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So gefährlich ist Bahnstrom

In Pirna klettert ein Mädchen auf eine E-Lok und stirbt. Die Bundespolizei warnt eindringlich vor den Tücken am Gleis.

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© Daniel Förster

Von Thomas Möckel

Auf dem Bahnsteig des Pirnaer Bahnhofes steht eine Flasche, halb voll mit Wasser, in ihr stecken einige weiße Rosen. Rote Rosen liegen davor. An einem Pfosten lehnt ein Zettel, auf dem die Zeilen: „In stillem Gedenken. Wir vergessen Dich nie“, notiert sind. Schüler trauern hier um ihre Mitschülerin, die am Sonnabend starb. Die 17-Jährige war auf das Dach einer abgestellten E-Lok gestiegen, wo sie von einem tödlichen Lichtbogen aus der Oberleitung getroffen wurde.

Auf diese Zeichen im Bahnbereich ist zu achten

Lebensgefahr Fahrdraht  Dieses Schild findet sich oft im Bahnbereich, dort, wo es Oberleitungen gibt. Es zeigt, dass schon die Nähe für einen Stromüberschlag genügt.
Lebensgefahr Fahrdraht Dieses Schild findet sich oft im Bahnbereich, dort, wo es Oberleitungen gibt. Es zeigt, dass schon die Nähe für einen Stromüberschlag genügt.
Klettern auf Bahn-Waggons verboten Dieses Schild signalisiert, dass auf Waggons und Loks niemand etwas zu suchen hat. Zu groß sind die Gefahren, wenn man dort hinaufklettert.
Klettern auf Bahn-Waggons verboten Dieses Schild signalisiert, dass auf Waggons und Loks niemand etwas zu suchen hat. Zu groß sind die Gefahren, wenn man dort hinaufklettert.
Überschreiten der Markierung Dieses Schild mahnt auf Bahnsteigen, auf die weiße Linie zu achten. Wer sie ignoriert, riskiert, vom Sog des Zuges mitgerissen zu werden.
Überschreiten der Markierung Dieses Schild mahnt auf Bahnsteigen, auf die weiße Linie zu achten. Wer sie ignoriert, riskiert, vom Sog des Zuges mitgerissen zu werden.
Bahnsteig-Ende  Dieses Schild markiert das Ende eines Bahnsteiges und drückt zugleich aus, dass man dort auf keinen Fall weitergehen soll, auch nicht, um abzukürzen.
Bahnsteig-Ende Dieses Schild markiert das Ende eines Bahnsteiges und drückt zugleich aus, dass man dort auf keinen Fall weitergehen soll, auch nicht, um abzukürzen.

Der Strom aus der Oberleitung, sagt Jens König, Polizeihauptmeister bei der Bundespolizei-Inspektion Dresden, ist eine der größten Gefahren an Bahnhöfen und Bahnstrecken. König ist Beauftragter für polizeiliche Kriminalprävention, in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen klärt er Kinder und Jugendliche über Gefahren am Gleis auf, hauptsächlich mit der Kampagne „Achtung Bahnstrom! 15 000 Volt sind tödlich“. Doch außer dem Strom lauern an Bahnsteig und Schiene noch andere Tücken. Die SZ fasst zusammen, was man in der Nähe von Zügen tunlichst lassen sollte.

Wie gefährlich ist der Strom aus der Oberleitung?

Wer in die Nähe von Eisenbahn-Oberleitungen kommt, sagt König, begibt sich immer in Lebensgefahr. Heimtückisch sei am Strom vor allem, dass man ihn weder sehen, hören noch riechen kann. Dabei fließt der Bahnstrom mit einer Stärke von 1 000 Ampere und einer Spannung von 15 000 Volt durch die Leitung – 68-mal mehr als in der Steckdose zu Hause. Zum Vergleich: Der Hausstrom hat 220 Volt Spannung, der Hausverteilerkasten 380 Volt, eine Straßenbahn-Oberleitung 500 bis 750 Volt, eine Bahn-Oberleitung 15 000 Volt, eine Überlandleitung 380 000 Volt. Damit ein Stromschlag ausgelöst wird, muss die Oberleitung nicht einmal zwangsweise berührt werden. Nach Aussage von König reiche es aus, wenn man der Leitung näher als 1,50 Meter kommt. Denn Strom sei in der Lage, die Luft zu überspringen und auf einem Lichtbogen über den Körper zur Erde zu gelangen. Der menschliche Körper, der zu zwei Dritteln aus Wasser besteht, fungiert in diesem Moment als leitender Gegenstand. Solche Stromschläge an Bahn-Oberleitungen, erklärt König, seien fast immer tödlich. Der Strom trete in den Körper ein und an anderer Stelle wieder aus, dabei entstehen Temperaturen von 1 000 Grad. „Die Chance, das zu überleben, ist sehr gering“, sagt der Polizeihauptmeister.

Wie lassen sich Stromschläge an Oberleitungen verhindern?

Bei seiner Arbeit an Schulen und anderen Einrichtungen gibt König den Zuhörern stets Verhaltensregeln mit auf den Weg, damit sie möglichst nicht in die Nähe der Gefahrenquelle Strom kommen. Dazu zählt, dass es verboten ist, die Gleise an ungesicherter Stelle zu überqueren. Gerade bei feuchtem Wetter steigt das Risiko, dass Lichtbögen auch schon bei größeren Abständen von der Oberleitung entstehen können. Zudem sind in Bahnbereichen Verbotsschilder „Klettern auf Bahn-Waggons verboten“ sowie Hinweisschilder „Achtung Stromüberschlag“ zu finden, die laut König aber immer wieder ignoriert werden. Doch wer sie missachtet, begebe sich in große Gefahr. „Man sollte es tunlichst unterlassen, auf Loks und Wagen zu steigen“, sagt König. Gefährlich werde es außerdem, wenn man versuche, mit einem Stock, einem Draht oder Ähnlichem auf der Brücke die Bahn-Oberleitung zu berühren. Ebenso dienen Gegenstände und Flüssigkeiten – beispielsweise Wasser, Getränke und Urin – , die den Sicherheitsabstand zu der Bahn-Oberleitung verringern, als Leiter und können zu einem Stromüberschlag führen. Daher gelte es, immer genügend Abstand zur Oberleitung zu halten.

Welche Probleme haben Rettungskräfte bei Stromunfällen?

Bei Stromunfällen, vor allem wenn jemand auf eine Lok oder einen Waggon geklettert ist, vergeht oft wertvolle Zeit, ehe die Helfer zum Opfer können. „Man kann da nicht einfach hochgehen“, sagt König, „sonst würden sich die Retter selbst gefährden.“ Das Problem: Zunächst muss der Strom in der Oberleitung abgeschaltet werden. Danach muss die Oberleitung vor und nach der Unfallstelle geerdet werden, dann erst ist die Unfallstelle für die Einsatzkräfte frei.

Warum sollte man unbedingt auf die weiße Linie am Bahnsteig achten?

Die weiße Linie auf dem Bahnsteig markiert den Sicherheitsabstand zu vorbeifahrenden Zügen. Wer sich hinter der Linie aufhält, ist im sicheren Bereich. Doch auch das wird immer wieder ignoriert. „Manche Jugendliche finden es cool, auf der Bahnsteigkante zu sitzen“, sagt König, „das ist aber alles andere als schlau.“ Die Gefahr: Züge fahren bis zu 160 Stundenkilometer schnell durch Bahnhöfe und Haltepunkte. Dabei entfachen sie einen ungeheuren Sog, der alles mitreißt, was zu nahe steht. In Pirna wird diese Gefahr noch durch zwei Faktoren verstärkt: Laut König liegt der Bahnhof an einer internationalen Bahnstrecke, dementsprechend viele Züge passieren die Stadt. Dazu kommt, dass viele Güterzüge durch Pirna fahren. Aufgrund ihrer Bauweise entwickeln die Güterwaggons eine größere Luft-Verwirbelung als Personen-Waggons, diese Verwirbelung macht den Sog noch gefährlicher.

Warum ist eine Abkürzung über die Gleise so gefährlich?

Auf Bahnsteigen stehen Schilder, die deren Ende kennzeichnen, dennoch nutzen oft Leute den Weg über die Schienen als Abkürzung – und leben dabei gefährlich. „Vor allem die neuen Züge sind so leise, dass man sie manchmal gar nicht heranfahren hört“, sagt König. Zudem seien Züge nun mal an die Schiene gebunden und können nicht ausweichen, wenn ein Hindernis auf dem Gleis steht. Und selbst wenn der Lokführer das Hindernis sieht: Ein Zug, der mit 160 Stundenkilometern unterwegs ist, braucht für 100 Meter Strecke gerade einmal 2,25 Sekunden – und hat bei diesem Tempo einen Bremsweg von rund einem Kilometer, bei Güterzügen kann der Bremsweg deutlich länger sein. Wer unbefugt die Gleise überschreitet, begeht nach Aussage des Polizeihauptmeisters eine Ordnungswidrigkeit – die in der Regel mit 25 Euro Bußgeld geahndet wird.