Von Ulrich Heyden,SZ-Korrespondent in Moskau
Niemand zweifelt daran, dass die Kreml-Partei „Einiges Russland“ die Duma-Wahlen am kommenden Sonntag haushoch gewinnt. Sie setzt darauf, dass sie aufgrund ihrer Machtstellung im Parlament – sie stellt zwei Drittel der Abgeordneten – und ihrer Nähe zum Kreml von der Mehrheit der Russen gewählt wird.
Wie beeinflusst der
Kreml den Wahlkampf?
Der „administrative Apparat“ arbeitet auf Hochtouren. Gouverneure, Bürgermeister, Unternehmens- und Institutsleiter mahnen, Arbeits- und Studienplätze, Löhne und Sozialleistungen seien nur beim Sieg der Partei „Einiges Russland“ mit Spitzenkandidat Putin gesichert, andernfalls drohe ein Rückfall in die chaotischen 90er Jahre, wo Löhne und Renten nur unregelmäßig gezahlt wurden.
war der wahlkampf wirklich fair?
Beobachter registrieren massive Behinderungen und Benachteiligungen der Opposition. Im Fernsehen, das die Meinungsbildung in Russland maßgeblich prägt, dominieret die Partei „Einiges Russland“ mit Präsident Putin. Alle anderen Parteien kommen nur am Rande zu Wort. Scharfe Kreml-Kritiker, wie Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und der liberale Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow, haben im Fernsehen Auftrittsverbot.
Welche Risiken gibt es für den Kreml bei der Wahl?
Eine geringe Wahlbeteiligung – „weil ja doch schon alles entschieden“ – oder ein schlechtes Ergebnis für „Einiges Russland“ kämen für Putin einer Niederlage gleich. Aus dem Kreml gibt es offenbar klare Vorgaben. Der Leiter der Wahlkommission, Wladimir Tschurow, war sich schon im Juli „sicher“, dass die Wahlbeteiligung am 2. Dezember „bei 60 Prozent“ liegt. Die Menschenrechtsorganisation „Golos“ berichtet, dass in der russischen Provinz massenweise Berechtigungsscheine für eine vorgezogene Abstimmung direkt am Arbeitsplatz ausgegeben werden. So versucht man offenbar, die Wahlbeteiligung zu erhöhen.
Was steht für Präsident Putin auf dem Spiel?
Putin möchte mit einem eindrucksvollen Wahlergebnis für „Einiges Russland“ im Rücken auch nach seinem Amtsende eine führende Rolle in Russland spielen. Egal, welchen Posten er übernimmt, Parteichef, Parlamentspräsident, Regierungschef oder Direktor eines der großen Staatsunternehmen – er wird die russische Politik maßgeblich bestimmen. Dem Kreml-Chef geht es zugleich um die Sicherung der Interessen seiner engsten Berater¨ – ehemaligen Geheimdienst-Mitarbeitern und Chefs von Staatsunternehmen aus St. Petersburg, die er um sich geschart hat.
Welche Rolle spielen
die Anderen Parteien?
Die Stimmen für die Kommunisten sind Proteststimmen gegen eine Wirtschaftspolitik, die die Interessen der kleinen Leute übergeht. Die Partei stellt soziale Forderungen und agitiert vor allem gegen den Westen. Dabei kommt es auch immer wieder zu antisemitischen Ausfällen. Der Chef der Liberaldemokraten, der Ultranationalist Wladimir Schirinowski, rühmt sich, dass Russlands autoritärer Kurs auf seine Initiative zurückgeht.
Wie wirkt sich die Wahl auf Deutschland aus?
Präsident Putin hatte im Wahlkampf einen scharfen anti-westlichen Ton angeschlagen. Der Kreml-Chef behauptete, westliche Länder finanzierten die Opposition. Konkrete Staaten nannte Putin allerdings nicht. Besonders die Beziehungen zu den USA und Großbritannien haben sich verschlechtert. Russland beginnt, sich vom Westen zu isolieren und wird weniger berechenbar. Es gibt Zweifel, ob das zentralisierte politische System künftig in der Lage ist, mit Krisen fertig zu werden. Banken-Turbulenzen, die galoppierende Inflation, die Interessen unterschiedlicher Clans und Wirtschaftsbosse – all das könnte zu einer Herrschaftskrise und unkontrollierten Entwicklungen führen. Für Deutschland sind das keine guten Aussichten.