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Skiurlaub in den Alpen – gefährlich oder ein Wintertraum?

Viele Touristen sind angesichts der Schneemassen verunsichert. Zu Recht? Ein Besuch in einem der größten Skigebiete Österreichs.

Von Katrin Saft
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Selten so schön: Blick von 1 600 Metern Höhe ins Pillerseetal in den Kitzbüheler Alpen.
Selten so schön: Blick von 1 600 Metern Höhe ins Pillerseetal in den Kitzbüheler Alpen. © Katrin Saft

Fahren oder doch lieber stornieren? Wer in diesen Tagen einen Skiurlaub in den Alpen gebucht hat, ist hin- und hergerissen. Denn der sonst so herbeigesehnte Schnee ist zum Risiko geworden: Chaos auf den Straßen, eingeschneite Hotels, Lawinentote. Alles nur mediale Übertreibung?

Im Pillerseetal in den Kitzbüheler Alpen sieht die Katastrophe am vergangenen Wochenende wie eine Szene aus einem russischen Märchenfilm aus: gezuckerte Landschaften, fast zu perfekt, um echt zu sein. Häuser und Straßenlaternen tragen romantische Hauben. Die Autos am Straßenrand sind unter einem weißen Mantel verschwunden, als wolle dieser die Dieseldebatte begraben. Einem Parkverbotsschild steht der Schnee schon bis zum Hals. Und es schneit weiter.

Völlig zugeschneit ist dieses Auto eines Hotelgastes.
Völlig zugeschneit ist dieses Auto eines Hotelgastes. © Katrin Saft

„Ein Wintertraum, wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne“, sagt Bettina Geisl, Tourismusobfrau der Region. Die 44-Jährige hat sich eine graue Wolljacke übers Dirndl gezogen, in dem sie in ihrem Hotel in Fieberbrunn (Tirol) die Gäste bedient. Immer mit einem Lächeln, obwohl sie ziemlich sauer ist. „Die Wetterberichterstattung in Deutschland hört sich an, als ob man sich hier bei uns in Lebensgefahr begibt“, sagt sie. „Touristen rufen verunsichert und verängstigt an, einige kommen gar nicht erst.“ Dabei freue man sich über den vielen Schnee, denn er verspreche eine gute und lange Saison. Geisl: „Wir können damit umgehen.“ Wie zum Beweis zeigt sie hinters Haus, wo der Traktor mit Frontlader steht, mit dem ihr Mann ab morgens früh um 5 die Zufahrten räumt. Viele Bewohner des Pillerseetals hätten Landwirtschaft und damit auch schwere Geräte.

Für die Hoteliers in Österreichs Wintersportgebieten geht es um viel. In der kalten Saison erwirtschaften sie etwa 55 Prozent ihrer Jahreseinnahmen. Das Geschäft ist hart: Personalmangel, Generationswechsel und Investitionsdruck angesichts wachsender Konkurrenz. Fieberbrunn im Pillerseetal zählt so viele Einwohner wie Gästebetten. Gerade hat die holländische Kette Vaya ein 4 Sterne-Hotel eröffnet. Die Briten wollen bis 2020 im Ort ein großes Appartementhaus errichten. Das Dorf in den Kitzbüheler Alpen ist für Investoren interessant geworden. Denn mit dem Bau einer neuen Bergbahn konnte Fieberbrunn im Winter 2015/16 mit den Skigebieten Saalbach, Hinterglemm und Leogang verbunden werden. Der Skicircus, wie die Österreicher sagen, zählt mit nunmehr 270 Pistenkilometern zu den weltweit größten Abfahrtsgebieten.

Fast verschwunden: Almhütte im Skigebiet Fieberbrunn.
Fast verschwunden: Almhütte im Skigebiet Fieberbrunn. © Katrin Saft

Die Fieberbrunner gehen mit den Schneemassen erstaunlich unaufgeregt um. Kaum pausieren die Flocken für ein paar Stunden, steigen die Bewohner auf die Dächer, um sie von der tonnenschweren Last zu befreien. „Zwar sind unsere Häuser dafür ausgelegt“, sagt Skilehrer Florian Wörter. „Aber wenn es wärmer wird und regnet, saugt sich der Schnee voll wie ein Schwamm und wird noch schwerer.“ Insofern sorge man vor. Lastkraftwagen fahren den weißen Ballast weg. Denn rechts und links der gut geräumten Straßen türmt sich der Schnee schon zu mannshohen Mauern. Wirklich ein Ausnahme-Winter?

Skitourismusforscher Günther Aigner wertet in den Alpen die amtlichen Messungen aus. Für Fieberbrunn verzeichnet er bislang eine maximale Schneehöhe von 1,85 Metern – nicht zu verwechseln mit der Summe des gefallenen Neuschnees. Denn die liegt in diesem Winter schon bei 5,50 Metern. Bislang hatte es Aigner, der das „Forum Zukunft Skisport“ leitet, allerdings mehr mit dem gegenteiligen Problem zu tun: der in Österreich hitzig geführten Debatte, wie lange man angesichts des Klimawandels in den Alpen noch Ski fahren kann. Die niedrigeren Wintersportgebiete rüsten seit Jahren mit Schneekanonen auf. Auch im Gebiet Fieberbrunn, das zwischen 850 und 2020 Metern liegt, wurden gerade mehrere Millionen Euro für künstliche Beschneiung investiert. „Die neue Technik kann alle Pisten innerhalb von nur zwei Tagen befahrbar machen“, sagt Skilehrer Wörter.

Hier parkt so schnell keiner mehr: Hotelzufahrt in Fieberbrunn.
Hier parkt so schnell keiner mehr: Hotelzufahrt in Fieberbrunn. © Katrin Saft

Forscher Aigner, der mehrere Studien für den Alpenraum verfasst hat, findet die derzeitigen Schneemengen zwar außergewöhnlich, sieht aber noch kein 100-jähriges Extremereignis erreicht. „Im Winter 1980/81 hatten wir in Fieberbrunn eine maximale Schneehöhe von 2,05 Metern“, sagt er und zeigt auf eine Tafel. Jede Saison seit 1896 ist hier in Balkenform verzeichnet. „Daran erkennt man, dass es in acht der letzten 21 Winter mehr Schnee gegeben hat als im 123-jährigen Mittel.“ Nach einer wärmeren Phase in den 80er-Jahren sei es in den Alpen auch wieder kälter geworden.

Und der Klimawandel? Den registriert Aigner vor allem im Sommer: „Die letzten 28 Sommer waren alle zu warm. Im Schnitt sind die Temperaturen in den Tiroler Bergen hier seit Mitte der 70er-Jahre um drei Grad gestiegen." Die Sonnenscheindauer habe um 25 Prozent zugelegt. Das lasse die Gletscher schmelzen. Und noch ein Problem hat der 41-Jährige ausgemacht: „Der Zeitpunkt, wo der Schnee dauerhaft kommt, wird immer unberechenbarer. Er kann bis zu 90 Tage schwanken.“

Im Skigebiet von Fieberbrunn, wo vor Weihnachten noch Kunstschnee versprüht werden musste, liegt zwei Wochen später so viel Neuschnee, dass einige Lifte geschlossen bleiben. Mit der 4 gilt die zweithöchste Lawinenwarnstufe. Ganz oben am Wildseeloder zerreißen Donnerschläge die Stille. „Gezielte Lawinensprengungen“, sagt Skilehrer Markus Millinger. Jedes Skigebiet habe eine Lawinenkommission, die früh am Morgen kontrolliere und mit Skiern oder Hubschrauber für die Sicherheit sorge. Selbst Seilbahnen, die unter Bäumen hindurchführen, stehen prophylaktisch still. Die tief herabhängenden Äste könnten plötzlich ihre Last abwerfen. Trotzdem hält auch Markus Millinger insbesondere die Wetter-Brennpunkte in der ARD für überzogen. „Man konnte denken, ganz Tirol sei ein Katastrophengebiet“, sagt er. Dabei stelle sich die Situation differenziert dar.

Als es am vergangenen Freitag zum ersten Mal in diesem Jahr nicht mehr anhaltend schneit, erwacht der Skicircus, als wäre nichts gewesen. Wer die Staus und Zugausfälle bei der Anreise gemeistert hat, will endlich auf die Pisten. Trotz der Lawinengefahr ziehen sich viele Spuren durch den Tiefschnee. „Einer fängt damit an und andere denken, das sei dann sicher“, ärgert sich Skilehrer Millinger. Viele Österreicher schütteln nur den Kopf über so viel Leichtsinn, der immer wieder auch die Bergretter in Gefahr bringt. Das Fahren abseits der Piste und dadurch ausgelöste Lawinen hat in den Alpen im Januar schon mehrere Tote gefordert – fast alles Deutsche. „Schutzausrüstung wie Airbags bieten eine trügerische Sicherheit“, sagt Millinger. Staublawinen könnten Bäume entwurzeln und bis zu 350 Kilometer pro Stunde schnell werden. „Da zerreißt es einem die Lunge.“

Trügerische Sicherheit: Skifahrer mit Lawinen-Airbag.
Trügerische Sicherheit: Skifahrer mit Lawinen-Airbag. © Katrin Saft

Das Freeriden, wie das Tiefschneefahren heißt, gewinnt rasant an Beliebtheit. Es geht um Grenzerfahrungen und den besonderen Kick. „Doch man muss das Gelände kennen, muss Hangneigung und das Zusammenspiel von Neuschnee, Wind, Sonne und Temperatur einschätzen können“, sagt Markus Kogler aus Fieberbrunn. Er ist in der staatlichen Skilehrerausbildung für diese Königsdisziplin des Skisports verantwortlich. Am 23. Februar trifft sich die internationale Elite in Fieberbrunn zur Freeride World Tour, weil die Topographie hier als besonders geeignet gilt.

Am heutigen Mittwoch lässt sich die Sonne sowohl nördlich als auch südlich des Alpenhauptkamms wieder häufig blicken. Im Skicircus haben 58 von 70 Liften geöffnet. Der Tagesskipass ist in diesem Jahr mit 55 Euro in der Hauptsaison erneut etwas teurer geworden. Eine neue Kabinen- und eine Sesselbahn mit Sitzheizung, Pistenraupen und Beschneiung kosten eben. Die Urlauber strömen zu den Liften. Auf den Skihütten werden Kaiserschmarrn und Jagertee serviert. Katastrophe? „Selten war der Blick ins Tal so schön wie heuer“, sagt Tourismusobfrau Geisl.

Bäume fast wie im sibirischen Winter: Piste im Skigebiet Fieberbrunn.
Bäume fast wie im sibirischen Winter: Piste im Skigebiet Fieberbrunn. © Katrin Saft

Ein Tal, drei Skigebiete

Zum Pillerseetal im östlichen Zipfel der Kitzbüheler Alpen gehören die 5 Orte Fieberbrunn, Hochfilzen, St. Jakob in Haus, St. Ulrich am Pillersee und Waidring.

Anreise: von Dresden mit Auto ca. 600 km über München, Kufstein und B 173, B 178, B 164 bis Fieberbrunn.

Drei Skigebiete sind wählbar: Skicircus Saalbach Hinterglemm Leogang Fieberbrunn (270 km Piste, Tagespass/Erwachsener Hauptsaison bis 15.3. 55 €); Steinplatte Waidring (42 km, 46 €), Buchsteinwand (20 km, 36 €).

Bergwetter: www.bergfex.at/fieberbrunn

Aktivitäten: 100 km Langlauf-Loipen, 4 Rodelbahnen, 100 km Winterwandern.

Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband PillerseeTal – Kitzbüheler Alpen: www.pillerseetal.at

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