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Wie sicher sind Fahrradanhänger?

Schnell ans Rad gekoppelt, alles rein und los: Kinderfahrradanhänger sind gefragt. Aber sie nehmen auch viel Platz ein - und haben Risiken.

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© Symbolbild: Robert Michael

Berlin. Sie sind die Sattelschlepper der Radwege: Fahrräder mit Anhänger. Kinder, Hunde, Grillzubehör - was passt, wird transportiert. Für viele Radfahrer sind sie ein Segen, einfach und teils günstig. Für Fußgänger aber werden sie oft zum Hinder- und Ärgernis: "Räder mit Hänger sind breiter und länger als normale Fahrräder, dürfen aber auch auf Gehwegen abgestellt werden. Menschen mit Kinderwagen oder im Rollstuhl kommen manchmal gar nicht mehr vorbei", schimpft Roland Stimpel vom FUSS e.V., dem Fachverband Fußverkehr.

Anhänger verengten die oft schmalen, vollgestellten Wege noch weiter, lösten Gedrängel und Fußgänger-Staus aus. Aber: "Nicht die Hänger an sich sind das Problem, sondern die falschen Regeln und der fehlende Platz", findet der Fußgänger-Lobbyist.

Aktuell ist das Abstellen von Rädern mit Überlänge und -breite auf dem Gehweg grundsätzlich erlaubt - solange es nicht stört. Auch am Fahrbahnrand dürfen die Fahrräder abgestellt werden. Doch oft ist dieser Platz schon besetzt. Zudem gibt es eine Zusatzregel, die besagt, dass die Räder im Dunkeln auf der Straße beleuchtet sein müssen - auch im Park-Modus. Das erschwert das Abstellen über Nacht. Manche Autofahrer kennen das Abstell-Recht für Räder nicht und stellen sie, selbst auf der Suche nach einem Parkplatz, verärgert um - auf den Gehweg.

Deshalb fordert die Fußgängerlobby: Fahrräder und Anhänger mit mehr als Normalmaß sollten nicht mehr auf dem Gehweg abgestellt werden dürfen. "Für sie muss Platz am Fahrbahnrand geschaffen werden", sagt Stimpel. Dann werde der Gehweg frei und Parkraum effizienter genutzt: "Wo heute ein Auto steht, können künftig vier Fahrzeuge mit Anhänger oder Lasten-Aufbau parken. Damit gibt es unter den Verkehrsteilnehmern viel mehr Gewinner als Verlierer."

"Dafür kassiere ich gern mal blöde Kommentare"

Ihren Anhänger haben Benjamin und Kristina im Hausflur stehen, angekettet. Ein Parkplatz auf der Straße ist den beiden zu unsicher. Denn die Kindertaxen gibt es in vielen Ausführungen - und zu teils hohen Preisen. Bis zu 900 Euro werden fällig. "Platz nehme ich höchstens ein, wenn ich ihn vor dem Haus ans Rad anschraube", sagt Kristina. Darüber habe sich aber noch niemand aufgeregt.

Das Paar hat lange nach Hängern gesucht. Einer steht bei ihren Schwiegereltern, einer zuhause in Aachen. "Ich finde sie megapraktisch - und für die Kinder sind sie ja auch recht gemütlich." Alles was rein passt, kommt bei der 37-Jährigen und ihrem Partner in den Hänger. Der vierjährige Max, die drei Monate alte Ira in ihrer Hängematte genau so wie Spielzeug und Snacks.

Trotz aller Euphorie: "Ich würde jetzt nicht auf einer großen Straße damit fahren." Dafür seien der Hänger zu sperrig und die Sorge um die Kleinen hinter ihr zu groß. Lasse sich die Strecke an einer viel befahrenen Straße ohne Radweg nicht vermeiden, fahre sie auf dem Fußweg: "Dafür kassiere ich dann auch gerne mal blöde Kommentare."

Nicht alle sind so überzeugt von den Hängern. Immer wieder kommen kritische Stimmen auf. Zuletzt nach dem Zusammenstoß eines Autos mit einem Fahrrad-Anhänger in Österreich: Ein Wagen erfasste auf einer Bundesstraße nahe Wien einen Anhänger an einem Elektrofahrrad, in dem zwei Kinder transportiert wurden. Das Gespann wurde etwa 15 Meter weit auf einen Acker geschleudert. Die zwei Kinder im Alter von ein und vier Jahren starben. "Beim Anblick dieser Fahrradanhänger frage ich mich jedes Mal, ob sich diese Menschen der Gefahren bewusst sind", heißt es in einem Leserbrief in der Wiener Zeitung "Kurier".

© Symbolbild: dpa

"Grundsätzlich muss man sagen, dass die Diskussion über die Sicherheit von Fahrradanhängern aufgrund dieses Unfalls absurd ist", meint René Filipek vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). "Fährt ein LKW in ein Stauende, diskutiert man auch nicht über die Sicherheit des zerquetschten PKW, sondern über das falsche Verhalten des LKW-Fahrers." Es sei nicht nachvollziehbar, Todesfälle an Fahrradanhängern festzumachen - und nicht am Fehlverhalten von Autofahrern oder mangelhafter Infrastruktur. "Hier wird offensichtlich, dass eine angemessene Infrastruktur wie ein abgetrennter Radweg diesen Unfall verhindert hätte."

Zwar schaudere es ihn persönlich, wenn er Fahrradanhänger sehe, sagt der Leiter der Unfallforscher der deutschen Versicherer, Siegfried Brockmann: "Nicht nur, dass die tiefer liegen, sondern dass auch keine Knautschzone existiert, ist gruselig." Wie groß die Gefahr wirklich sei, wisse man aber nicht: "Wir können das gar nicht objektivieren" - dazu fehlten Zahlen und Fakten.

Tatsächlich werden bislang keine Informationen zu tödlichen Unfällen mit den Anhängern erfasst. "Fahrradanhänger zählen bei uns zu den Fahrrädern", heißt es aus dem Statistischen Bundesamt. Jedes Kind in einem Radanhänger, das bei einem Unfall verletzt wird oder stirbt, wird generell Fahrradunfällen zugerechnet. "Verkehrsbeteiligungsrad: Fahrrad" heißt es auf dem Polizei-Formular.

Nicht sicherer, aber ökologischer

Wie könnte man herausfinden, wie riskant die Hänger sind? "Die Polizei müsste das bei der Unfallaufnahme grundsätzlich erfassen", sagt Unfallforscher Brockmann. Das gefühlte Problem sei sicherlich deutlich größer, bei Kindern schrillten Sirenen immer besonders laut. Mit Daten könnte man verlässlich herausfinden: Wie viele Kinder werden verletzt? Wie gefährlich sind die Anhänger? Beim E-Fahrrad gibt es das schon: "Pedelecs werden seit 2014 separat erfasst", so das Statistische Bundesamt.

Aus Sicht von Unfallforscher Brockmann ist das Auto weiterhin die sicherere Alternative für den Kindertransport, ökologischer sei der Radanhänger aber allemal. ADFC-Fachmann Filippek betont die Vorteile der Anhänger im Vergleich zu Kindersitzen auf Erwachsenenrädern: Hier sei die potenzielle Fallhöhe sehr hoch.

Die 37-jährige Kristina jedenfalls hat einen ganzen Fuhrpark zuhause. Den Hänger, einen Fahrradsitz, ein Trittbrett für den Kinderwagen. Auch wenn alle ihre Vor- und Nachteile haben: Am liebsten ist sie mit ihrem Radanhänger unterwegs. Einen sicheren Stadtverkehr bekomme man durch eine gute Fahrradinfrastruktur, Tempolimits für Kraftfahrzeuge, mehr Platz für Radfahrer, Fußgängerinnen und eine Stärkung des Öffentlichen Nahverkehrs, da sind sich die Experten einig. Bis es so weit ist, fährt Kristina mit knalligen Warn-Wimpeln am Hänger über die Straßen - und manchmal über Fußwege. (dpa)