-Nacht zu erwischen, das ist ungefähr so, wie das große Los in der sächsischen Landeslotterie. Die Großgaststätte lockt mit gemischtem Aufschnitt und einer Flasche Radeberger.
Viele der Gaststätten, die noch in den 60er-Jahren als Familientreffpunkte gut im Rennen liegen, haben sich inzwischen längst für immer verabschiedet. Erinnert sei nur an den Steiger, an das Deutsche Haus, Eiskeller und BC, an die Wettinburg und die Gasthöfe von Lübau, Saalhausen und Zur Erholung Weißig. Der goldene Löwe hat sich verkleinert, doch immerhin er lebt wieder!
Ein Konzert setzt sich durch
Klassikkonzerte hatten es in Freital nie leicht. Selbst die Philharmonie konnte keineswegs bei jedem Konzert bei Krille Döhlen mit einem vollen Haus rechnen. Repräsentative Kirchenaufführungen blieben von der Resonanz her unter den Erwartungen.
Im Jahre 2000 unternahm die Direktion Knieps den Versuch, ein Neujahrskonzert im Stadtkulturhaus Freital zu etablieren. Nicht ganz so groß wie in Wien, Berlin oder Dresden. Aber immerhin konnte man das Johann-Strauß-Orchester Budapest verpflichten. Zur Premiere kamen nicht mehr als 100 Interessenten. Ein mieser Start, von dem sich Gert Knieps und die Seinen nicht entmutigen ließen. Das Budapester Team kam auch in den folgenden Jahren und der Besuch nahm von Jahr zu Jahr zu. Inzwischen setzt die Direktion Angelika Schminder die Tradition fort und baut auf den Dresdner Kapellsalon, ein Ensemble mit Mitgliedern Staatskapelle. Das Repertoire: volkstümliche Oper, Operette, Evergreens und feinste Caféhausmusik.
Am 7. Januar, 16 Uhr steht die nächste Folge an: „Jede Frau hat ein süßes Geheimnis“, Melodien um das schöne Geschlecht. Der Titel, ein Schlagerlied, das Meister Franz Grothe 1939 für Johannes Heesters und seinen Film „Das Abenteuer geht weiter“ schrieb. Heesters sang das Lied übrigens zu seinem Auftritt im Friedrichstadtpalast zu „Ein Kessel Buntes“. Das Neujahrskonzert von demnächst wird wieder sehr gut besucht sein.